Gerechtigkeit in Prozenten?
Diversität als rechtliche Verpflichtung
Podcastfolge mit: Maryam Haschemi, Koray Yılmaz-Günay, Gerlinde Bendzuck, Yvonne Büdenhölzer
Das Gespräch im Wortlaut
[Anfang Intromusik]
„Ich finde eigentlich diese Aussage, dass man sagt, Kunst von Regisseurinnen ist schlechtere Kunst als von Regisseuren, das finde ich schon total kunstfeindlich. Und eigentlich kann man da gar nicht argumentieren, sondern muss sich ein dickes Fell zulegen und das ignorieren.“ [Yvonne Büdenhölzer]
„Es ist interessant, in Deutschland, Macht ist automatisch negativ konnotiert. Wenn ich sage Power auf Englisch, wenn ich rede von Empowerment zum Beispiel, haben Menschen ein ganz anderes Gefühl, als wenn ich Macht sage.“ [Clementine Burnley]
„Die Frage ist eigentlich: In welchem Verhältnis steht das, was die Institution durch ihr Ausstellungs- und ihr Veranstaltungsprogramm zu Fragen von Gender, politischer und sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus oder Restitution verhandelt, zu ihren eigenen wirkungsmächtigen institutionellen Strukturen?“ [Anike Joyce Sadiq]
[Ende Intromusik]
Three Reasons Why – Ein Podcast von Diversity Arts Culture zu Diversität und Antidiskriminierungsarbeit im Kulturbetrieb
Was ist Diversität? Was hat sie mit Diskriminierung zu tun und warum ist Diversität so wichtig für den Kulturbetrieb? Darüber wollen wir reden – mit Künstler*innen und Kulturschaffenden, mit Wissenschaftler*innen, Jurist*innen und Aktivist*innen. Unter dem Titel „Three Reasons Why“ wollen wir uns in drei Folgen anschauen, wie Diversität sich rechtlich, moralisch und ästhetisch begründen lässt. Dabei tauchen wir in vielschichtige Debatten rund um Diversität in Kunst und Kultur ein. Wir stellen uns und unseren Gästen Fragen zu strukturellen Ausschlüssen, Gerechtigkeit, Ästhetik und Verantwortung.
Los geht’s mit Folge 1 „Gerechtigkeit in Prozenten? Diversität als rechtliche Verpflichtung“
In dieser Folge möchten wir darüber sprechen, welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten Kulturinstitutionen haben, sich diskriminierungskritisch zu organisieren und Maßnahmen für mehr Diversität zu ergreifen. Wir, das sind Eylem Sengezer und Cordula Kehr von Diversity Arts Culture.
Welche Antidiskriminierungsgesetze sind für den Berliner Kulturbetrieb relevant? Welchen gesellschaftlichen Auftrag haben Kulturinstitutionen in Bezug auf Chancengerechtigkeit und den Abbau von Barrieren?
Wenn wir über juristische Werkzeuge zur Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung sprechen, spielen sogenannte Positive Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Positive Maßnahmen sind Fördermaßnahmen, die diskriminierende Strukturen abbauen und strukturell benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft oder einer Institution zugute kommen. Eine der bekanntesten Positiven Maßnahmen ist die Quote. Wir schauen uns an, wo im Kulturbereich bereits mit Quoten gearbeitet wird und versuchen die Frage zu beantworten, ob Quoten den langersehnten Strukturwandel herbeiführen und Chancengerechtigkeit herstellen können.
Doch als erstes blicken wir auf die Gesetze: Deutschland hat 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, eingeführt. Im Jahr 2000 wurden nämlich alle europäischen Staaten zur gesetzlichen Umsetzung von vier Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union in nationales Recht verpflichtet.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet seit 2006 Arbeitgeber*innen, also auch Kulturinstitutionen, sich mit struktureller Benachteiligung auseinanderzusetzen. Dazu gehört zum Beispiel Beschwerdestellen und Beschwerdeverfahren einzurichten für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Wer davon im Speziellen betroffen ist, definiert das Gesetz gleich mit. Das AGG schützt Menschen vor rassistischer Benachteiligung, vor Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.
