Diversity Arts Culture organisiert seit mittlerweile fünf Jahren Workshops zu Antidiskriminierung und Diversitätskompetenz im Kulturbetrieb. In ihrem einleitenden Beitrag geben Lisa Scheibner und Bahareh Sharifi einen Einblick in die Diskurse des Kulturbetriebs und fassen die wichtigsten Learnings aus dieser Zeit zusammen.

 

Warum dieser Reader?

Diversity Arts Culture organisiert seit 2017 Antidiskriminierungsworkshops für Kulturschaffende und veranstaltet immer wieder Fortbildungs- und Vernetzungsangebote für Trainer*innen, die sich mit Antidiskriminierung im Kulturbereich beschäftigen. Die Erfahrungen aus den Workshops und den Beratungsangeboten für Kulturinstitutionen, die Rückmeldungen von marginalisierten Kulturschaffenden sowie die Erkenntnisse aus den Train-the-Trainer- Formaten haben zur Weiterentwicklung unserer Angebote, unter anderem zur Konzeption von Workshoplevels, beigetragen.

 

Wir beobachten in den vergangenen Jahren in den Anfragen, die an uns gerichtet werden, ein verstärktes Interesse an Antidiskriminierungsarbeit und Diversitätsentwicklung im Kulturbereich. Grund dafür sind unter anderem globale Bewegungen zu Antirassismus und Antisexismus, aber auch das Bekanntwerden von mehreren Fällen von Machtmissbrauch im Kulturbereich, die einen Handlungsdruck erzeugen. Viele Trainer*innen aus dem politischen Bildungsbereich erarbeiten sich deswegen einen neuen Fokus, um im Kultursektor zu arbeiten. Aber auch einige Kulturschaffende, die sich schon länger mit Antidiskriminierung beschäftigen, geben praxisnahe Workshops zu Antidiskriminierung.

 

Mit dem vorliegenden Reader wollen wir einen Überblick geben über bisherige Erfahrungswerte aus unserer Arbeit sowie Erkenntnisse und gute Ansätze aus dem Feld der politischen Bildungsarbeit für den Kontext Kulturbereich zur Verfügung stellen. Dafür haben wir fachkundige Trainer*innen nach ihren Erfahrungen gefragt und gebeten, Strategien mit uns zu teilen, wie sie ihre Workshops gestalten, insbesondere für den Arbeitsbereich Kultur. Sie haben unsere Fragen als eigene Beiträge oder im Interview beantwortet. Zur Einführung haben wir in diesem Text unsere eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse zusammengestellt. Ziel ist, eine erste Orientierung zu geben für Trainer*innen, die erst seit Kurzem Antidiskriminierungsworkshops geben oder aber bisher wenig professionelle Erfahrungen im Kulturbereich gesammelt haben.

 

Bestimmte Themen und Fragen tauchen bei der Antidiskriminierungsarbeit im Kulturbereich immer wieder auf. Der Reader soll dabei unterstützen, sich gut für die Workshoparbeit aufzustellen und einzugrenzen, was ein Workshop umfassen kann. Dem Reader vorausgegangen sind verschiedene Schulungsangebote, die wir mit und für Trainer*innen in den vergangenen Jahren angeboten haben. Das Ziel dieser Weiterbildungen war, Reflexions- und Austauschräume zu schaffen, um praxisorientierte Methoden weiterzuentwickeln und durch Peer-to-Peer-Beratung gemeinsam kulturbereichsspezifische Herausforderungen anzugehen. Einige der Trainer*innen, die die Schulungen mit uns durchgeführt haben, sind in diesem Reader vertreten.

 

State of the Arts: Wie divers ist der Kulturbereich?

