Schwarz

[ʃvaʁʦ]

Der Begriff Schwarz wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und people of colo(u)r gewählt. Das großgeschriebene „S“ wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis.

 

1. Schwarz ist nicht „nicht-weiß“

Schwarz und weiß sind hierbei nicht als Hautfarben, sondern als soziale und politische Konstruktionen in einem globalen Machtgefüge zu verstehen. So ist die Selbstbezeichnung Schwarz eine Form der Selbstermächtigung, die ebenfalls in der Abgrenzung von dem Begriff „nicht-weiß“ vollzogen wird. Als „nicht-weiß“ gelesen und benannt zu werden, beinhaltet eine Abweichung der Norm, des nicht normalen Zustandes, welcher häufig selbst unmarkiert bleibt, nämlich weiß. Zudem ist die individuelle und kollektive Erfahrung des Schwarz-Werdens und Schwarz-Seins häufig in Nationalstaaten verortet, die aus Siedlungskolonien (etwa die USA, Kanada, Australien, Brasilien, Südafrika) oder europäischen Kolonialmächten (heutiges Europa) hervorgingen. Kurzum, die Selbstbezeichnung Schwarz ist eine, die überwiegend außerhalb des afrikanischen Kontinents stattfindet. Schwarz ist zeitgleich ein aktiver Bruch mit einer Praxis der (Fremd-)Zuschreibungen, die von „farbig“, „Mulatte“ bis hin zum „N-Wort“ reichen und in ihrer Funktion äußersts abwertend und rassistisch konnotiert sind. Diese abwertenden Begriffe haben unterschiedliche Entstehungs- und Wirkungsgeschichten, die sich aus den Erfahrungen und dem Wissen des transatlantischen Versklavungshandels, der Kolonialisierung innerhalb des afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Kontinents, der Apartheid in Südafrika und der Segregation in den USA speisen. Im Europa des 19. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Aufklärung und der Hochphase des Imperialismus, reihen sich die Fremdzuschreibungen in einer rassistischen hierarchisierenden Klassifikation von Menschengruppen und einem wissenschaftlich geadelten biologistischen Rassenverständnis ein, welches Schwarze Menschen als ungleichwertig einstufte oder ihnen gar jedwede Form von Menschlichkeit verweigerte.

 

2. Schwarz ist nicht, wer Schwarz aussieht

In dem Standardwerk "Deutschland Schwarz Weiß" zu strukturellem Rassismus und Alltagsrassismus, hebt die deutsche Autorin Noah Sow hervor, dass  auch „Schwarze Menschen, die nicht auf den ersten Blick als afrikanischstämmig zu erkennen“ seien, „von Rassismus betroffen“ seien. Hier bezieht sich Noah Sow auf die kolonialen Erfahrungen und Behandlungen, die in Familiengeschichten eingewoben sind, „sowie die damit verbunden[en] Traumata, Traditionen und Resilienzen, die durch das individuelle Aussehen“ nicht ausgelöscht werden würden. Daher folgt, dass Schwarz nicht auf einer Farbskala beurteilt werden kann. Allerdings gibt es in Schwarzen Communities auch viele Auseinandersetzungen im Hinblick auf colorism und white privilege (siehe Musafiri zum Unterschied von colorism und Rassismus sowie Greenidge zu toxischem colorism).

 

3. Schwarz ist nicht – und Schwarz jenseits – (maskuliner) Körper

Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Michelle M. Wright suggeriert in ihrem Buch "Physics of Blackness", dass anstelle der Frage, “was” nun die Schwärze des Schwarzen ausmache, es erkenntnisreicher sei, dem nachzugehen, „wann“ und „wo“ der Begriff und die Bezeichnung auftrete, definiert, performiert werde und an welchen Orten – beides figurativ und im wörtlichen Sinne. Schwarz könne nicht an Köper und schlichtweg an Hautfarben gebunden werden, da die Menge, die für sich Schwarz/ blackness als Identität beansprucht, zu divers sei. Nach Wright besteht demnach das Problem schon in dem Versuch einer akkuraten Repräsentation eines Schwarzen Kollektivs, da das Schwarze nicht außerhalb der Verschränkung anderer Schwarzer Kollektive liegen kann, sondern immer in der Verschränkung. Im Gegenteil, wenn nach einer Essenz oder einem gemeinsamen Narrativ gesucht wird, wird oftmals die Perspektive Schwarzer Männer erzählt, weil angenommen wird, dass diese die Hauptfiguren und daher Agenten des Kollektivs seien. Darüber hinaus sind die Verständnisse und Erzählungen oft auch heteronormativ und cis-fokussiert. Schwarze (queere) Frauen* teilen nicht dieselbe(n) historische Zeitachse, Kämpfe und Sichtbarkeiten.