Außerdem formuliert das AGG die Möglichkeit, Positive Maßnahmen durchzuführen. Dabei geht es um Fördermaßnahmen, die den benachteiligten Gruppen durch die Veränderung von Strukturen bessere Zugangs- und Arbeitsbedingungen herstellen. Das Ziel ist, eine Institution in Richtung Nicht-Diskriminierung weiterezuentwicklen. Positive Maßnahmen sind ein Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt.
Wie sehen solche Positiven Maßnahmen konkret aus? Das können zum Beispiel gezielte Weiterbildungs- und Förderangebote sein, Mentoring-Programme, Stipendien, niedrigschwellige Bewerbungsverfahren oder sogar Einstellungsverfahren, bei denen benachteiligte Personengruppen bevorzugt werden.
Klingt erstmal toll! Ganz so einfach ist es aber leider nicht. Denn seit dem Inkrafttreten des AGGs hat sich gezeigt, dass einige Regelungen nicht verbindlich genug sind. So ist der Paragraf 5 Positive Maßnahmen des AGG nicht verpflichtend formuliert. Das heißt, ob und welche Positive Maßnahmen ergriffen werden, bleibt für Arbeitgeber*innen eine freiwillige Entscheidung. Es fehlt also an Verpflichtungen oder einem Anreiz.
Wenn nun vieles von der Freiwilligkeit abhängt, stellt sich die Frage, wie ein Strukturwandel unter diesen Voraussetzungen überhaupt gelingen kann.
Hier könnte ein Blick in ein weiteres Berliner Gesetz hilfreich sein, das weniger auf Freiwilligkeit in der Frage der Prävention von Diskriminierung setzt. In Berlin ist 2020 das Landesantidiskriminierungsgesetz, kurz LADG, in Kraft getreten. Es ist das erste Gesetz bundesweit, das von Diskriminerung statt von Benachteiligung spricht. Auch wenn das LADG in erster Linie vor Diskriminierung durch öffentliche Stellen wie Schule, Polizei und landeseigenen Behörden oder Stiftungen schützt, erweitert es die gesellschaftliche Debatte um Diskrimninierung und den Umgang damit. Wir erwarten, dass es somit auch den Diskurs im Berliner Kulturbetrieb prägen wird, der maßgeblich von öffentlicher Hand gefördert wird.
Aber noch einmal zurück zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Zunächst wollen wir besser verstehen, wie die Quote funktioniert und ob sie gerecht ist, obwohl sie Menschen bevorzugt. Wir fragen die Rechtsanwältin und Antidiskriminierungsberaterin Maryam Haschemi, unter welchen Voraussetzungen eine Quote angemessen ist und wie sie umgesetzt werden kann.
