Diskriminierung wirkt auf institutioneller Ebene, aber auch auf individueller, denn sie kann verinnerlicht werden. Im Kulturbereich konzentriert sich diskriminierungskritische Bildungsarbeit insbesondere auf das Personal, das Programm und das Publikum:

 

  • Wer arbeitet im Kulturbereich? Wer hat überhaupt die Möglichkeit, dort zu arbeiten? Wie wirkt Diskriminierung auf Kulturarbeiter*innen?

 

  • Welche Normen prägen die Ausgestaltung des Programms? Welche Lebensrealitäten werden abgebildet? Werden auf der Bühne Stereotype bedient und, wenn ja, welche? (Ein typisches Beispiel dafür aus dem Bereich Darstellende Kunst ist, wenn sich die meisten Stücke eines Theaters um die Lebensrealität von Menschen aus der Mittel- oder Oberklasse drehen und einkommensarme Menschen sowie nicht-akademische Figuren nur als Karikatur vorkommen.)

 

  • Wen stellen sich Kulturarbeiter*innen als Publikum vor? Wer fühlt sich wohl in der betreffenden Kultureinrichtung, wer nicht? Wer kommt und wer nicht?

 

Zudem ist es mir wichtig, auch über den größeren gesellschaftlichen Kontext zu sprechen:

 

  • Welche Bedeutung hat Kulturarbeit in der Klassengesellschaft? Wie sind Kultureinrichtungen mit kapitalistischen Strukturen verstrickt?

Kritisch nachfragen

Eine große Herausforderung in der Bildungsarbeit ist Othering – übersetzt vielleicht: «VerAnderung». Dabei wird eine privilegierte Gruppe als «normal» und von Diskriminierung Betroffene als «anders» dargestellt. In meinen Workshops stellt meistens bereits in der Vorstellungsrunde ein*e Teilnehmer*in die Frage: «Wie können wir die Hartz-4-Bezieher*innen erreichen?» Oder auch: «Wie können wir die Arbeiter*innen erreichen?»

Zum einen suggerieren diese Fragen, dass niemand im Raum Arbeiter*in ist oder ALG 2 bezieht. Zum anderen wird damit angenommen und gesetzt, dass Menschen, die Klassismus erleben, im Kulturbereich abwesend sind. Ich versuche dann, bereits in der Vorstellungsrunde zu intervenieren und Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu bringen, indem ich kritische Nachfragen stelle: «Woher wissen Sie, dass sie keine Menschen erreichen, die ALG 2 beziehen?» Oder: «Würden Sie sich nicht als Arbeiter*in bezeichnen? Was bedeutet Arbeiter*in für Sie?» Auch äußere ich mein Unbehagen an der Gegenüberstellung von «wir» und «die» und betone, dass wir nicht wissen, welche Klassenerfahrungen die anderen im Raum haben. Nach solchen pädagogischen Interventionen kann die Stimmung etwas aufgeregt sein, manchmal gehen auch Teilnehmer*innen enttäuscht. Denn einige erhoffen sich von der Teilnahme an einem Antidiskriminierungsworkshop in erster Linie Strategien für ihren nächsten Projektantrag, in dem sie eine neue marginalisierte Gruppe als Publikum ins Zentrum stellen wollen. Ich sehe es als Erfolg, wenn in einer Gruppe Widerstände entstehen. Denn darin zeigt sich, dass das Thema auch auf einer emotionalen Ebene arbeitet und dass grundlegende Vorannahmen in Frage gestellt werden.
 

Autobiografisch arbeiten

Oft fange ich in meinen Workshops mit einer autobiografischen Übung an. Damit lässt sich Othering besonders gut in Frage stellen. Außerdem holt es privilegierte Teilnehmer*innen aus einer möglichen Konsumhaltung im Workshop heraus. Dann bitte ich die Teilnehmer*innen, einen Gegenstand, ein Bild oder ein Symbol zu teilen, das ihre Klassenherkunft darstellt. Anschließend tauschen sie sich in Kleingruppen aus, bevor wir gemeinsam ins Gespräch kommen. Die Teilnehmer*innen zeigen dabei die ausgewählten Objekte: adelige Familienwappen, Bücher, Werkzeuge oder Kleidungsstücke. Deutlich wird durch diese Übung: Alle Menschen sind in Klassen und Machtverhältnisse verstrickt und haben eine Klassenerfahrung.

Privilegien adressieren

Schnell kann es passieren, dass der Fokus wieder auf das Publikum gelenkt wird (Wie können wir diese oder jene marginalisierte Gruppe erreichen?), während Fragen rund um das Personal und das Programm aus dem Blickfeld geraten. Hier gilt es, immer wieder gegenzusteuern. Denn Letztere sind die Bereiche, bei denen es auch um die eigenen Privilegien gehen kann: Wie wurden und werden Stellen besetzt, wer verdient wie viel, wer hat welchen Einfluss in der betreffenden Kulturinstitution?
 

