Über das Bild hinaus
Diversität im Kunst- und Kulturbetrieb
Podcastfolge mit: Kathy-Ann Tan, Laia Ribera Cañénguez, Sophia Neises, Anike Joyce Sadiq
Das Gespräch im Wortlauf
[Anfang Intromusik]
„Ich finde eigentlich diese Aussage, dass man sagt, Kunst von Regisseurinnen ist schlechtere Kunst als von Regisseuren, das finde ich schon total kunstfeindlich. Und eigentlich kann man da gar nicht argumentieren, sondern muss sich ein dickes Fell zulegen und das ignorieren.“ [Yvonne Büdenhölzer]
„Es ist interessant, in Deutschland, Macht ist automatisch negativ konnotiert. Wenn ich sage Power auf Englisch, wenn ich rede von Empowerment zum Beispiel, haben Menschen ein ganz anderes Gefühl, als wenn ich Macht sage.“ [Clementine Burnley]
„Die Frage ist eigentlich: In welchem Verhältnis steht das, was die Institution durch ihr Ausstellungs- und ihr Veranstaltungsprogramm zu Fragen von Gender, politischer und sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus oder Restitution verhandelt, zu ihren eigenen wirkungsmächtigen institutionellen Strukturen?“ [Anike Joyce Sadiq]
[Ende Intromusik]
Three Reasons Why – Ein Podcast von Diversity Arts Culture zu Diversität und Antidiskriminierungsarbeit im Kulturbetrieb
Was ist Diversität? Was hat sie mit Diskriminierung zu tun und warum ist Diversität so wichtig für den Kulturbetrieb? Darüber wollen wir reden – mit Künstler*innen und Kulturschaffenden, mit Wissenschaftler*innen, Jurist*innen und Aktivist*innen. Unter dem Titel „Three Reasons Why“ wollen wir uns in drei Folgen anschauen, wie Diversität sich rechtlich, moralisch und ästhetisch begründen lässt. Dabei tauchen wir in vielschichtige Debatten rund um Diversität in Kunst und Kultur ein. Wir stellen uns und unseren Gästen Fragen zu strukturellen Ausschlüssen, Gerechtigkeit, Ästhetik und Verantwortung.
Hallo und herzlich willkommen zur Folge drei von „Three Reasons Why – Ein Podcast von Diversity Arts Culture zu Diversität und Antidiskriminierungsarbeit im Kulturbetrieb“. Ich bin Laia Ribera Cañénguez, salvadorianische darstellende Künstlerin und Theaterpädagogin. Ich arbeite zwischen dokumentarischem Objekttheater, Performance und Visual Theatre und beschäftige mich vor allem mit feministischen, postkolonialen und queeren Perspektiven. Hallo, ich bin Kathy-Ann Tan, Kurator*in, Autor*in und Wissenschaftler*in für visuelle Kunst und Performance, dekoloniale Theorie und Gender/Queer Studies und Gründer*in des Projekts decolonialartarchives.com.
Unsere Podcast-Folge heute heißt „Über das Bild hinaus: Diversität im Kunst- und Kulturbetrieb“.
„Diversität“ ist zu einem Schlagwort in Kunst und Kultur geworden. Im deutschen Kontext haben Kunstinstitutionen dieses Wort in ihre Top-10-Liste aufgenommen, neben den Begriffen „dekolonial“, „Inklusivität“ und „Zugänglichkeit“. Als Beispiel: Das Symposium vom Deutschen Tanzpreis 2021 hieß „Creating Access – Diversity“. Die Fördermöglichkeiten für künstlerische Forschung und Projekte, die einen Schwerpunkt auf Diversität legen, sind exponentiell gestiegen.
Ein Beispiel hier in Berlin ist die „Impact-Förderung“. Dieses Förderprogramm wird seit 2020 in Ergänzung zu den sonstigen Förderprogrammen der Senatsverwaltung für Kultur und Europa vergeben und unterstützt jährlich künstlerische Projekte finanziell mit dem Ziel „die Diversitätsentwicklung des Berliner Kulturbetriebs, insbesondere im Bereich der freien Künste (zu) fördern“. Wir begrüßen alle diese Maßnahmen und freuen uns über das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema „Vielfalt“. In diesem Podcast möchten wir uns mit diesem Thema befassen und einige Fragen aus einer kunstschaffenden Perspektive stellen, um die Debatte zu vertiefen: Was bedeutet Diversität? Wer fällt unter dieses Label? Wie interagiert das Label „Diversität“ mit dem der „künstlerischen Qualität“? Welche Rolle spiele ich in einer Institution, wenn ich die einzige BPoC Person, also die einzige Schwarze Person oder Person of Color, bin oder die einzige Person mit Behinderung bin? Muss ich immer über Diversität sprechen und mich als „divers“ profilieren? Wer ist verantwortlich, das Thema Zugänglichkeit zu lösen und Vorschläge an den Institutionen zu machen? Die von Ausschluss betroffenen Künstler*innen?