Maryam Haschemi: Quoten, das muss man einfach schon nochmal fairerweise sagen, sind natürliche eine Form der Ungleichbehandlung. Diese Ungleichbehandlung kann aber juristisch gesehen natürlich gerechtfertigt werden, weil, und das AGG kennt das im Paragraph 5, dem Paragraphen, der sich mit diesem Thema der Positiven Maßnahmen auseinandersetzt. Und Paragraph 5 eröffnet erstmal juristisch die Möglichkeit, dass für die im AGG genannten Merkmale, und nur für diese, solche Positiven Maßnahmen geschaffen werden können. Diese Quoten, weil sie schon auch nochmal das Einstellungsverfahren beeinflussen, würde ich schon sagen, sind eigentlich auch ein Instrument, was nur auf einen bestimmten Zeitraum gedacht werden soll. Es geht ja nicht darum, für die nächsten 40 Jahre nach der Quote einzustellen, sondern die Idee dahinter ist ja, dass wenn wir solche Quotenregelungen schaffen, wir das Beschäftigungsverhältnis verändern und ab einem bestimmten Punkt, wenn wir die Quote erreicht haben, und wir nehmen jetzt einfach mal an 40 Prozent Frauen in zum Beispiel Führungspositionen haben oder in sehr männlich dominierten Arbeitsbereichen, eine bestimmte Quote von Frauen eingestellt haben, dass ab einem bestimmten Punkt aufgrund der Verhältnismäßigkeit, sich das System alleine reguliert. Das heißt, weil mehr Frauen in diesen Unternehmen arbeiten und erfolgreich sind, sich natürlich auch mehr Frauen wiederum auf diese Posten bewerben und damit das Verhältnis in der Leistungsauswahl über die Zeit durch die Quote von alleine dahingehend bewegt, dass wir ein ausgewogenes Verhältnis haben. Das ist die Idee dahinter. Und das ist natürlich die Frage, ob sich das in der Realität tatsächlich so umsetzen lässt. Weil die Quote alleine hier natürlich auch nicht zur Chancengerechtigkeit in einem Unternehmen beiträgt. Weil die Quote ist quasi nur die Eingangstür. Wenn das System dahinter sich nicht verändert hat, wenn das System nicht diversitätsorientiert arbeitet, diskriminierungssensibel arbeitet, dann werden viele Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte, BIPoCs, die über so eine Quotenregelung reingegangen sind auch ganz schnell wieder rausgehen. Und dann werden wir diese Quote immer behalten müssen, weil wenn das System dahinter sich nicht verändert, dann hilft uns das nicht. Das heißt diese Quotenregelung ohne ein Veränderungssystem in der gesamten Organisation halte ich auch nicht für nachhaltig. Das finde ich schon, ist ein großer Kritikpunkt an diesem Quotensystem.
Dass gesellschaftliche und institutionelle Strukturen sich nur allmählich verändern, ist hinlänglich bekannt. Denn Gesellschaft ist durchdrungen von Machtstrukturen und Hierarchien. Wer wird am Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gehindert? Schwarze Menschen und Personen of Color sind auch in einer so vielfältigen Stadt wie Berlin in den Institutionen und Verwaltungen immer noch kaum vertreten. Darauf weist auch Koray Yılmaz-Günay hin. Koray Yilmaz-Günay ist Co-Geschäftsführer des Migrationsrats in Berlin, der sich für mehr Repräsentation und Chancengerechtigkeit von Menschen mit Rassismus- und Migrationserfahrung einsetzt und in diesem Zusammenhang eine 35%-Mindestquote für die Berliner Verwaltung, für Landesinstitutionen und auch für öffentlich-rechtlich organisierte Betriebe fordert.