Das Teilen eigener Erfahrungen bewusst steuern

Eine Herausforderung als Politische*r Bildner*in ist der Umgang mit der eigenen Biografie. Meiner Erfahrung nach ist es zentral, sich vorab zu überlegen, wie viel Persönliches mensch als Trainer*in mit den Teilnehmer*innen teilen möchte, und welche Aspekte. Ich persönlich spreche über meine eigene Klassenherkunft und auch über Diskriminierungs- und Privilegierungserfahrungen in Bezug auf andere Kategorien. Ich überlege mir jedoch vorab, was ich teilen möchte, und erzähle meistens die gleichen Anekdoten aus meinen Leben. Ich teile persönliche Erfahrungen nur, wenn es sich passend und stimmig für mich anfühlt. Ich weise die Workshop-Teilnehmer*innen außerdem am Anfang darauf hin, dass es ein Geben und Nehmen ist und dass ein solches Bildungsangebot nicht dafür da ist, «Leidensgeschichten» zu konsumieren. Natürlich finden Projektionen statt; Teilnehmer*innen versuchen, eine*n irgendwie einzusortieren, und manchmal ist mensch mit stereotypen Zuschreibungen konfrontiert. Um dies emotional zu verarbeiten, tausche ich mich mit anderen Trainer*innen aus, bei Bedarf hole ich mir professionelle Unterstützung, z. B. durch ein Coaching oder eine Supervision. Um dergleichen überhaupt in Anspruch nehmen zu können, ist es notwendig, ein faires Workshop-Honorar auszuhandeln. Immer wieder reflektiere ich darüber, welches Nähe-Distanz-Verhältnis für mich stimmig ist und wie ich es herstellen kann.
 

Mit Komplexität pädagogisch umgehen

Nicht immer einfach ist es, die Verwobenheit verschiedener Diskriminierungsformen zu thematisieren. Denn alle Diskriminierungsformen haben ihre eigene Geschichte und Wirkungsweise und sind schon alleine sehr komplex. Ich stelle in meiner Arbeit meistens eine Diskriminierungsform in den Mittelpunkt und diskutiere ausgehend davon die Verwobenheit mit anderen Diskriminierungsformen. Dabei fordere ich die Teilnehmer*innen auf, eigene Erfahrungen einzubringen und auch dazu, mir als Trainer*in Kritik entgegenzubringen.
 

Vernetzung fördern

Ich empfehle, im Anschluss an jeden Workshop bzw. als Teil davon einen Empowerment-Raum anzubieten. Dieser richtet sich an Kulturarbeiter*innen, die selbst von Diskriminierung betroffen sind. Ziel ist es, die Vernetzung untereinander zu stärken. Oft entstehen daraus neue Zusammenhänge, die die Bildungsarbeit nachhaltig machen, da von diesen Netzwerken längerfristige diskriminierungskritische Impulse ausgehen. Der Kulturbereich birgt durchaus Fallstricke und Herausforderungen, wie meine Praxiserfahrungen zeigen. Trotzdem ist es aktuell eine spannende Zeit, um dort Bildungsarbeit gegen Diskriminierung anzubieten, da das Interesse groß ist und es viele motivierte Mitstreiter*innen gibt.

 

 

Von Francis Seeck

 

Francis Seeck, 1987 in Ostberlin geboren, ist promovierte Kulturanthropolog*in und Antidiskriminierungstrainer*in. Seeck forscht und lehrt zu Klassismus, sozialer Ungleichheit und Geschlechterverhältnissen, nach einer Vertretungsprofessur für Soziologie und Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Neubrandenburg nun als Post-Doc an der HU Berlin. 2022 erschien die Streitschrift «Zugang verwehrt – Keine Chance in der Klassengesellschaft: wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert» bei Atrium. Seit fast 15 Jahren arbeitet Seeck als Politische*r Bildner* in und Antidiskriminierungstrainer*in, unter anderem im Kulturbereich. Ausgehend von eigenen Erfahrungen in diesem Feld stellt Seeck Ansätze für die Bildungsarbeit gegen Diskriminierung im Kulturbereich vor und geht dabei auch auf Fallstricke und Herausforderungen ein. Seecks Arbeitsschwerpunkte liegen auf dem Thema Klassismus, der Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder Klassenposition (vgl. Seeck/Theißl 2020; Seeck 2022), und dem Thema Queer- und Transfeindlichkeit. In all diesen Bereichen spielt die Verwobenheit dieser Diskriminierungsformen mit Rassismus, Sexismus, Ableismus und Ostfeindlichkeit eine bedeutende Rolle.


Literatur:
Seeck, Francis (2022): Zugang verwehrt. Keine Chance in der Klassengesellschaft: wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert. Hamburg: Atrium.
Seeck, Francis/Brigitte Theißl (2020): Solidarisch gegen Klassismus. Intervenieren, organisieren, umverteilen. Münster: Unrast.