Wie ihr seht, haben wir viele Fragen. Für uns ist es wichtig, die verschiedenen Aspekte, die sich hinter dem Begriff Diversität im künstlerischen und kulturellen Kontext verbergen, zu beleuchten und die Rolle der Institutionen bei der Veränderung des Status quo zu hinterfragen. Nur so erhalten BIPoC und andere marginalisierte und unterrepräsentierte Künstler*innen nachhaltige Formen der Unterstützung, Anerkennung und Finanzierung.
Zu diesem Zweck haben wir heute zwei besondere Gäste interviewt, Anike Joyce Sadiq, eine in Berlin lebende Künstlerin, die in ihrer Video-, Foto- und Performance-basierten künstlerischen Praxis die Beziehungen zwischen dem Erbe relationaler Ästhetik und politischer Theorie untersucht, und Sophia Neises, eine freischaffende Performerin und Theaterpädagogin, die sich als Künstlerin mit Sehbehinderung identifiziert und in ihrer künstlerische Praxis bedingungslosen Zugang zu Kunst fordert.
Teil 1. Problematik „Diversity Label“ aus einer künstlerischen Perspektive
Um bei dem Beispiel der Impact-Förderung zu bleiben und daran eins der Probleme zu schildern, die ich im Begriff „Diversität“ als Label sehe: Im Fördersystem der freien darstellenden Künste in Berlin gibt es ein Stufensystem – oder sogenanntes Röhrensystem – man kann zuerst eine Einstiegsförderung beantragen, danach eine Projektförderung, später kann man zwei- oder vierjährige Förderungen beantragen. Es ist sehr schwierig, in dieses Förderungskarussell reinzukommen; viele Künstler und Künstlerinnen probieren es jahrelang erfolglos und geben es irgendwann auf, total frustriert: Zu viele von denen, die aufhören, sind Schwarze Künstler*innen, PoC Künstler*innen, transnationale Künstler*innen und Künstler*innen mit Behinderungen. Die Frage, die ich mir als queere PoC Künstlerin stelle, ist: Wird die Impact-Förderung in diesem Röhrensystem auch mit bedacht und anerkannt? Also: Ist die Impact-Förderung ein zusätzlicher Weg für marginalisierte und unterrepräsentierte Künstler*innen, um in dieses Röhrensystem reinzukommen?
Ich habe diese Frage schon mehrmals bei Fachkonferenzen gestellt und die Antwort war bis jetzt immer unklar. Das ist ein Beispiel, was ein strukturelles Problem spiegelt: Diversität wird zu oft als ein separates und zeitlich befristetes Thema betrachtet. Versteht mich nicht falsch: Ich finde es super, dass ein extra Topf geschaffen wird, um aktiv Zugangsmöglichkeiten für strukturell marginalisierte Künstler*innen zu schaffen. Aber damit sollte die eigentliche Arbeit der Institution nicht vergessen werden: Das Fördersystem – und damit meine ich alle schon existierende Fördertöpfe – sollte auf seine Zugänglichkeit hinterfragt werden und die Antragskriterien und -verfahren sollten überprüft werden. Und ich spreche bewusst das Thema Förderung als erstes an, denn beim Thema Diversity oder Diversität geht es um eine gerechtere Umverteilung von Anerkennung aber auch von materiellem Reichtum.