Koray Yılmaz-Günay: Im Sommer 2021 ist im Abgeordnetenhaus von Berlin das Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft beschlossen worden, das PartMigG. Das ist eigentlich nur eine Überarbeitung des alten Partizipations- und Integrationsgesetzes von 2010, aber es geht in wesentlichen Punkten ziemlich viel weiter. Und wenn es jetzt auch noch umgesetzt wird, sind wir als Stadtgesellschaft wirklich einen Schritt weiter gekommen, würde ich sagen, was die Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte angeht. Allerdings verweist dieser Begriff „Menschen mit Migrationsgeschichte“ auch weiterhin auf ein Dilemma, aus dem wir nicht rauszukommen scheinen. Ich weiß gar nicht, wie lang diese Migrationsgeschichte dauern soll. Viel wichtiger wäre es ja, die Betroffenen von Rassismus statistisch zu erheben und das zum Kriterium zu machen. Es ist so, dass beispielsweise auch deutsche Sinti*zze und Rom*nja nicht ausreichend repräsentiert sind, die haben aber gar nichts mit Migration zu tun. Und auch die Urenkel, der ersten Gastarbeiter-Generation, die Deutsche sind, und nicht mehr in die Kategorie Migrationshintergrund fallen, die vom statistischen Bundesamt erfasst wird, brauchen etwas anderes, um in die Institutionen zu kommen. Eine 35%-Quote für Menschen mit Migrationshintergrund wäre natürlich wünschenswert. Klar! Aber, wenn damit weiter weiße Menschen aus Nachbarländern von Deutschland gemeint sind, hilft eine solche Quote eigentlich gar nicht dabei, die fehlende Repräsentation zu thematisieren von der Schwarze Menschen und Menschen of Color betroffen sind, weil Verwaltung, Betriebe, Stiftungen, auch Kultureinrichtungen natürlich sagen können „Schaut, wir haben doch so und so viele mit Migrationshintergrund!“ Das heißt, indem sie weiße Menschen aus den Niederlanden oder aus Frankreich mitzählen, wird es schwieriger, die Ungerechtigkeit zu thematisieren, von der Schwarze Menschen und Menschen of Color aus Deutschland weiterhin betroffen sind. Deswegen wäre es wichtig, eine neue statistische Grundlage zu schaffen. Anti-Diskriminierungs- und Gleichstellungsdaten, wie sie europaweit im Gespräch sind, wären dabei hilfreicher als ein bloßer Blick auf den Geburtsort oder auf den Pass von Menschen. Oder auf die Pässe oder Geburtsorte der Eltern oder Großeltern. Außerdem wäre natürlich auch gut, bei Fragen von Repräsentation viel weniger auf Freiwilligkeit zu setzen.
Kulturinstitutionen haben, wie wir nun wissen, mit Positiven Maßnahmen eine rechtliche Handhabe, um Diversität zu fördern. Und sie haben eine Verantwortung in Bezug auf Chancengerechtigkeit, auch wenn diese eher auf Freiwilligkeit baut.
Diese Verantwortung gilt besonders für gesellschaftlich benachteiligte Gruppen. Zu diesen Gruppen zählen auch Menschen mit Behinderungen, die nach wie vor auf vielen Ebenen der Gesellschaft starke Ausschlüsse erfahren. Um Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung insbesondere im Arbeitsleben zu schützen, gibt es das SGB IX, das Sozialgesetzbuch, das eine wichtige gesetzliche Grundlage bildet, um Teilhabe einzufordern. Aber auch die 2009 von Deutschland unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention nimmt mit Artikel 30 auf den Ausschluss von Menschen mit Behinderung im Kulturbereich Bezug. Sie verpflichtet die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigten Zugang zu Kulturorten und deren Programm haben. Und Menschen mit Behinderung sollen die Möglichkeit haben, ihr künstlerisches Potenzial zu entfalten und die Gesellschaft damit zu bereichern. Es müssen im Kulturbereich und im Ausbildungsbereich also Barrieren abgebaut werden, damit Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmte künstlerische Laufbahn einschlagen können. Und Kulturinstitutionen müssen so barrierefrei sein, dass Künstler*innen mit Behinderung – egal ob frei oder angestellt – mit und in Kulturinstitutionen arbeiten können.
Barriereabbau ist deswegen inzwischen für viele Kulturinstitutionen ein Thema. Dennoch vermisst Gerlinde Bendzuck, die beruflich Publikumsforschung betreibt und in unterschiedlichen Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderungen aktiv ist, einen systematischen Inklusionsansatz bei vielen Institutionen.