 

Der Kulturbereich hat in den letzten Jahren begonnen, sich verstärkt mit Diskriminierung in der Gesellschaft, aber auch in den eigenen Strukturen zu beschäftigen. Eine Entwicklung, die dadurch vorangetrieben wurde, dass die Forderungen nach Selbstrepräsentationen migrantisierter Communitys im Kulturbetrieb immer lauter wurden, etwa durch das Postmigrantische Theater und Diskussionen über die Abbildung von Migration und Kolonialismus im Museum. Diskriminierende Praktiken wie Blackface oder diskriminierende Sprache in Kinderbüchern wurden in Folge auch von Rezipient*innenseite und im öffentlichen Diskurs skandalisiert. Die sogenannte Willkommenskultur brachte nicht nur Fragen um kulturelle Bildung im Kontext von Asyl sondern generell das Thema Zugangsbarrieren und die fehlende Diversität im Kulturbetrieb auf die Agenda.

 

Aber erst die weltweite #metoo-Debatte, die Black- Lives-Matter-Proteste in den letzten Jahren sowie Kampagnen wie #ActOut haben dazu beigetragen, dass Fälle von Machtmissbrauch und Diskriminierung in Kulturinstitutionen öffentlich bekannt und als solche benannt werden konnten. Dadurch wurde sichtbar, dass es im Kulturbetrieb bisher kaum Standards zu Antidiskriminierung wie in etwa funktionierende Beschwerdestrukturen gibt.

 

Haben also die erwähnten Debatten auch positive Auswirkungen auf die Strukturen des Kulturbetriebs? Was hat sich seither effektiv verändert? Werden Mitarbeitende besser vor Diskriminierung geschützt und unterstützt, wenn sie diese erleben müssen? Finden die Inhalte, die im Spielplan stehen, auch ihren Nachhall in der Institution selbst? Wer trifft die künstlerischen und personellen Entscheidungen? Wer kann welche Karriere machen?

 

Bei einem Blick hinter die Kulissen sind viele Kulturstätten sehr hierarchische Institutionen. Thomas Schmidt beschreibt in seiner Studie «Macht und Struktur im Theater», wie viele Theater noch mit einem Intendant*innenmodell arbeiten, das an feudale Herrschaft erinnert. Entscheidungen werden top-down getroffen. Die Personen, die am weitesten unten in der Hierarchie stehen, arbeiten die meisten Stunden und verdienen am wenigsten. Ein Großteil der Mitarbeitenden hat befristete Verträge und geht somit ein großes Risiko ein, wenn er sich aktiv gegen Missstände engagieren will.

 

Debatten rund um gesellschaftliche Gerechtigkeit werden also oftmals eher saisonweise bearbeitet, in einigen Produktionen oder Ausstellungen mit radikal klingenden Titeln adressiert, aber am Haus selbst bleibt vieles wie zuvor. Gelegentlich wird ein*e Beauftragte*r/Referent*in für Diversitätsentwicklung eingestellt, die*der auf Geheiß der Leitung Diversifizierungsprozesse in Gang bringen soll. Diese Stellen sind jedoch meist mit wenig Entscheidungsbefugnis und kaum Budget ausgestattet, so dass sie darauf angewiesen sind, dass die Leitung auch tatsächlich Prozesse angehen will. Das Gelingen ist also maßgeblich vom Engagement und der Verantwortungsübernahme der Leitung abhängig. Doch leider beobachten wir, dass viele Prozesse ins Stocken geraten, weil Arbeitsressourcen und auch Kosten eines fundierten Prozesses der Diversitätsorientierten Organisationsentwicklung unterschätzt werden. Nicht selten hat die Person, die für die Diversitätsentwicklung zuständig ist, keine zusätzlichen Ressourcen für diese Aufgabe genau wie interessierte Mitarbeitende, die sich etwa in einer Diversitäts-AG engagieren.

 

«Diskriminierung? Das gibt es bei UNS nicht!»