Somit beginnen wir damit, den Begriff Diversity zu hinterfragen und herauszufinden, welche Communities von Künstler*innen oft als diejenigen eingestuft werden, die unter das Diversitätslabel fallen. Wenn man sich die Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten ansieht, sind diejenigen, auf die das Etikett „Diversity“ zutrifft, häufig BIPoC, queere und (post-)migrantische Künstler*innen. Zwar sollten Künstler*innen, die sich selbst als Teil dieser Communities bezeichnen, Ressourcen und strukturelle Unterstützung erhalten. Allerdings dürfen die Institutionen nicht entscheiden, welche Art von Diversity „akzeptabel“ und daher förderungswürdig ist. Diversity-Politiken können keine Standardverfahren sein, die aus der Perspektive von Entscheidungsträgern in Institutionen, die Diskriminierung und Marginalisierung nicht aus erster Hand erfahren, pauschal angewendet werden. Stattdessen sollten diese Maßnahmen in Absprache mit Künstler*innen umgesetzt werden, die mit Diskriminierung konfrontiert sind, und deren Vorschläge sollten ernst genommen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage der Tokenisierung und der Instrumentalisierung. Tokenisierung meint, dass marginalisierte und unterrepräsentierte Künstler*innen sowie Künstler*innen mit Behinderungen zur Teilnahme an einem diskursiven Programm oder einer Gruppenausstellung eingeladen werden, nur weil ihre Präsenz, das heißt ihr Name, ihr Aussehen oder ihr kultureller Hintergrund, eine Diversitätsquote erfüllt. Oft wird die eigentliche Arbeit dieser Künstler*innen nicht voll gewürdigt oder aufgrund der vielen Projektionen auf die Künstler*innen nur verkürzt verstanden. Somit bleibt das Engagement für Diversität nur auf der Ebene der öffentlichen/diskursiven Programme und der Künstler*innen, die zur Ausstellung in der Institution eingeladen werden, umgesetzt, ohne dass die Institution tatsächlich etwas unternimmt, um antirassistische und antidiskriminierende Praktiken auf struktureller Ebene umzusetzen. Wir haben Sophia Neises gebeten, uns ihre Meinung und ihre persönlichen Erfahrungen zu diesem Thema mitzuteilen.
Sophia Neises ist freie Performerin und Theaterpädagogin. Seit 2015 lebt und praktiziert sie in Berlin. Ihre künstlerische Praxis erstreckt sich von der prozessorientierten Lehrtätigkeit in Tanz und Theater mit Menschen aller Hintergründe und Fähigkeiten bis hin zu Kollaborationen als Performerin in Tanzperformances.
Sophia Neises: Manchmal stelle ich mir schon die Frage, ob meine Karriere real oder fake ist. Ich bekomme Jobanfragen von Leuten, die noch nie mit mir gesprochen haben oder in einem Workshop von mir waren oder mich auch noch nie in der Performance erlebt haben. Sie haben dann kaum Informationen von mir und wahrscheinlich nur „sie ist eine sehbehinderte Performerin“. Ich bekomme derzeit einige solcher eher random Anfragen, in denen es dann heißt „Hallo, ich möchte mit dir arbeiten, wann hast du Zeit?“
Ich habe solche Anfragen auch schon angenommen. Ich bin freischaffend und kann mir auch nicht immer leisten, zu wählen. Dieser eher willkürliche Findungsprozess wirkt sich aber dann schon auch auf mein Selbstverständnis in den Proben und Aufführungen aus. Ich frage mich dann: Warum bin ich hier? Was ist meine Position oder meine Aufgabe, außer sehbehindert zu sein? Ich bin vielleicht Mittel zum Zweck, um eine Quote zu erfüllen? Dann stelle ich in Frage, ob meine Intersektionalität, meine Individualität, meine Persönlichkeit überhaupt anerkannt wird.
Dann wird doch irrelevant, was ich tue oder beitrage. Dann entwickle ich mich auch nicht weiter und das ist ein Anspruch, den ich habe ans Kunstmachen. Ein anderes Problem von Tokenism ist auch, dass meine künstlerische Qualität nicht wahrgenommen werden kann. Das hat auf mich die Wirkung, dass ich daran zweifle, ob ich eine Künstlerin bin. Es ist schwer, sich von diesem Stigma zu befreien.
Heute versuche ich immer sicherzustellen, dass auch noch andere Menschen mit Behinderungen im Prozess beteiligt sind. Ich frage, ob das Team sensibilisiert ist, und frage auch konkret nach, warum eine Person mit mir gerne arbeiten möchte. Ich stelle fest, dass mehr Häuser auch die Arbeit von Künstler*innen mit Behinderungen zeigen, und diese Tatsache ihrem Status als Künstler*innen sehr guttut. Ich freue mich darüber. Finde es aber auch zeitgleich sehr abstoßend, dass die Qualität einer Arbeit daran gemessen wird, wo sie gezeigt wird. Hier hat sich eine Machtstruktur etabliert, in der behinderte Menschen meistens nur verlieren können. Sie haben in der Regel weniger Kontakte oder renommierte Universitäten vorzuweisen, da sowohl Netzwerkveranstaltungen als auch Kunsthochschulen nur selten barrierefrei sind.