Gerlinde Bendzuck: Dreizehn Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention kann man sich schon die Frage stellen „Wie inklusiv ist meine Institution eigentlich inzwischen?“ – von der Besucher*innenseite und für die Aufführenden und die Künstler*innen. Mir fehlt bisher der systematische Ansatz bei vielen Institutionen. Als Kultur-Besucher*in mit einer Behinderung erwarte ich eine Inklusionsgarantie. Das bedeutet unter anderem: barrierefreies Online-Ticketing, auffindbare Informationen, wie barrierefrei – oder eben noch nicht – eine Institution für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ist, inklusive angemessener Vorkehrungen zum Ausgleich mangelnder Barrierefreiheit. Ich erwarte geschultes Personal an allen Kontaktpunkten der Servicekette. Vor allem aber erwarte ich von den Organisationen detaillierte Maßnahmenpläne, in welchen Zeithorizonten und mit welchen Mitteln die Zugangsbarrieren abgebaut werden. Die zugrunde liegende Evaluation und die Maßnahmenpläne sollten auf Augenhöhe gemeinsam mit betroffenen Expert*innen erarbeitet und regelmäßig überprüft werden. Und selbstverständlich sollte die Förderhöhe auch an die Erfüllung der Inklusionsziele geknüpft werden. Im Rahmen des Audience Development sollten Maßnahmenpläne entstehen, wie besonders von Zugangshürden betroffene Menschen mit Behinderungen von den Kulturschaffenden und ihren Institutionen besser als bisher angesprochen werden können: Wie sind zum Beispiel Menschen erreichbar, die in Einrichtungen leben, Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen? Dafür sind möglicherweise neue oder angepasste Veranstaltungsformate nötig, die aber auch eine Chance der Bereicherung für nicht von einer Behinderung betroffene Besucher*innen bieten. Gleichzeitig wird so künstlerisches Potenzial aktiviert.
Sehr wichtig ist in meinen Augen für das schrittweise Gelingen von kultureller Inklusion, dass sich die Haus- und Abteilungsleiter*innen zu einer wirklich inklusiven Ausrichtung ihres kulturellen Angebots bekennen – 360 Grad – und dafür das nötige Wissen erwerben sowie die nötigen Ressourcen bereitstellen. Warum braucht es diese inklusive Haltung in den Leitungsetagen, jenseits bestehender gesetzlicher Vorgaben? Eine nachhaltige Publikums-, aber auch eine nachhaltige Programm- und Personalentwicklung ist per se divers und damit auch inklusiv. Wir denken allein an die Besucher*innenquantität: Rund 600 Tausend Menschen mit einer Behinderung leben in Berlin, plus Tourist*innen: das ist ein großer und bisher sehr vernachlässigter Markt! Und selbstverständlich denken wir auch an die Besucher*innenqualität. Es macht etwas mit einem Publikum, wenn es diverser aufgestellt ist und beispielsweise auch in einem angemessenen Anteil Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen repräsentiert sind.
Was aber, wenn sich eine Institution nicht inklusiv bewegen möchte oder meint, dies aus Gründen wie beispielsweise Denkmal- oder Brandschutz, mangelnden Ressourcen oder mangelndem Wissen nicht zu können? In diesem Fall bieten zum Beispiel das neue Landesgleichberechtigungsgesetz sowie das Landesantidiskriminierungsgesetz wichtige neue Möglichkeiten, dass Einzelpersonen oder Verbände der Menschen mit Behinderungen beispielsweise aufgrund von Verweigerung angemessener Vorkehrungen oder aufgrund Diskriminierung rechtlich gegen diese nicht-aktiven Kulturinstitutionen vorgehen können.
Lassen Sie uns positive Perspektiven für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen als Besucher*innen oder Kulturschaffende avisieren: Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen in den Kulturbetrieben die Corona-Pause jetzt nutzen, um effektive Öffnungsstrategien für kulturelle Inklusion gemeinsam mit den Expert*innen aus den Communities und Verbänden zu erarbeiten und dabei auch die Schnittmengen zu anderen marginalisierten Gruppen gut nutzen. Eine Berliner Strategiekonferenz für kulturelle Inklusion könnte und sollte Impulse setzen, diese guten Beispiele sichtbar und skalierbar zu machen und Strategien für mehr kulturelle Inklusion schneller in eine selbstverständliche Alltagspraxis zu überführen. Schaut man in die Berliner Koalitionsvereinbarung 2021-2026, liest man dort: „Die Koalition ist in ihrer Kultur- und Medienpolitik den Grundsätzen von Freiheit, sozialer Gerechtigkeit, fairer Vergütung, Equal Pay, ökologischer Nachhaltigkeit, Gleichstellung, Diversität und Inklusion verpflichtet.“ Nehmen wir also die Kulturpolitik und die Kulturbetreibenden beim Wort für die Schaffung von gleichberechtigter kultureller Teilhabe in Berlin!