 

Auch der Umgang mit Diskriminierungsfällen in Kulturinstitutionen ist noch immer sehr davon abhängig, welche Kompetenzen die entsprechenden Leitungen haben. Es ist leicht, sich öffentlich von jeder Form der Diskriminierung zu distanzieren, aber es ist ungleich schwerer, einen komplexen Fall am eigenen Haus angemessen aufzuarbeiten. Oft werden Vorfälle heruntergespielt, Betroffene als «überempfindlich» oder «schwierig» dargestellt oder es wird ihnen im gleichen Zuge auch noch die künstlerische Kompetenz abgesprochen («die Person war frustriert, weil sie die Rolle nicht bekommen hat» oder ähnliches). Oder es werden einzelne Verantwortliche gesucht, die «die rote Linie überschritten» haben. Selten wird danach gefragt, welche Strukturen am Haus dazu beigetragen haben, dass Diskriminierungsfälle sich wiederholen konnten, nicht aufgearbeitet oder sogar über Jahre verschwiegen wurden. Leitungen von Kulturinstitutionen müssen bisher noch keine Antidiskriminierungskompetenz oder auch nur diskriminierungssensible Führungsqualitäten nachweisen, obwohl ihnen sehr mächtige Positionen übertragen werden.

 

Eine funktionsfähige Infrastruktur für Antidiskriminierung ist selten vorhanden, obwohl es gesetzliche Vorgaben gibt: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden regelmäßige AGG-Schulungen anbietet und eine Beschwerdestelle einrichtet, an die sich Betroffene wenden können. Diese Vorgaben werden im Kulturbetrieb noch unzureichend umgesetzt. Auch Personal- und Betriebsräte und Gleichstellungsbeauftragte, zu deren Aufgaben es gehört, sich für Antidiskriminierung einzusetzen, haben meist nicht das entsprechende Wissen, um aktiv zu werden.

 

Muss Kunst weh tun?

 

Gerne wird auch das Thema «künstlerische Freiheit» bemüht, wenn es um Kritik an diskriminierender Sprache oder diskriminierenden Praktiken auf der Bühne geht (Blackfacing, Cripping Up, stereotype Darstellungen von marginalisierten Gruppen). Das Argument ist: «Wenn jetzt alles politisch korrekt sein muss, dann können wir keine richtige Kunst mehr machen. Kunst muss auch mal weh tun, nur so bewegt sie etwas.» Mit der Frage, WER denn durch diese Darstellungen verletzt wird (Menschen, die ohnehin Diskriminierung ausgesetzt sind) und WER dadurch zu einem neuen Denken bewegt werden soll (die privilegierte Mehrheitsgesellschaft), beschäftigen sich diejenigen, die so argumentieren, nur ungern. Gängige Stereotype zu wiederholen, bringt der Erfahrung nach weder neue Erkenntnisse beim Publikum hervor, noch ist es besonders kreativ. Im Gegenteil: Wir alle sind diese Stereotype so gewohnt, dass wir sie eventuell noch nicht einmal erkennen. Und dennoch wirken sie als Mikro-Agressionen und richten Schaden an. Auch hier gilt: Wer die Macht hat im Kulturbereich, hat auch die Deutungsmacht und muss sich in den seltensten Fällen für stereotype Darstellungen rechtfertigen oder gar das Programm verändern.

 

Wohin fließt das Geld?

 

Der Kulturbereich ist zu weiten Teilen öffentlich finanziert, aber dennoch herrschen vielerorts prekäre Arbeitsbedingungen. Die großen traditionsreichen Institutionen (Opern, große Theater und Museen) erhalten die überwiegende Mehrheit der Kulturförderungen, weil sie feste Strukturen haben und viele Mitarbeitende bezahlen müssen. Die Kunst- und Kulturschaffenden, die sich in der freien Kulturszene bewegen, sind in der Regel darauf angewiesen, für jedes Projekt eine neue Förderung zu beantragen – möglichst innovativ formuliert, immer flexibel und für im Vergleich verschwindend kleine Summen pro Produktion. Dadurch ist es schwer, eigene nachhaltige Strukturen aufzubauen. Zudem müssen sie beispielsweise im Theater- und Performancebereich auch eine freie Spielstätte finden, die mit ihnen zusammenarbeitet. Diese Spielstätten haben oft aber selbst kaum Programmbudget und finanzieren dauerhaft nur eine geringe Anzahl Mitarbeitender, die das Haus verwalten (auch dafür müssen sie regelmäßig Förderung beantragen). Das Geld für die Produktionen müssen die Künstler*innen in der Regel selbst mitbringen.