Teil 2. Künstlerische Qualität und die Herausforderung vom weißen Blick
„Eines der wichtigsten Instrumente weißer Dominanz ist der Blick. Schauen bedeutet bestimmen, angeschaut werden bedeutet, bestimmt werden. Der gesenkte Blick suggeriert Unterwürfigkeit, das Schauen in die Augen des Unterdrückers hingegen gilt für Unterdrückte als Tabu. Der Blick sieht nicht das Wahre, das Wirkliche. Er projiziert, sucht und übersieht. Er objektiviert. Was in einem Gegenstand gesehen und erkannt wird, ist immer abhängig von den kulturellen und historischen Kontexten, in denen und aus denen heraus betrachtet wird. So markiert und rassifiziert der dominante weiße Blick den Körper des Anderen, ordnet ihn ein, während er sich selbst seinem eigenen Konstrukt entzieht, sich außerhalb desselben positioniert.“ So schreibt Sandrine Micossé-Aikins in ihrem Text „Den Rahmen Sprengen: Künstler_innen of Color im westlichen Kunstbetrieb“.
In den darstellenden Künsten ist in meiner Erfahrung als queer-feministische Künstlerin of Color in Berlin die Machtverhandlung durch das Blickregime etwas komplexer. Klar werde ich als Performerin auf der Bühne vom Blick des mehrheitlich weißen Publikums rassifiziert, exotisiert, objektiviert und als die Andere markiert. Dennoch bin ich die, die auf der Bühne steht, und die, die entscheidet, wie das Stück verläuft. Ich – als Autorin des Stücks – habe die Handlungsmacht, die agency, in meinem Sprechen oder Schweigen, in meinem Blick und Rück-Blick. Das ist einfacher gesagt, als getan, aber dennoch ist es ein anderes Machtverhältnis: Ich schaue zurück und kreiere im besten Fall einen Spiegel, wo das Publikum den eigenen Blick hinterfragen kann. Eine meiner Strategien dabei ist: einerseits während des kreativen Prozesses vor vertrauten Menschen immer mal wieder so genannte Tryouts zu zeigen und danach ins Gespräch zu kommen, um deren Wahrnehmung zu sehen. Andererseits versuche ich, in der Produktion mit Zuschreibungen zu spielen und die in Frage zu stellen durch Übertreibung, Enthüllung, Vor-Augen-Führen, Ausstellung usw.
Als Künstlerin fordere ich, in meiner Sprechfähigkeit und in meiner künstlerischen Entscheidung anerkannt zu werden. Aber so kommen wir zur nächsten Frage: Wer bestimmt die Zugänge zur künstlerischen Förderung? Wie werden Stipendien, Förderungen und Preise entschieden? Es wird immer über „künstlerische Qualität“ gesprochen. Aber was ist eigentlich „künstlerische Qualität“ und wer entscheidet darüber?
Im Kunststudium und beim Arbeiten in einem strukturell weißen Kunst- und Kulturbetrieb sind Schwarze Künstler*innen und Künstler*innen of Color häufig mit der Situation konfrontiert, dass die eigene Kunst in weißen Kontexten nicht verstanden oder beachtet wird oder nur in reduktiver Weise darüber gesprochen wird. Das macht es für Schwarze Künstler*innen und Künstler*innen of Color schwieriger, sich künstlerisch weiterzuentwickeln.
In der Reihe der BPoC Artist Space Workshops, die ich gemeinsam mit Rena Onat leite und die von Diversity Arts Culture organisiert werden, ist dies ein zentrales Thema. Unser Ziel ist es, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sich BPoC Künstler*innen treffen, Ideen austauschen, Fragen stellen und Feedback zu ihren laufenden Arbeiten erhalten können, ohne dass der weiße Blick darauf fällt. Es ist auch ein Raum für Empowerment und für BPoC Künstler*innen, die sich untereinander vernetzen und ihre Arbeit und Praxis gegenseitig unterstützen können. Bisher gab es bereits mehrere Kollaborationen, die aus diesen Workshops hervorgegangen sind. Die kollaborativen Projekte wurden zum Beispiel bei „fluctoplasma – Hamburgs Festival für Kunst, Diskurs und Diversität“ aufgeführt.