Trotz aller Gesetzgebungen – der große Strukturwandel blieb bisher aus: keine Klagewellen nach AGG, keine verbindlichen Quoten, keine Verpflichtungen, stattdessen gibt es nach wie vor Strukturen, die den Erhalt von Macht und Privilegien stützen und sich nur sehr langsam ändern.
Braucht es deswegen mehr Mut zur Selbstverpflichtung? Braucht es finanzielle Anreize, die gesellschaftliche Teilhabe zu stärken? Und was für Erfahrungen mit freiwilligen Quoten gibt es bereits im Kulturbereich?
Wir haben uns die wichtigsten Gesetze angeschaut, die im Kulturbetrieb in Bezug auf Antidiskriminierung, Diversitätsentwicklung und Chancengerechtigkeit eine Rolle spielen. Die 35 %-Quote für Menschen mit Rassismuserfahrung in der Berliner Verwaltung wurde nicht eingeführt. Das AGG erlaubt Arbeitgeber*innen aber die Einführung einer Quote in ihrer Institution. Uns stellt sich deswegen die Frage: Wie steht eigentlich der Kulturbetrieb zu Quoten?
Einerseits ist die Quote ein rotes Tuch im Kulturbetrieb: „Eine Quote würde die Kunst zerstören“, titelte beispielsweise Die Zeit einst anlässlich der Oscarverleihung. Wo im Kulturbetrieb über Quoten gesprochen wird, wird schnell der Vorwurf der Zensur laut. Quote und Kunstfreiheit, Quote und Qualität werden leider oft als Gegensatzpaare begriffen.
Andererseits setzen einige Kulturinstitutionen, Kulturschaffende und Künstler*innen ganz bewusst auf freiwillige Quoten, um endlich etwas an den ausschließenden Strukturen des Kulturbetriebs zu ändern.
Die Frauenquote ist die mit Abstand am häufigsten geforderte und erprobte Quote im Kulturbereich. Das liegt unter anderem daran, dass sie sich – zumindest wenn man einer binären Geschlechtereinteilung in Mann und Frau folgt – leicht festsetzen und überprüfen lässt: So fordern beispielsweise die Initiativen ProQuote Film und ProQuote Bühne 50 Prozent Frauenanteil in allen Gewerken der Bühnen- und Filmbranche.
In Museen lässt sich die Zahl der ausgestellten Künstlerinnen leicht zählen – auch von Aktivistinnen wie den Guerilla Girls. Ein bekannter Slogan der Gruppe heißt „Do women have to be naked to get into the Met?“ also auf Deutsch „Müssen Frauen nackt sein, um ins Met, das Metropolitan Museum of Art, zu kommen?“ Mit diesem Spruch machten die Guerilla Girls darauf aufmerksam, dass in großen Museen zwar viele Bilder mit Frauenakten hängen, diese aber zu einem sehr großen Teil von männlichen Künstlern gemalt wurden.
Durch solche Aktionen und das wachsende gesellschaftliche Interesse an feministischen Themen erhöht sich der öffentliche Druck auf Museen. Manche Museen arbeiten deswegen mit freiwilligen Selbstverpflichtungen. In den Niederlanden haben sich 2019 drei Museen Frauenquoten gesetzt, um mehr Werke von Künstlerinnen zu kaufen und auszustellen.
Auch Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens der Berliner Festspiele, entschied sich 2019 zur Einführung einer 50 Prozent Frauenquote für die 10er Auswahl des Theatertreffens. Wir haben mit ihr gesprochen, um zu erfahren, wie sie die Wirksamkeit dieser Quote einschätzt.