 

4. Schwarz ist nicht lesbar, Schwarz ist alles

In ihrem Buch fordert Wright den Begriff Schwarz heraus, indem sie davon ausgeht, dass blackness (Schwärze/ das, was Schwarz macht), alles umfasst. Die Literaturwissenschaftlerin schreibt, dass es eine unmögliche Aufgabe sei, blackness als etwas Spezifisches zu bezeichnen, da es mit allen anderen Schwarzen kollektiven Identitäten zusammenwirke und immer auch schon eine Intersektion abbilde. Die These, dass es alles umfasse, gelte insbesondere, da der afrikanische Kontinent als „Wiege der Menschheit“ und bekanntlich Ursprung der Hominisation (das heißt die Entwicklung des Homo sapiens, des anatomischen modernen Menschen) sei. Dennoch, hebt sie hervor, sehen viele in der Bezeichnung Schwarz auch etwas Spezifisches, Besonderes und Formierendes.

 

5. Da Schwarz nicht zugewiesen werden kann (siehe 1-4): Schwarz als Selbstbezeichnung

Die Selbstbezeichnung Schwarz für Menschen und Gemeinschaften konstituiert einerseits ein emanzipatorisches Element (des Schwarz-Werdens), andererseits stellt es auch ein identitätsstiftendes Moment einer Schwarzen kollektiven Bewegung und Erfahrung dar (des Schwarz-Seins). Viele Schwarze kollektive Identitäten und Menschen in den USA und in der Karibik haben gemeinsam, dass sie sich auf die Geschichte und Erfahrung der „Middle Passage“ (den Auswirkungen des transatlantischen Versklavungshandel in der „Neuen Welt“, dem amerikanischen Festland) berufen. Die Schwarze deutsche Geschichte verortet sich hingegen primär in der deutschen kolonialen Erfahrung sowie bis hin zu der des Kalten Krieges (französische und amerikanische Besatzung). Dennoch wirkt in vielen, gleichwohl nicht in allen, Communities das Wissen um den transatlantischen Versklavungshandel nach.

 

6. Schwarz wider die Transparenz

Mit dem karibischen Poeten und Philosoph Éduoard Glissant, welcher das Recht der Opazität (= Undurchsichtigkeit) im Hinblick auf die Erfahrung der Sklaverei und des nachwirkenden Traumas, fordert, lernen wir, dass nicht alle Kategorien fixierbar sein müssen. Er beschreibt, inwiefern der (westliche) Transparenzwahn, die Dinge von Grund auf zu kennen (etwa „Wurzeln“, Herkunft, Natur) vermeide, dass Differenz, Divergenz und pluralisitische Humanitäten zugelassen werden können. Jede*r habe das Recht, opak zu sein, denn wenn jede*r andere*r Bürger*in wäre, dann gäbe es nicht mehr den Begriff des Barbarischen. In "Poetics of Relation" schreibt Glissant, dass das Recht auf Opazität nicht eine Abkapselung von der Umwelt bedeuten würde oder dadurch eine Zusammenhangslosigkeit entstehen würde, sondern im Gegenteil die wahre Grundlage der Beziehungsnahme, in Formen der Freiheit und somit die Welt herstellen könne. Insofern bestehen Identitäten immer in Relationen, Beziehungen und Kreolisierungen.

 

Für Kommentare und Vorschläge möchte ich mich beim BildungsLab* bedanken.

 

Dieser Text ist ein Gastbeitrag von Sabine Mohamed.

Sabine Mohamed promoviert am Institut für Ethnologie an der Universität Heidelberg und am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen. Sie forscht im urbanen Afrika (vorrangig in Äthiopien und Eritrea) und Europa (hauptsächlich Deutschland) zu Differenz und Repräsentation von Körpern, Stadtentwicklung und Kosmopolitismus, Souveränität und Gewalt in postimperialen wie postsozialistischen Räumen. Sie ist Teil des deutschsprachigen feministischen Blogkollektivs der Mädchenmannschaft und Mitglied im BildungsLab*.

