Blick auf ein Publikum in einer repräsentativen Halle, eine Bühne und Scheinwerfer sind an der Seite zu sehen

Standbild aus der Dokumentation der Konferenz "Vernetzt euch!" (2015). Kamera: Kornelia Kugler und Kay Möpert

Von Lisa Scheibner

(Wiederveröffentlichung vom transcript Verlag, siehe Quellenangabe unten)

 

Festivals sind Interventionen in den Alltag. Für ein paar Tage werden die üblichen Regeln außer Kraft gesetzt: eine Eingangshalle wird zur Performance-Bühne, in Seminarräumen finden Workshops und Künstler*innengespräche statt, große Plakatwände werden mit Ideen beschriftet, im Hof gibt es einen gemeinsamen Ort, um das von der Cafeteria extra zubereitete Essen zu genießen und im Raum der studentischen Selbstorganisation toben Kinder herum.

 

Das ist meine Erinnerung an unsere Veranstaltung „Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene“, die ich 2015 als Teil eines fünfköpfigen Kernteams von Kulturschaffenden zusammen mit weiteren Kooperationspartner*innen in der Universität der Künste in Berlin organisiert habe.

 

Ein Vorteil des fluiden, temporären Charakters von Festivals kann sein, dass es die Möglichkeit gibt, mit neuen Formen und Inhalten zu experimentieren, sich normalerweise anderweitig genutzte Räumlichkeiten anzueignen, diese zu verändern und ein Publikum zu erreichen, das sich sonst selten angesprochen fühlt.

 

In unserer Arbeit bei Diversity Arts Culture bekommen wir viele Anfragen von Kulturschaffenden, die Festivals oder Veranstaltungen organisieren und diese diskriminierungskritischer gestalten und Barrieren abbauen wollen. Sie wünschen sich mehr Diversität im Publikum, aber auch im Festivalteam und im Programm. Dafür gilt es, sich zunächst bestimmte Fragen zu stellen: Was verstehen wir im Team unter Diversität und welches Wissen haben wir zum Thema Antidiskriminierung?

 

Was ist mit Diversität gemeint?

Bei Diversity Arts Culture verwenden wir den Begriff Diversität diskriminierungskritisch. Das bedeutet, wir stellen die Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen marginalisiert werden und in Folge dessen weniger Zugänge zum öffentlich geförderten Kunst- und Kulturbetrieb haben. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention schreiben vor, dass Schutz vor Benachteiligung oder Diskriminierung zu gewährleisten und Zugänge zu ermöglichen sind. In der Praxis wird dies allerdings selbst im öffentlichen Sektor nicht umfassend umgesetzt.

 

Unter Diversitätskompetenz verstehen wir ein Wissen um die Wirkungsweisen von struktureller Diskriminierung und Privilegierung – ein Verständnis dafür, dass die Ungleichheiten in den Strukturen angelegt sind und nicht nur einzelne „Vorfälle“ von Diskriminierung zwischen Individuen betreffen. Neben dem Wissen um gesellschaftliche Strukturen beinhaltet Diversitätskompetenz auch Wissen um die Geschichte und die politischen Kämpfe marginalisierter Gruppen in Deutschland und über die Wirkweisen einzelner Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus, Sexismus etc.. Diversitätskompetenz kann durch einen eigenständigen und kontinuierlichen Weiterbildungsprozess erworben werden. Sie ermöglicht Kulturschaffenden, die eigenen Spielräume für Antidiskriminierungsarbeit auszuloten und gemeinsam mit engagierten Kolleg*innen Diversität im eigenen Team und die künstlerische Vielfalt im eigenen Programm zu stärken und letztlich an einem diversitätsorientierten Strukturwandel im Kulturbetrieb mitzuwirken. Dies erfordert jedoch eine gründliche und selbstkritische Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien. Die großen Kulturinstitutionen wie Theater, Museen oder Opern sind stark durch patriarchale, weiße Machtstrukturen und Hierarchien geprägt, wie auch die Studie „Macht und Struktur im Theater“ zeigt. Diese Machtstrukturen wirken sich auf die Betriebskultur aus und begünstigen Diskriminierung. Die freie Kunst- und Kulturszene ist teilweise etwas flexibler, aber auch hier ist ein beträchtliches Maß an Privilegien notwendig, um sich trotz der oft prekären Arbeitsbedingungen langfristig im Kulturbetrieb behaupten zu können. Etablierte Kulturorte sind noch immer so wenig divers, weil hier vieles vorausgesetzt wird, das für große Teile der Bevölkerung nicht selbstverständlich ist. So bleiben kulturelle Räume einer kleinen, meist weißen und nicht-behinderten Gruppe von Menschen vorbehalten und repräsentieren im Personal, im Programm und im Publikum sehr unzureichend die tatsächliche Diversität der Gesellschaft, von der sie immerhin finanziert werden.