Yvonne Büdenhülzer: In der Historie des Theatertreffens waren bis 2019 11,2 Prozent Regisseurinnen und über 88 Prozent Regisseure. Ich hatte dann einfach das Gefühl, das ändert sich nicht mit nur guten Absichtserklärungen und habe dann entschieden, was passiert eigentlich, wenn man so eine Quote von außen setzt und habe das dann mit verschiedenen Juror*innen auch diskutiert, dann auch mit der Intendanz diskutiert und dann sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir das auf jeden Fall jetzt mal von außen vorgeben werden. Dann haben wir erstmal für zwei Jahre die Quote gesetzt und die haben wir jetzt auch nochmal verlängert um zwei Jahre.
Geändert hat sich zum einen das Sichtungsverhalten der Jury, weil erstmal schonmal viel mehr Regisseurinnen angeschaut worden sind. Also die Juror*innen sind ja frei, wo sie hinreisen und wie viel sie reisen und wenn es dann auf dem Reiseplan zwei Inszenierungen gab, die einer Frau oder die eines Mannes, sind sie immer zu der Frau gefahren, weil sie auch selber natürlich innerhalb ihrer Reisestatistik die Quote erfüllen wollten. Also das heißt erstmal sind mehr Regisseurinnen angeguckt worden, es ist auch mehr in der Fläche angeschaut worden, das kann man auch sagen, abseits der großen Metropolen. Uns war immer klar, wenn wir die Quote setzen, wird sich ja nicht sofort die Theaterlandschaft verändern. Das ist ja ein langwieriger Prozess. Und was wir aber glaube ich geschafft haben ist, das kam aber auch zum richtigen Zeitpunkt, dass das Thema „Wie besetze ich Regiepositionen?” erstmal in den Häusern, ich würde jetzt mal sagen überall, präsent war, weil einfach eine starke Setzung von einem von vielen als wichtig angesehenen Festival gemacht wurde. Und das war auch die Idee.
Wenn Frauen inszenieren, sind das oft die Nebenspielstätten oder die Kinder- und Jugendtheaterbereiche oder die Site-Specific-Projekte, aber es ist seltener die große Bühne. Und das Theatertreffen ist ja schon ein Festival, was auch oft große Arbeiten nominiert und daran lag das meines Erachtens auch, dass es mehr Männer in der Auswahl gab und gibt. Und dann ist es so, dass es einfach immer noch, vielleicht ändert sich das so langsam, aber ich habe das Gefühl, dass es immer noch auch innerhalb der Häuser, wo es schon viele Regisseurinnen gibt, trotzdem große Gefälle gibt – Bühnenbildbudgets. Da kann ich ohne Namen zu nennen etliche Beispiele nennen. Da kriegen Regisseure den doppelten Etat von Regisseurinnen. Oder auch der Zugriff auf die Ensemblespieler*innen: Wer kriegt denn die A-Schauspieler und die B-Schauspieler*innen. Ich will das gar nicht so kategorisieren, aber das ist ja leider noch immer so. Und das im gesamten ergibt dann dieses Bild davon, dass es Frauen nach wie vor an vielen Häusern schwerer haben als Männer.
Jenseits der Frauenquote gibt es im Kulturbetrieb auch erste Beispiele, wo Quoten zur Repräsentation und Beteiligung von Schwarzen Menschen, indigenen Menschen oder Personen of Color eingesetzt wurden. So verpflichtet sich beispielsweise die Sydney Theatre Company dazu, dass 25 Prozent der Stücke in ihrem Spielplan von indigenen Theaterautor*innen geschrieben sind.