 

In den Institutionen gibt es verschiedene Arten von Verträgen. In der darstellenden Kunst werden viele der künstlerischen Berufe nach dem Normvertrag Bühne (NV-Bühne) bezahlt, dessen Untergrenzen sehr niedrig sind. Bekanntere Künstler*innen können sich bessere Vertragsbedingungen aushandeln, aber gerade marginalisierte Kunstschaffende haben diese Möglichkeit oft nicht. Die Mitarbeitenden der Gewerke (zum Beispiel in der Technik) haben oft Tarifverträge, die transparenter sind, während die künstlerische Arbeit aber ideell höher bewertet wird. Für Tätigkeiten wie Garderobenbetreuung, Reinigung oder Einlass werden meist externe Firmen beauftragt, die niedrige Löhne zahlen.

 

Die Besetzung der Leitungen in großen Institutionen geschieht durch die Politik und ist oft nicht transparent organisiert, zum Beispiel gibt es in vielen Fällen keine öffentliche Ausschreibung. Solange es keine roten Zahlen oder größeren Skandale gibt, sieht die Politik meist keinen Handlungsbedarf. Unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit werden somit sowohl schlechte Arbeitsbedingungen weitergeführt als auch Machtmissbrauch oft jahrelang toleriert.

 

Personal, Programm, Publikum … und Zugänge!

 

Vor einigen Jahren haben größere Kulturinstitutionen angefangen, sich damit zu beschäftigen, wer eigentlich ihr Publikum ist und wen sie mit ihrem Angebot nicht erreichen. Dabei ging es weniger darum, das eigene öffentlich finanzierte Angebot für mehr Personengruppen zu öffnen, als den Publikumsschwund zu bekämpfen. Dennoch führte diese Beschäftigung mit dem Publikum auch dazu, das eigene Programm in den Blick zu nehmen. Inzwischen hat sich an vielen Häusern die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Zielgruppen nicht allein durch Maßnahmen erweitern lassen, die nur das Publikum betreffen. Denn das (potentielle) Publikum fragt sich: Welches Programm wird angeboten? Wer ist auf der Bühne zu sehen? Wie ist die Gestaltung der Inszenierung oder der Ausstellung? Für eine diversitätssensible Konzeption und Durchführung des Programms ist auch diverses Personal nötig: Kulturproduktionen ist es anzumerken, ob sie von Menschen konzipiert wurden, die unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema mitbringen oder nicht.

 

Viele Kulturinstitutionen beschäftigen sich also intensiv mit Personalgewinnung, das Haus soll insgesamt diverser werden. Diversity Arts Culture erhält viele Anfragen, die ungefähr so lauten: «Wie können wir unsere Stellenausschreibung so gestalten, dass wir diversere Bewerber*innen bekommen? An welche Verteiler sollen wir sie schicken? Es bewerben sich fast nie PoC oder Menschen mit Behinderung und wenn, dann sind sie eigentlich nicht wirklich für die Stelle geeignet/haben zu wenig Erfahrung/ die falschen Qualifikationen etc.» Um wirklich die Struktur einer Institution zu verändern und für Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen als Arbeitgeber*in attraktiv zu sein, ist jedoch mehr nötig als die Verwendung korrekter Vokabeln in der Ausschreibung oder das Weiterleiten einer Ausschreibung an eine andere Mailingliste. Stellenprofile sind meistens sehr voraussetzungsreich formuliert. Auf dem Weg zu diesem Karrierepunkt haben schon viele Ausschlüsse stattgefunden: Unbezahlte Praktika und schlecht bezahlte Jobs im Kulturbereich kann ich mir nur leisten, wenn mich zum Beispiel meine Familie unterstützt. Einen barrierearmen Platz für ein Kunststudium zu ergattern, ist die absolute Ausnahme.