Weitere Leseempfehlungen zur Vertiefung:

Al-Samarai, Nicola Lauré, und Sara Lennox. 2004. “Neither Foreigners Nor Aliens: The Interwoven Stories of Sinti and Roma and Black Germans.”

Al-Samarai, Nicola Lauré. 2018. „Und ich muss doch erzählen.“

Arndt, Susan und Nadja Ofuatey-Alazard. 2011. Wie Rassismus aus Wörtern spricht: (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk.

Auma, Maisha Maureen. 2018. Rassismus: Eine Definition für die Alltagspraxis.

Castro Varela, María do Mar und Nikita Dhawan. 2015 [2005]. Postkoloniale Theorie: Eine kritische Einführung.

Chebu, Anne. 2016. Anleitung zum Schwarz sein.

Combahee River Collective. 1997. The Combahee River Collective Statement.

Davis, Angela. 1983. Women, Race and Class.

Eggers, Maisha Maureen und Sabine Mohamed. 2014. „Schwarzes feministisches Denken und Handeln in Deutschland.“

El-Tayeb, Fatima. 2011. European Others: Queering Ethnicity in Postnational Europe.

Fanon, Frantz. 2008 [1952]. Black Skin, White Masks.

Gilroy, Paul. 1993. Black Atlantic: Modernity and Double-Consciousness.

Glissant, Éduoard. 1997. Poetics of Relation.

Greenidge, Kaitlyn. 2019. „Why Black People Discriminate among Ourselves: The Toxic Legacy of Colorism.“

Greenidge, Kaitlyn. 2016. We Love You, Charlie Freeman.

Ha, Kien Nghi. 2010. Unrein und Vermischt: Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde.“

Hull, Akasha (Glorial T.), Patricia Bell-Scott und Barbara Smith. 1982. Some of Us are Brave: All the Women are White, All the Blacks are Men.

Kelly, A. Natascha. 2019. Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte.

Kilomba, Grada. 2018 [2008]. Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism – Kurzgeschichten in englischer Sprache.

Kilomba, Grada. 2009. „Das N-Wort.“

Kinder, Katja. 2011. „Das Eingehen von Bündnissen ist eine bedeutende Investition.“

King, Tiffany Lethabo. 2019. The Black Shoals: Offshore Formations of Black and Native Studies.

Lantzsch, Nadine. 2015. “Interview mit Peggy Piesche über Lesben in der DDR: „Sichtbarkeit kann niemals nur die eigene sein“.”

McKittrick, Katherine. 2014. Sylvia Wynter: On Being Human as Praxis.

Mohamed, Sabine. 2012. „Überlegungen zu geschlechterpolitischen Bündnissen, ihre Chancen, ihre Probleme und Totgeburten.“

Mohamed, Sabine. 2018. “Afrofuturism & "Space is the Place"

Moten, Fred. 2018. Stolen Life.

Musafiri, Katja. 2019. “Hä, Was heißt Colorism? “

Oguntoye, Katharina, May Opitz und Dagmar Schultz. 1992. Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.

Piesche, Peggy. 2012. Euer Schweigen Schützt Euch nicht: Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland.

Piesche, Peggy. 2002. „Black and German.“

Sharpe, Christina. 2016. In the Wake: On Blackness and Being.

Simone, AbdouMaliq. 2017. “The Black City

Simone, AbdouMaliq. 2016. “Urbanity and Generic Blackness

Sow, Noah. 2018 [2010]. Deutschland Schwarz Weiss.

Walker, Alice. 1983. In Search of Our Mothers' Gardens: Womanist Prose.

Weheliye, Alexander. 2015. „Conversations in Black.“

Weheliye, Alexander. 2014. Habeas Viscus: Racializing Assemblages, Biopolitics, and Black Feminist Theories of the Human.

Wollrad, Eske. 2005. Weisssein im Widerspruch: Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion.

Wright, M. Michelle. 2015. Physics of Blackness: Beyond the Middle Passage Epistemology.

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Empowerment

[ɪmˈpaʊəmənt]

kommt aus dem Englischen und bedeutet Ermächtigung. Damit ist gemeint, dass Personen oder Gruppen, die gesellschaftlich benachteiligt sind, durch gezielte Strategien und Qualifikationsangebote das Handwerkszeug erwerben, ihr Leben selbstbestimmter zu gestalten.

Wörterbuch

PoC/ Person of Color

[ˌpɝː.sən əv ˈkʌl.ɚ]

Der Begriff People of Color (im Singular Person of Color) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren.

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