Und der Dramatiker Necati Öziri, der als Dramaturg am Berliner Gorki Theater sowie den Berliner Festspielen arbeitete und Hausautor am Nationaltheater Mannheim war, stellt seinem Stück „Die Verlobung in Santo. Domingo – ein Widerspruch“ eine Produktionsbedingung mit Quote voraus:
„Jede Aufführung dieses Textes verlangt, dass mindestens zur Hälfte Schwarze Menschen und Menschen mit Rassismuserfahrung besetzt werden. Jede Form des Blackfacings und jede Verwendung des N-Wortes ist untersagt.“
Heute – gab Necati Öziri in einem Interview mit dem Tagesspiegel zu bedenken – würde er das sogar noch radikaler formulieren und die Quote auf das Produktionsteam ausdehnen. Er wolle nicht nur thematisch relevantes Theater machen, sondern effektiv etwas an den Strukturen verändern.
Also Quote gut, alles gut? Quoten werden oft in Bezug auf das Personal von Kulturinstitutionen festgesetzt. Manche Quoten zielen aber auch auf das Programm wie z. B. die Quote für die 10er Auswahl des Berliner Theatertreffens oder die Quoten in Museen, in denen die Sammlung durch Ankaufsquoten diverser werden soll. Damit ändern sich aber nicht zwangsläufig die Strukturen oder die Machtverhältnisse in den Institutionen, worauf auch Maryam Haschemi hinwies:
Maryam Haschemi: Wenn das System nicht diversitätsorientiert arbeitet, diskriminierungssensibel arbeitet, dann werden viele Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte, BIPoCs, die über so eine Quotenregelung reingegangen sind auch ganz schnell wieder rausgehen.
Und auch Yvonne Büdenhölzer glaubt nicht, dass die Frauenquote allein alle Fragen von Geschlechtergerechtigkeit lösen kann:
Yvonne Büdenhölzer: Gender Pay Gap ist so eine riesige Frage, aber das kann man auch nicht durch Quoten lösen. Also man muss an dem Thema dranbleiben. Und die Quote kann das auch nicht komplett alleine lösen. Die Quote ist ein Hilfsmittel, ein Werkzeug, ein äußerliches. So sehe ich das.
Bei Quoten im Personal ist häufig nicht festgelegt, für welche Position, mit wie viel Entscheidungskompetenz und welcher vertraglicher Absicherung Mitarbeiter*innen eingestellt werden. Und auch bei Quoten für das Programm spielt es eine entscheidende Rolle, wer das Programm kuratiert. Quoten dienen erstmal dazu, den Fuß in die Tür zu bekommen und Repräsentation zu erhöhen. Sie sind damit ein sehr wirkungsmächtiges Instrument, um in Institutionen messbar etwas zu verändern. Leider sind sie aber kein dauerhafter Garant für ein faires und diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld.
Das Beispiel des Badischen Staatstheaters zeigt das deutlich. Hier gab es 2020 eine 100 Prozent Regie-Frauenquote und in der Sparte Schauspiel ein weibliches Leitungsduo, während gleichzeitig dem damaligen General-Intendanten des Mehrspartenhauses in einem offenen Brief „Kontrollzwang, beständiges Misstrauen und cholerische Ausfälle“ vorgeworfen wurden.
Aber auch die Berliner Kulturinstitutionen bilden hier keine Ausnahme. Um Machtmissbrauch zu verhindern, müssen Quoten um weitere Methoden und Werkzeuge ergänzt werden. Alternative Leitungskonzepte, Mitgestaltungsmodelle und ein System von Checks-and-Balances z. B. durch die Stärkung von Personalrat, Beschwerdestellen und Gremienarbeit können dabei genauso hilfreich sein wie Schulungen von Mitarbeitenden in Diversitätskompetenz, die dafür sensibilisieren, dass Menschen sich im Arbeitsumfeld auch in Macht- und Abhängigkeitsstrukturen begegnen.
Genau darum, also um Macht und Machtkritik und um Diversitätsentwicklung als Verantwortungsaufgabe, wird es in der nächsten Episode von unserem Podcast gehen. Wir hoffen, ihr seid dann wieder dabei.