 

Dazu kommt: Wenn ich in meiner beruflichen und persönlichen Laufbahn weniger mit Ausschlüssen konfrontiert war, verfüge ich eher über das Selbstbewusstsein, mich trotzdem zu bewerben, auch wenn ich nicht alle Anforderungen erfülle. Zusätzlich helfen Beziehungen.

 

In den letzten Jahren konnten wir beobachten, dass das gesteigerte Interesse an einem diversen Personal beim gleichzeitigen Aufrechterhalten der strukturellen Barrieren dazu geführt hat, dass zwar vereinzelt Akteur*innen aus marginalisierten Communitys Zugang zum Kulturbetrieb gefunden haben, aber oft nur jene, die ihre Diskriminierungserfahrungen mit Privilegien auf anderen Ebenen ausgleichen konnten. Selten finden sich Personen unter ihnen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Daher ist es wichtig, strukturelle Veränderungen ganzheitlich zu betrachten und den Blick für Intersektionalität und Überschneidungen von Diskriminierungsdimensionen zu schärfen.

 

Begründetes Misstrauen der Marginalisierten – was steckt hinter der Fassade?

 

Andersherum gibt es auch vonseiten marginalisierter Kulturschaffender ein begründetes Misstrauen gegenüber Institutionen, denn die Geschichten über Machtmissbrauch und Diskriminierung, über fehlende Unterstützung und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sind hinlänglich bekannt. In Fokusgruppengesprächen erzählten uns Künstler*innen, die von Rassismus betroffen sind, inwieweit Ausschluss- und Ausgrenzungserfahrungen dazu geführt haben, dass sie dem Kulturbetrieb den Rücken gekehrt haben. 

 

In unsicheren Zeiten, hervorgerufen etwa durch die Corona-Pandemie, konnten es sich zudem viele Kunst- und Kulturschaffende nicht mehr leisten, weiter im Kulturbereich zu bleiben, und haben sich andere Jobs gesucht. Ohne ein Sicherheitsnetz (etwa Co-Finanzierung von Familie oder Partner*in, Eigentumswohnung, Beziehungen) sind die prekären Arbeitsbedingungen in der freien Kunst- und Kulturszene ungleich härter. All das hat Auswirkungen darauf, wer sich in diesem Bereich «professionalisieren» und die eigenen (künstlerischen) Talente und Ideen entwickeln kann, und wer nicht.

 

Wer ist hier kreativ?

Die Selbstwahrnehmung des Kulturbereichs als «offen» und «vielfältig» klafft leider noch immer weit auseinander mit der Realität, die viele Kulturschaffende mit Marginalisierungserfahrungen erleben. Mitarbeitende, die versuchen, die Strukturen und Praktiken ihrer Institution zu verändern, stoßen auf viele Barrieren und geben nicht selten nach einiger Zeit erschöpft auf. Warum fehlt es ausgerechnet im kreativen Bereich so sehr an Visionen, wie eine solidarischere Kunst- und Kulturlandschaft aussehen könnte, die Hierarchien abbaut und Vielstimmigkeit als Qualitätskriterium einführt? Eigentlich HAT der Kulturbereich die Möglichkeit, Zugänge zu schaffen. Für viele künstlerische und konzeptionelle Tätigkeiten gibt es rein formal keine Vorschrift, welchen Bildungsweg jemand gegangen sein muss, um einen guten Job zu machen. Es gäbe auch die Möglichkeit, die Arbeit anders zu organisieren, arbeitnehmer*innenfreundlicher zu werden (was auch marginalisierten Kulturschaffenden zugute kommt), wie es etwa die Initiative Fairstage für den Theaterbereich ausbuchstabiert hat oder wie es der bbk berlin für den Bereich Bildende Kunst fordert. Es gibt immer wieder sehr detaillierte Kritik von aktivistischen Netzwerken, etwa zu Barrieren bei der Förderung wie beim Förderprogramm Neustart Kultur. Die Frage ist also nicht: «Was können wir denn nur machen, damit es besser wird?», sondern: Wann fangen wir endlich damit an? Vorschläge gibt es genug. Nun wären Kreativität, Experimentierfreude, der Wunsch, dazuzulernen, und Solidarität gefragt. Als Einzelperson, als Team engagierter Kulturarbeitender, als ganze Institution.

