Text-Bildgrafik: DGS...was? Vorbereitung von Verdolmetschung zwischen Deutsch und Deutscher Gebärdensprache

Seit vielen Jahren organisieren wir – das Team von Diversity Arts Culture sowie unsere Kolleg*innen von kultur_formen – Veranstaltungen mit Verdolmetschung zwischen deutscher Lautsprache und Deutscher Gebärdensprache (DGS). Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass nicht nur wir als Veranstalter*innen uns gut darauf vorbereiten müssen. Auch die Referent*innen, die bei unseren Veranstaltungen Vorträge halten, Workshops geben oder andere Beiträge einbringen, müssen die Verdolmetschung mitdenken. Wir haben dafür einen Leitfaden entwickelt, den wir hörenden Referent*innen zur Vorbereitung auf unsere Veranstaltung schicken. Ihr könnt diesen Leitfaden sehr gerne für eure eigenen Veranstaltungen und/oder Beiträge bei Veranstaltungen nutzen.

Falls ihr selbst eine Veranstaltung mit DE-DGS-Verdolmetschung organisieren wollt, erfahrt ihr hier, was ihr dabei beachten solltet (diesen Artikel aktualisieren wir bald).

 


 

Liebe*r Referent*in,

 

wir freuen uns auf deinen Beitrag! Für unsere Veranstaltung beauftragen wir Dolmetscher*innen für Deutsche Gebärdensprache (DGS) und Deutsch.

 

Für uns bedeutet die Bereitstellung einer guten Verdolmetschung eine aktive Antidiskriminierungsmaßnahme. Wir möchten, dass Taube Menschen von diesem Angebot genauso profitieren können wie Hörende. Daher müssen bei der Konzeption unserer Angebote die Bedarfe von beiden Gruppen gleichwertig mitgedacht werden.

 

Bei einer Veranstaltung mit unvorbereiteter Verdolmetschung wiederholen sich im schlimmsten Fall alltägliche Diskriminierungserfahrungen Tauber Menschen – nämlich nicht den gleichen Zugang zu Informationen wie Hörende zu bekommen und nicht mitgedacht zu werden. Oft finden daher Veranstaltungen statt, bei denen die Verdolmetschung eher symbolischen Charakter hat, nicht aber einen realen Zugang ermöglicht.

Wenn du deinen Beitrag vorbereitest, achte daher bitte auf diese Punkte:

 

1. Vorbereitungsmaterial: Schicke uns folgende Unterlagen mindestens 5 Tage vor Veranstaltung:

  • Ablaufplan der Veranstaltung und Themen (bzw. der Teile, für die du verantwortlich bist)
  • PowerPoint-Präsentation/Handout
  • vorläufige Notizen, Stichpunkte oder Redeskript
  • Videos oder andere Medien (vor allem wenn sie ohne Untertitel sind; prüfe automatische Untertitel auf Qualität)
  • Zitate oder Textausschnitte
  • kurze Beiträge in anderen Sprachen als Deutsch

 

2. Sprache: Eine allgemein gut verständliche Sprache hilft allen Teilnehmenden, die Inhalte zu verstehen. Vermeide schwierige/akademische Begriffe oder erkläre sie.

 

3. Sprechtempo: Sprich wie gewohnt.

 

4. Mehrstündige Veranstaltungen: Wenn du die Veranstaltung oder Teile davon konzipierst, plane bitte regelmäßige Pausen ein. Wir als Veranstalter*innen versuchen, die Pausen vorher mit den Dolmetschenden und Tauben Teilnehmenden abzustimmen.

 

5. Visuelles Material/PowerPoint: Bevor du weitersprichst, gib den Teilnehmenden bei jeder Folie kurz Zeit, das Material anzusehen oder durchzulesen.

 

6. Planst du, in Gruppen zu arbeiten oder Übungen wie Rollenspiele etc. zu nutzen, teile uns das bitte so früh wie möglich mit.

 

7. Planst du einen künstlerischen Beitrag (z.B. Songs oder eine Performance), teile uns das bitte so früh wie möglich mit.

 

8. Kommunikation im Workshop: Bei Fragen zur Kultur der Tauben Menschen, zur Deutschen Gebärdensprache oder anderen Gebärdensprachen adressiere bitte immer die Tauben Personen direkt (nicht die hörenden Dolmetscher*innen). Nimm Rücksicht darauf, ob die Person Lust hat, darüber Auskunft zu geben. Achte dabei auf einen geeigneten Kontext und Zeitpunkt.

 

9. „Das sieht aber schön aus!“ – Bitte kommentiere die DGS während eines Beitrags nicht. Kommentare oder Nachfragen, die nichts mit dem Inhalt des Beitrags zu tun haben, lenken ab und unterbrechen den Informationsfluss.

 

FAQ - Vorbereitung von Verdolmetschung DE-DGS

Wenn du selbst noch wenig oder keine Erfahrung mit DGS gesammelt hast, stellst du dir jetzt vielleicht einige Fragen.

 

Was ist Audismus und warum ist das für die Veranstaltung relevant?

  • Audismus bezeichnet die Diskriminierung Tauber Menschen in einer hörenden Gesellschaft. Taube Menschen werden in Deutschland schon seit langer Zeit vom Zugang zu Informationen und Diskursen ausgeschlossen. Das betrifft zum Beispiel auch Veranstaltungen im Kulturbereich, die meistens ausschließlich in Lautsprache stattfinden.

 

Verdolmetschung wird doch einfach simultan gemacht, warum die ganze Vorbereitung?

  • Ein möglichst gleichberechtigter Zugang Tauber Menschen zu Veranstaltungen (z. B. Vorträgen, Workshops) hängt stark von der Qualität der Verdolmetschung ab. Bei jeder Verdolmetschung ist für eine gute Dolmetsch-Qualität eine möglichst detaillierte Vorbereitung enorm wichtig. Deutsche Gebärdensprache und deutsche Lautsprache sind verschiedene Sprachen mit jeweils eigenen Grammatiken, Vokabular, Sprichwörtern etc. Darum ist eine umfassende Vorbereitung zentral.
  • Ohne gute Vorbereitung geht Genauigkeit der Inhalte und Zusammenhänge verloren. Die Tauben Teilnehmenden bekommen dann nicht alle Informationen, die die anderen bekommen.
  • In einem Input oder Vortrag werden in schneller Abfolge sehr viele Informationen, Namen und Verweise vorgetragen. Entsprechend ist die Vorbereitung für Dolmetschende hier entscheidend, damit sie die Inhalte richtig erfassen können.
  • Die Dolmetschenden werden sich natürlich immer auch spontan dem Gesagten anpassen. Änderungen sind kein Problem.

 

Ich soll meinen Input, PowerPoint etc. fünf Tage vorher schicken. Da ist mein Vortrag aber noch gar nicht fertig.

  • Kein Problem! Auch mit Entwürfen oder Stichpunkten können die Dolmetscher*innen sich gut vorbereiten. Dann kannst du die finale Version auch kurzfristiger schicken.
  • Es ist auch hilfreich, zunächst ältere Materialien von dir zu den gleichen Inhalten zu schicken.

 

Ich möchte aber meinen unfertigen Vortrag eigentlich nicht verschicken. Das ist einfach noch nicht repräsentativ für meine Arbeit. Was, wenn das in die falschen Hände gerät?

  • Dolmetschende arbeiten vertraulich und vernichten alle Unterlagen nach dem Einsatz. Sie erzählen nichts weiter und interessieren sich nicht für die Qualität. Wir gehen natürlich auch vertraulich damit um.

 

Ist es denn überhaupt möglich, „komplizierte“ Lautsprache zu verdolmetschen? „Diskriminierungskritische Organisationsentwicklung“ oder so?

  • Ja, das ist natürlich möglich – vor allem mit guter Vorbereitung. Gebärdensprachen stehen Lautsprachen in nichts nach.
  • ABER: Alle Beteiligten profitieren davon, wenn dein Beitrag in möglichst verständlicher Sprache verfasst ist. Er ist leichter zu verdolmetschen und auch für alle Teilnehmenden besser zu verstehen, die z.B. noch nicht mit dem Thema oder mit akademischer Sprache vertraut sind.
  • Das heißt nicht, dass Inhalte weniger komplex sein sollen. Du kannst z.B. Fachbegriffe kurz erklären, alltäglichere Begriffe nutzen, konkrete Beispiele nennen etc. Weitere Tipps zu vereinfachter Sprache findest du hier.

 

Ist es besser, langsamer zu sprechen oder mehr Pausen zu lassen?

  • Dein normales Sprechtempo ist ok. Wenn du zu schnell sprichst, sagen die Dolmetschenden Bescheid. Gelegentliche Sprechpausen nach einzelnen Abschnitten sind jedoch hilfreich.
  • ABER: Sprich zum Beispiel Eigennamen (Name der Universität, der Organisation, Autor*innen, Künstler*innen, Quellen) oder Fachbegriffe deutlich und etwas langsamer aus. Sie werden in der Regel mit dem Fingeralphabet buchstabiert und das braucht etwas mehr Zeit.

 

Und warum soll ich Visuelles wie meine PowerPoint immer kurz stehen lassen, bevor ich sage, was draufsteht? Das fühlt sich komisch an.

  • Ja, es ist gewöhnungsbedürftig. Aber wenn gleichzeitig etwas Neues gezeigt und gesprochen  wird, müssen die Tauben Teilnehmenden sich zwischen der Verdolmetschung und dem Gezeigten entscheiden. Sie haben so einen Nachteil gegenüber den hörenden Teilnehmenden. Außerdem unterscheidet sich das Visuelle oft von dem, was gesagt wird. Es ist also auch für Hörende hilfreich, sich die Folie, Bilder o.ä. in Ruhe anzusehen.
  • Bitte plane diese Pausen in deinen Zeitplan ein. Wir empfehlen dir, dich auf deine Kerninhalte zu konzentrieren und dir für diese mehr Zeit zu lassen – weniger ist manchmal mehr.

 

Ich möchte einen Song ohne Untertitel vorspielen oder eine kleine Performance zeigen. Warum ist es wichtig, dass ihr und die Dolmetschenden das vorher wisst?

  • Hierbei handelt es sich nicht um eine „reine“ Verdolmetschung von Informationen, sondern  um eine performative Darstellung in einer Form, die für Taube Menschen zugänglich und ansprechend ist. Das sollte und kann nur von Tauben Personen übernommen werden. Daher wird das Dolmetscher*innen-Team gegebenenfalls um Taube Künstler*innen oder Taube Dolmetscher*innen erweitert. Für diese Planung braucht es deutlich mehr Vorbereitungszeit.

 

Das interessiert mich! Ich hatte aber bisher nicht die Gelegenheit, mich mit DGS zu beschäftigen. Wo finde ich gute Infos zum Einstieg?

 

Danke für deine Mitarbeit bei der Vorbereitung und viel Erfolg mit deinem Beitrag! 

 

Dieser Leitfaden ist eine Kooperation von kultur_formen und Diversity Arts Culture. Er wurde von Lisa Scheibner und Alex Giebel erstellt. Wir danken allen weiteren Personen, die uns mit inhaltlichen Hinweisen bei der Erstellung unterstützt haben.

 


 

Dieser Leitfaden ist Teil einer Serie zu barrierefreiem Veranstalten. Hier geht es zu weiteren Leitfäden:

 

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21.08.2019

Tipps für Veranstaltungen mit DGS

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Taub

[taʊ̯p]

ist eine positive Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen, unabhängig davon ob sie taub, resthörig oder schwerhörig sind. Damit wird auch gezeigt, dass Taubheit nicht als Defizit angesehen wird.

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Deutsche Gebärdensprache (DGS)

ist seit 2002 in Deutschland eine anerkannte Sprache. Sie hat ein eigenes Sprachsystem mit Handzeichen, Mimik und Körperhaltung, das sich komplett von der deutschen Lautsprache unterscheidet.

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Audismus

bezeichnet die Diskriminierung Tauber Menschen. Dieser liegt eine höhere Wertschätzung von Hören und Sprechen und eine Abwertung Tauber Menschen als „defekt“ zugrunde.

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