 

Dies ist nicht nur ungerecht, sondern bedeutet auch, dass viele talentierte Künstler*innen ihre (innovativen) Ideen nicht entwickeln und ihre Perspektiven nicht sichtbar machen können. Dieses künstlerische Potential und Wissen gehen unserer Kunst- und Kulturszene und damit unserer Gesellschaft verloren.

 

Um daran etwas zu verändern, gilt es als engagierte Gruppe innerhalb einer Institution oder als Projektgruppe eine kritische Selbstbetrachtung vorzunehmen und sich dafür möglichst auch Unterstützung durch diskriminierungskritische Perspektiven von außen zu holen. Die beste Strategie, um langfristig Diversität und Antidiskriminierung im Kulturbereich zu verankern ist, sich insgesamt für gute Arbeitsbedingungen für alle einzusetzen.

Blick von der Bühne aus auf das Publikum. Eine Performerin ist von hinten zu sehen, sie streckt die Arme in die Höhe. Sie trägt ein geringeltes Hemd und ein Hörgerät.

Standbild aus der Dokumentation der Konferenz "Vernetzt euch!" (2015). Kamera: Kornelia Kugler und Kay Möpert

Diskriminierungskritische Festivals gestalten, die eigene Motivation befragen

In Bezug auf Festivals bedeutet das, strukturelle Diskriminierung, Barrieren und fehlende Zugänge zu erkennen und zu ihrem Abbau beizutragen sowie geeignete Mittel zur nachhaltigen Stärkung von Kulturschaffenden mit Diskriminierungserfahrung zu ergreifen und ein diskriminierungssensibles Umfeld zu gestalten.

 

Dafür gilt es jedoch, sich bestimmte Fragen gleich zu Anfang in einer gründlichen Vorarbeit zu beantworten: Warum wollen wir ein diskriminierungskritisches Festival?

 

Wenn eine Auseinandersetzung mit Diskriminierung stattfinden soll, ist es wichtig, die eigene Motivation auf den Prüfstand zu stellen: Geht es uns darum, aktuelle Diskurse um Diversität nicht zu verpassen und hier und da etwas Abwechslung ins Programm zu bringen oder gibt es ein echtes Interesse, die eigenen Grundannahmen, Leerstellen und bisherigen Arbeitsweisen diskriminierungskritisch zu beleuchten und neue Standards zu setzen, die auch über den Festivalzeitraum hinaus Bestand haben? Sind wir bereit, Zeit, Aufmerksamkeit und Geld in Diversitätsentwicklung zu investieren und unsere Plattform solidarisch und gleichberechtigt zu teilen, um Kunstschaffenden, die bisher aufgrund ausschließender Strukturen im Kulturbetrieb wenig Sichtbarkeit erhalten, Platz einzuräumen?

Ausgehend von unserer Arbeitspraxis soll dieser Überblick Impulse geben, welche Fragen und Maßnahmen bei der diskriminierungskritischen Konzeption und Umsetzung eines Festivals (oder einer Veranstaltung, eines Projektes) helfen können. Die Liste ist selbstverständlich nicht vollständig und viele Punkte sind nur beispielhaft aufgeführt. Die Sammlung soll dazu einladen, selbst damit zu arbeiten, sie in der eigenen Arbeitspraxis zu ergänzen und zu verfeinern.

Vorbereitung/Antragsphase

Planungsphase

Kommunikation

Durchführung

Nachbereitung

Die diskriminierungssensible Öffnung der eigenen (Festival-)Strukturen ist ein Prozess; das Wissen wächst mit jeder Veranstaltung, individuell und als Team. Sich zu viel vorzunehmen, ist nicht immer zielführend. Sich mit wenigen, punktuellen Lösungen zufrieden zu geben, allerdings auch nicht.

 

In unserer Arbeit beobachten wir, dass ernsthafte und nachhaltige Bemühungen um Antidiskriminierung meistens von engagierten Einzelpersonen in Institutionen oder von Gruppen ausgehen, die sich zusammentun, um ein Diversitätskonzept oder Leitbild zu entwickeln, und die diskriminierungskritische Maßnahmen anstoßen. Diese Arbeit ist herausfordernd, gerade wenn sie zusätzlich zu den Kernaufgaben und gegen Widerstände (von der Leitung, aber auch von Kolleg*innen) zu leisten ist. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, sich in der eigenen Gruppe um eine gute, solidarische Praxis zu bemühen und Standards zu setzen für eine gerechtere, zugänglichere und vielfältigere und damit letztlich auch interessantere Kulturarbeit.

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