 

Der öffentlich geförderte Kulturbereich muss allen Menschen die Möglichkeit geben, ihr Talent und ihre künstlerischen Ideen zu entwickeln, auch wenn sie nicht aus einem weißen, bürgerlichen, mit dem deutschen Kulturkanon sozialisierten, finanziell abgesicherten Haushalt stammen. Das ist derzeit nicht der Fall; viele marginalisierte Kulturschaffende haben nicht ausreichend Ressourcen, ihre künstlerischen Visionen zu verfolgen, ihre Perspektiven werden nicht sichtbar und gehen dem Kulturbereich verloren.

 

Hilfe zur Selbsthilfe – Mit Workshops etwas bewirken

 

In der Regel kommt die Workshop-Anfrage von engagierten Mitarbeitenden aus dem «Mittelbau» der Institution, zumeist von Mitarbeitenden mit inhaltlich-künstlerischen Positionen: z. B. aus dem Bereich der Kuration, Dramaturgie, Kommunikation, Pädagogik- und Vermittlungsabteilung. Oft gibt es bereits ein Problembewusstsein, z. B. dass die Kulturinstitution nicht divers genug ist. Manchmal gibt es einen konkreten Anlass, dass beispielsweise ein Diskriminierungsfall stattgefunden hat oder Stellen neu ausgeschrieben werden.

 

  • Daher kann es im Rahmen der Beauftragung für einen Workshop hilfreich sein, vorab ein Gespräch zu führen, um zu klären: Für welche Mitarbeitenden ist die Fortbildung gedacht? Welche Handlungsspielräume haben die teilnehmenden Personen?

 

  • Wichtig ist, die Gesprächspartner*innen dafür zu sensibilisieren, dass die Hierarchien der Institution auch die Arbeit im Workshop beeinflussen können. Wenn also etwa Vorgesetzte und Mitarbeitende zusammen eine Fortbildung besuchen, kann es sein, dass manche Teilnehmende sich nicht trauen, offen zu sprechen.

 

  • Auch bestehende Konflikte können Spannungen auslösen. Es ist also wichtig zu wissen, ob es z. B. Diskriminierungsfälle gab, die noch nicht aufgearbeitet wurden. Wobei darauf hingewiesen werden sollte, dass diese Aufarbeitung in ein anderes Setting gehört (z. B. Supervision oder Mediation).

 

  • Auch sollte kommuniziert werden, dass marginalisierte Mitarbeiter*innen zusätzliche empowernde Räume brauchen: ein Sensibilisierungsworkshop bietet in der Regel weder die Gelegenheit noch einen sicheren Raum für Empowerment.

 

  • Darüber hinaus wäre zu klären, ob der Workshop Teil oder Auftakt zu einem längeren Prozess ist. Gab es zuvor schon Sensibilisierungsangebote? Welche Erfahrungen wurden damit gemacht?