In den Workshops teilen wir einige Theorien und Beispiele dafür, wie BPoC und marginalisierte Künstler*innen den weißen Blick in der Kunstwelt herausgefordert haben – zum Beispiel wie sie sich mit Strategien des Antirassismus und der Antidiskriminierung in ihrer Kunst und ihrer Praxis auseinandersetzen. Aber wir teilen auch Ressourcen wie BPoC Perspektiven in der Kunstgeschichte, um die weiße, eurozentrische Perspektive zu dezentrieren, die in den Kunstschulen kanonisiert wird und daher die Kriterien dafür festlegt, was „künstlerische Qualität“ ausmacht.
Anike Joyce Sadiq studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Sie war Stipendiatin der Villa Romana in Florenz, der Kunststiftung Baden-Württemberg und ist 2021 Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude. Wir haben Anike zu ihren Gedanken zu diesem Thema befragt und sie gebeten, einige ihrer Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Institutionen und Kunstgalerien mitzuteilen.
Anike Joyce Sadiq: Wenn ich als Künstlerin eine Arbeit zu Rassismus mache und in der Institution, die diese Arbeit ausstellt – und sich indirekt damit auch schmückt oder für sich wirbt –, Rassismus erfahre, geht es genau um dieses Problem. Als Künstlerin trage ich natürlich in erster Linie Verantwortung für meine eigene Arbeit und für mich selbst, nicht für die Weiterentwicklung oder Verbesserung der Institution. Trotzdem sind die Aushandlungsprozesse und die Auseinandersetzungen mit der Institution natürlich schwer vermeidbar, vor allen Dingen, wenn man sich dafür entscheidet in und mit der Institution zu arbeiten.
Natürlich ist meine eigene Arbeit durch meine Perspektive, meine Erfahrung und meine Positionierung innerhalb der Gesellschaft auch in Bezug auf Gender, Klasse und Race nachhaltig geprägt. In meinen Arbeiten verhandle ich das immer mit, auch wenn es nicht immer im Vordergrund steht. Den Streit mit der Institution empfinde ich allerdings nur dann auch für mich selbst produktiv, wenn ich mich dort klar positioniere – in Solidarität mit marginalisierten Künstler*innen. Ob sich diese Backstage-Kämpfe wirklich lohnen, bezweifle ich, denn, was es eigentlich bräuchte, wäre eine Art Archiv dieser Streits, dieser Auseinandersetzung und dieser Kritik. Oft handelt es sich nicht um ein längerfristiges Einlassen mit der Institution, das heißt über die „Complaints“ wird kein Buch geführt, man wiederholt auch für sich selbst mit jeder Institution, mit der man zu tun hat, eine ähnliche Kritik, führt ähnliche Streits und beginnt jedes Mal wieder aufs Neue.
Ich denke, die Forderung auf einem anderen Level des Diskurses einsteigen zu können, ist total legitim, weil man keine Kraft hat, immer wieder bei null anzufangen. Was man als Künstler*in mit der jeweiligen künstlerischen Arbeit beiträgt, ist schon die Arbeit, die oft Institutionen einem im Hintergrund abverlangen. Die Voraussetzung, dass diese Arbeit tatsächlich auch gesehen und gehört wird, wäre, dass die Institution es wagt, die Arbeiten ernstzunehmen als ein Anlass, die eigenen strukturellen Veränderungen anzugehen und umzusetzen.
Teil 3. „Institutional Accountability und Struktureller Wandel“
Welche Möglichkeiten haben BPoC und andere marginalisierte Künstler*innen, sich selbst zu ermächtigen und Strategien zu entwickeln, um sich in den dominanten weißen Räumen der Kunstwelt zurechtzufinden? Wie können wir Formen der Finanzierung und Programme einfordern, die nachhaltig sind, die keine Stereotypen oder Formen des Rassismus wie white saviorism, (weißen feministischen) Extraktivismus [1] oder Tokenisierung wiederholen? Wie sehr können wir Institutionen unter Druck setzen und herausfordern und gleichzeitig von ihnen Anerkennung und Geld für unsere Arbeit erhalten, damit wir unsere künstlerische Forschung und Praxis fortsetzen können? Wann können wir es uns leisten, Nein zu sagen, ohne eine Chance zu verlieren oder mit Gegenreaktion, d.h. Backlash konfrontiert zu werden?
Sophia Neises: Theater müssen barrierefrei für ein behindertes Publikum, für behinderte Kunstschaffende und behinderte Mitarbeitende in allen Bereichen werden. Es braucht und ich brauche behinderte Identifikationsfiguren. Also die Kunst behinderter Menschen auf Bühnen. Gesellschaftlich würde das die Akzeptanz und Anerkennung behinderter Künstler*innen mit sich bringen. Dafür müssen Theater beginnen, sich der Ästhetik behinderter Künstler*innen gegenüber zu öffnen. Derzeit ist es etwas verbreiteter, Barrierefreiheit an Theatern zu schaffen. Da spreche ich natürlich nicht von Veränderungen in Leitungsebenen. Es bleibt hier meistens auf der Ebene Barrierefreiheit für das Publikum.
Mir macht allerdings das Phänomen von Trends Angst – ein Trend ist schnell vorbei und gerade deshalb muss die Programmierung behinderter Kunstschaffender als fester Bestandteil eines Theaters betrachtet werden. Für einen strukturellen Wandel, den es braucht, um behinderte Künstler*innen zu programmieren und barrierefrei für behindertes Publikum zu werden, muss zudem auch behindertes Personal genauso selbstverständlich wie nicht behindertes Personal eingestellt werden. Dafür müssen allerdings gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden, und zwar bevor die Menschen dort sind. Das bedeutet: Arbeitsstrukturen über den Haufen werfen. Es braucht die Flexibilität, sich zum Beispiel auch zu fragen: Wie barrierefrei ist ein Tisch oder Stuhl, an dem wir uns zu treffen haben? Wie muss ein Team gedacht werden? Wer kann welche Aufgaben übernehmen? Wie barrierefrei ist unsere Art der Kommunikation? Und auch wie flexibel oder starr ist die Institution in ihren Stellenausschreibungen? Sind die Abläufe, die sich über Jahre eingespielt haben, überhaupt nachhaltig für das Gesamtteam? Spannend ist nämlich, dass wenn behinderte Mitarbeitende ableistische Strukturen offenlegen, auch nicht behinderte Menschen oder Mitarbeitende anfangen, ihre Arbeitssituation am Theater zu reflektieren und diese unter den Gesichtspunkten physische und mentale Gesundheit meistens als nicht befriedigend erachten.
Natürlich wird hier dann auch deutlich, wer trotz ableistischer Strukturen in den Arbeitsmarkt aufgenommen wird und wer nicht. Wo nicht behinderte Menschen oftmals eine 12-Stunden-Schicht dann doch noch durchziehen können, bedeutet das einen klaren Ausschluss für die meisten behinderten Menschen und sie werden dann nicht eingestellt.
Sophia meint, um Diversität zu schaffen, müssen die Institutionen offen sein, sich zu verändern auf einer strukturellen Basis. Wenn wir Teilhabe ernst nehmen, bedeutet es, dass sich die Räume, die Strukturen und die Institutionen mit ihren Spielregeln verändern werden und verändern müssen, wenn andere Menschen mit anderen Perspektiven und Bedürfnissen Teil des Spiels werden. Um beim Beispiel der Förderung dranzubleiben: Eine Forderung von transnationalen Künstler*innen in Berlin ist, dass man beim Antragskriterium der Einzelprojektförderung nicht schon „eine Produktion in Berlin gezeigt haben muss“, sondern einfach, dass man bereits eine Produktion gemacht haben soll, egal in welchem Teil der Welt diese gezeigt wurde. Nur so wird die berufliche Erfahrung von migrantischen Künstler*innen anerkannt und wir können über eine Begegnung auf Augenhöhe sprechen.
Zusätzlich zu den Diversitätspraktiken muss es daher auch eine gewisse „strukturelle Verantwortlichkeit“ seitens der Institution geben, die für sich in Anspruch nimmt, eine Politik des Antirassismus und der Antidiskriminierung zu vertreten. Eine Institution ist niemals ein neutraler Raum, sondern eine Einrichtung, die ein bestimmtes Ethos und eine bestimmte Praxis hat, die mit ihrem Vorstand, ihren Geldgeber*innen, ihren Mitgliedern usw. verbunden ist. Institutionen sollten ihre Struktur transparent machen, damit eingeladene Künstler und Künstlerinnen in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden können, ob sie die Einladung zur Teilnahme an dem Projekt annehmen oder ihre Werke dort ausstellen wollen oder nicht. Dies gilt nicht nur für größere Kunstinstitutionen und Einrichtungen, sondern auch für kleinere Off-Spaces, die eingeladene Künstler und Künstlerinnen oft nicht angemessen entlohnen und sich hinter der Ausrede verstecken, dass es sich um einen gemeinnützigen Kunstraum handelt.
Auch hier haben wir Anike gebeten, uns ihre eigenen Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Institutionen und Kunstgalerien mitzuteilen.
Anike Joyce Sadiq: Als eine künstlerische Arbeit oder als ein künstlerisches Projekt interessiere ich mich für die Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung des Status quo, also einer Bestandsaufnahme in Bezug auf die Strukturen von Kunstinstitutionen. Dazu gehört dann die Personalpolitik genauso wie die Programmatik der Ausstellung, die Sammlung, die Arbeitsbedingungen, die Möglichkeiten der Teilhabe und der Barrierefreiheit, aber auch die Finanzierung der Institution.
Auf was ich relativ oft stoße, sind Texte zum Selbstverständnis der Institution oder auch Mission Statements, die allerdings keine Zeugenschaft ablegen darüber, wie gut es die Institution überhaupt schafft, diesen Vorsätzen gerecht zu werden. Die Frage ist eigentlich: In welchem Verhältnis steht das, was die Institution durch ihr Ausstellungs- und ihr Veranstaltungsprogramm zu Fragen von Gender, politischer und sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus oder Restitution verhandelt, zu ihren eigenen wirkungsmächtigen institutionellen Strukturen?
In meiner Vorstellung wird das Ergebnis des Fragebogens direkt in einen Text übersetzt, der eben diesen Status quo abbildet. Die Institution selbst könnte diesen Text benutzen, gleichzeitig wäre dieses Offenlegen sehr hilfreich für Künstler*innen, die oft nur temporär mit der Institution zusammenarbeiten. Denn von außen ist es oft schwer einzuschätzen, auf was man sich tatsächlich einlässt, wenn man eine Ausstellung zusagt. Auch im Fall von Residencys weiß man oft nicht, auf was für Strukturen man trifft. Ich denke, grundsätzlich wünscht sich jeder, dass die künstlerische Arbeit bei der Zusammenarbeit im Vordergrund steht, meine eigene Erfahrung ist aber, dass dieses Ideal selten der Fall ist.
Wir stehen voll und ganz hinter der wichtigen Forderung von Anike nach struktureller Verantwortlichkeit seitens der Kunstinstitutionen und möchten die Frage stellen, wie marginalisierte und unterrepräsentierte Künstler*innen klare Grenzen setzen und ihre Arbeitsbeziehungen mit Institutionen aushandeln können, die sie einladen, Teil ihres Programms zu sein. Es könnte ein gewisser Paradigmenwechsel notwendig sein, um zu verstehen, dass es die Künstler*innen sind, die die Institutionen schaffen, und nicht andersherum.
Als Zusammenfassung: Es müssen nachhaltige und langfristige Förderstrukturen für Künstler und Künstlerinnen aus marginalisierten und unterrepräsentierten Gemeinschaften geschaffen werden. Diese Förderprogramme sollten im Sinne der Künstler*innen und der Kunstwerke umgesetzt werden und nicht dazu dienen, das Image der Förderinstitutionen und Organisationen zu verschönern, damit sie diversitätsorientiert, antirassistisch oder progressiv erscheinen. Die existierenden Förderstrukturen und Programme sollten auf ihre Zugänglichkeit überprüft werden. Es ist nicht möglich, über Vielfalt zu sprechen (oder gar zu behaupten, dass man Vielfalt praktiziert), wenn Institutionen auf einer strukturellen Ebene nicht bereit sind, Selbstkritik und Verantwortlichkeit zu üben, um plausibel Veränderungen zu bewirken.
[1] Extraktivismus ist die Nutzung und Aneignung von Wissen und Erfahrung von BIPoC Künstler*innen, ohne sie für ihre Zeit und ihren Beitrag anzuerkennen oder angemessen zu entlohnen. Es ist oft eine Art Abkürzung, die von weißen Institutionen praktiziert wird, die nicht selbst die Arbeit leisten, um sich zu informieren, sondern das Wissen und die Netzwerke von BIPoC Künstler*innen für ihren eigenen Gewinn und ihr öffentliches Image nutzen.