 

  • Gibt es Antidiskriminierungsstrukturen in der Institution? (AGG-Stelle, Vertrauensperson, Frauen-/Gleichstellungs- und Schwerbehindertenbeauftragte, einen engagierten Personal- oder Betriebsrat)

 

  • Es kann hilfreich sein, vorab eine Wissens- und Bedarfsabfrage zu machen. Welches Wissen ist vorhanden, welche Fragen und Dringlichkeiten gibt es? Welche Zugangsbedarfe gibt es? (in Bezug auf Pausen, Präsentationsform, Raum, Sprache/Kommunikation, Gruppenarbeit)

 

  • Auch wenn Anfragen oft sehr spezifisch sind («Wir wollen etwas zu diskriminierungskritischer Sprache/Allyship/Antirassismus machen»), ist es in der Regel gut, mit Grundlagen anzufangen, um alle auf einen Stand zu bringen: zum Beispiel mit einer Definition von (struktureller) Diskriminierung zu beginnen und auch eine Übung zu eigenen Privilegien zu machen. Eine gute Basis ist enorm wichtig, denn wenn der Workshopprozess zu informationsgeladen eingeleitet wird, kann es vorkommen, dass Einzelne sich abgehängt fühlen und eine Verweigerungshaltung annehmen, die später im Prozess schwer wieder aufzulösen ist.

 

  • Es empfiehlt sich, Methoden einzuplanen, die dabei helfen, dass jede*r seine individuellen Handlungsspielräume ausloten kann: Wofür bin ich in meiner Arbeit zuständig, welche Ressourcen liegen in meinem Einflussbereich und was kann ich anders machen, um diskriminierungskritisch zu arbeiten?

 

  • Es hat sich bewährt, Mitarbeitende darin zu bestärken, gemeinsam mit engagierten Kolleg*innen Veränderungen anzustoßen, also etwa eine Diversitäts-AG zu gründen, die sich regelmäßig mit Antidiskriminierungsthemen beschäftigt und auch Konzepte für die Umsetzung von Maßnahmen entwerfen kann. Die Verantwortung und auch das Wissen liegen so nicht bei einzelnen Personen, das Thema Antidiskriminierung wird breiter aufgestellt und kann nicht so leicht ignoriert werden.

 

  • Ebenso macht es Sinn, wenn die engagierten Kolleg*innen sich betriebsübergreifend, regional, spartenspezifisch vernetzen, um sich gegenseitig zu unterstützen und Strategien auszutauschen.

 

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie ein Workshop gelingen kann. Eine Fortbildung ist immer ein Prozess: Nach einem Workshop wird sich zunächst nicht viel verändern. Daher ist es wichtig, vorab zu klären, welche Erwartungen an den Workshop erfüllt werden können, und welche nicht. Es hat sich bewährt, Teilnehmende dabei zu unterstützen, ihre konkreten Handlungsspielräume kreativ auszuloten, Ziele zu formulieren und sich eine individuelle (und kollektive) To-Do-Liste zu schreiben («Das sind die drei Aktionen zum Thema Antidiskriminierung, die ich morgen, in den nächsten drei Wochen, in den nächsten drei Monaten umsetzen will»). Wenn es der Workshopleitung gelingt, die Motivation der Teilnehmenden zu stärken und sie ein Stück in die Selbstverantwortung zu begleiten, dann ist viel gewonnen.

 

 

Von Lisa Scheibner und Bahareh Sharifi

 

Lisa Scheibner ist Schauspielerin und Kulturwissenschaftlerin. Seit 2017 ist sie Teil des Teams von Diversity Arts Culture. Dort koordiniert sie das Workshop-Programm für den Bereich Sensibilisierung/Antidiskriminierung und berät Kulturinstitutionen zu Diversitätsentwicklung. Lisa hat als Schauspielerin am Stadttheater und freischaffend gearbeitet. 2015 war sie Teil des Organisations- und Kurationsteams der Konferenz «Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene».

 

Bahareh Sharifi ist Programmleitung von Diversity Arts Culture. Zudem arbeitet sie zu (post)migrantischer und diasporischer Bewegungsgeschichte. Zuvor war sie als Diversitätsbeauftragte für den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung sowie kuratorisch unter anderem für Kulturprojekte Berlin (Interventionen 2016 & 2017), das Maxim Gorki Theater (Diskursreihe «Berlin Calling») und das Deutsche Hygiene-Museum Dresden tätig. Sie war Teil des Organisations- und Kurationsteams der Konferenz «Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene».