Textbildgrafik: 2 Years From Now. Zugänge & Ausschlüsse in der Kulturszene. Podcast

Die Kulturinstitutionen von innen verändern oder sich lieber unabhängig machen? In der dritten Folge des Podcasts "2 Years From Now" rücken die Künstler*innen in den Fokus: Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen Rassismus zu schützen, zu wehren und wie kann man sich gegenseitig empowern? Welche Strategien zur Vernetzung und für die selbstbestimmte Arbeit werden genutzt?

 

Interviews mit Dr. Dr. Daniele DaudeTsepo Bollwinkel KeeleSimone Dede AyiviRon IyamuDieu Hao DoLeyla Ercan

Das Gespräch im Wortlaut

Intro

[Intro-Musik]

 

Dieu Hao Do: Es wäre auch wirklich mein Wunsch, wirklich mutiges, künstlerisch anspruchsvolles, ästhetisch interessantes Kino in Deutschland zu sehen. Und ja, ich glaube, dass wir ein Teil der Antwort sind.

 

Daniele Daude: Ich habe diese Idee. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die erste Person bin, die diese Idee hat, oder diese Erfahrung. Wie haben die Leute vor mir Strategien entwickelt? War das erfolgreich? Wie kann ich da andocken? Können wir das vielleicht kollektiv? Wie habt ihr das vor 20 Jahren gemacht? 

 

Simone Dede Ayivi: Künstler*innen müssen sich kulturpolitisch engagieren, innerhalb der Häuser und Betriebe. Aber wichtiger ist es noch, sich zusammenzutun und eine größere kulturpolitische Bühne zu suchen und – auch besonders als marginalisierte Künstler*innen – sich in Gruppen und Verbänden zusammenzutun und dann klare kulturpolitische Forderungen zu formulieren.

 

[Musik] 

 

Begrüßung 

 

Lisa Scheibner: Welcome back zur dritten Folge von „2 Years From Now – Zugänge und Ausschlüsse in der Kulturszene“, ein Podcast von Diversity Arts Culture. Ich bin Lisa Scheibner und koordiniere bei Diversity Arts Culture den Bereich Diversitätskompetenz und Weiterbildung.

 

Neneh Sowe: Und ich bin Neneh Sowe und wieder als Co-Host dabei. Ich bin Musikwissenschaftlerin und bei DAC für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Auch von mir ein herzliches Willkommen.

 

Wir steigen heute ohne lange Vorrede direkt ins Thema ein. In der letzten Folge sprachen wir über das Thema Rassismus in Institutionen und wie schon angekündigt, soll es in dieser Folge mehr um die Perspektive der Künstler*innen gehen. Wie kann man sich gegenseitig stärken, wenn man Rassismus erlebt? Was kann empowern und welche Maßnahmen können ergriffen werden?  Der Schauspieler Ron Iyamu zum Beispiel ging mit seinen Erlebnissen aus dem Schauspielhaus Düsseldorf an die Öffentlichkeit. Aber wie ist es ihm danach ergangen?

 

[Musik] 

 

Ron Iyamu: Ich hatte mich dann erstmal zurückgezogen. Denn irgendwann war der Punkt erreicht, an dem es einfach so giftig wurde. Ich habe Angstzustände bekommen und all diese Sachen. Und diese Enttäuschung lag über allem drüber. Und dann kamen die ersten Fernseh-Anfragen und ich habe gemerkt, ich krieg das nicht hin. Ich habe nicht mehr die Energie mich jetzt in so eine Fernsehshow reinzusetzen und irgendwelche Sachen zu diskutieren und zu debattieren, und hatte deswegen dann gesagt: OK, bis hierhin. Mehr schaffe ich nicht mehr. 

 

Empfehlen kann ich das nie. [Diskriminierungerfahrungen öffentlich zu machen. Anm. DAC] Es haben mich häufiger Leute danach angerufen und gesagt so ‚Hey an meinem Theater, da haben wir ähnliche Situationen.‘ Ich muss den Leuten dann trotzdem immer sagen, man schneidet sich ganz klar damit ins eigene Fleisch. Das muss einem bewusst sein und man muss sich darüber bewusst werden, was man für die ganze Sache in Kauf nehmen will. Dass es viele Intendanzen, Leitungen von Theatern gibt, die einfach Angst haben werden dich einzustellen, denn du könntest natürlich sowas nochmal machen an ihrem Haus. Dass über dich in der Zeitung geschrieben wird und auch Sachen geschrieben werden, die einfach nicht wahr sind. Und du auch auf jahrelange Freundschaften triffst, die dem dann glauben, was in der Zeitung steht. All diese Sachen müssen einem bewusst sein. Man kann sein Sozialleben darunter verlieren, man kann seinen Job, seine Karriere, alles verlieren. Und daher würde ich es niemandem empfehlen. 

 

Lisa: Ich bin froh, dass Ron das nochmal ganz deutlich gesagt hat. In allen Diskussionen über Kulturtätige, die sich öffentlich gegen Diskriminierung wehren – ob zu Rassismus oder Sexismus, ob in Hollywood oder in Berlin – kommt immer wieder diese Vermutung, die Person wolle das doch nur zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Aber sich gegen Diskriminierung öffentlich zu wehren, bringt in der Regel eher Nachteile für die Person selbst. Und gerade darum ist es so wichtig, dass Institutionen Ansprechstrukturen aufbauen und Verantwortung übernehmen, damit eben nicht die Whistleblower darunter leiden müssen, dass sie Missstände öffentlich machen. Denn Diskriminierungserfahrungen sind ein Grund dafür, dass kreative, talentierte Menschen den Kulturbetrieb wieder verlassen. Darüber sprechen auch Dramaturg*in Daniele Daude und Leyla Ercan aus ihrer Erfahrung als Diversitätsagentin am Staatstheater Hannover.

 

Daniele Daude: Ich habe nicht den Eindruck, dass sich so krass viel geändert hat. Also ich kämpfe die gleichen Kämpfe, wenn ich ganz ehrlich bin. Nicht mehr so frontal mit N-wort. Es ist so eher mit Rufschädigung, Verleumdung. Bleibt immer was kleben. Es ist sehr, sehr anstrengend im Kulturbetrieb zu arbeiten. 
Kulturinstitutionen benutzen Kulturschaffende sehr konsumistisch. Das ist wirklich ein Konsum. Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, werden aufgesogen, gekaut und wieder ausgespuckt. Das heißt, deren ganze Kreativität, deren ganze Zeit, deren ganze Hoffnungen werden aufgenommen, Erfahrung werden aufgenommen, aber die Personen sind unerwünscht. So würde ich Rassismus in Institutionen zusammenfassen. Es geht wirklich nur um die Person. Die Körper sind unerwünscht. Aber das ganze Wissen ist natürlich sehr, sehr erwünscht. 

 

Leyla Ercan: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass an allen Theatern sogenanntes diverses Personal sehr oft schnell gefunden wird. Gerade auch, weil es viele Menschen im Kunst- und Kulturbereich gibt aus marginalisierten Positionen, die sehr, sehr gerne an Kultureinrichtungen arbeiten möchten und quasi seit Jahren in der Warteschlange stehen, um endlich mal wahrgenommen zu werden.

Mit den vielen spannenden Wissensbeständen und Perspektiven und Erfahrungen auch spannend und attraktiv zu sein für eine Kultureinrichtung. Wir haben hier eine sehr pulsierende, lebendige Kulturlandschaft und darin eben auch sehr viele Menschen, vor allem so BIPoC, die für mich Inspiration pur darstellen, die aber ganz schlecht den Zugang in Kultureinrichtungen finden, weil die Kultureinrichtungen einfach noch nicht diese Schätze wahrnehmen oder das Potenzial dieser Menschen überhaupt erkennen. 

 

Mit dem 360 Grad Programm ist dann folgendes passiert: Erstmalig wurden Kultureinrichtungen dazu angehalten, sich eben auch Personal aus marginalisierten Gruppen anzuschauen und auch einzustellen. Und das ist dann auch an allen Theatern, Museen und Bibliotheken passiert. Und dann gab es aber folgende Beobachtung gerade in der ersten Förderrunde, dass viele – gerade auch BIPoC – eingestellt wurden und dann aber kein halbes Jahr durchgehalten und gekündigt haben. Also die schnellen Kündigungen, der schnelle Exit aus der Einrichtung ist wirklich ein Phänomen und das ist auch nichts Neues. Das ist eigentlich sehr lange schon erforscht. In den USA zum Beispiel gibt es ganze Handbücher zum Thema „Women of Color quitting an organization“. 
Nach einer ersten Euphorie auch in der Institution und ersten Ideen merkt man: 'Oh, es gibt trotzdem noch viel Widerstand und die Ideen werden nicht aufgegriffen, sondern es wird immer abgewehrt'. Die Person wird dann auch oft als Problemverursacherin betitelt. 

 

Daniele Daude: Mein Glaube an die Veränderungen im Kulturbetrieb ist sehr gering. Ich bin jetzt Ü40. Mache das sehr, sehr lange. Und ich habe den Eindruck, die gleichen Kämpfe zu kämpfen wie Anfang 20. Das ist sehr anstrengend. Deswegen würde ich eher sagen, anstatt Veränderungen einer sehr steifen, sich langsam bewegenden Institution, anstatt daran zu arbeiten: macht wirklich eure eigenen Sachen. Gründet Sachen. Macht was. Außerhalb dieser Institution. Die Institution wird irgendwann versuchen euch aufzuessen. Aber versucht erstmal alleine zu machen. Denn das ist sehr viel Zeit, sehr viel Energie für eine Institution, die extrem undankbar ist.

 

[Musik]

 

Empowerment-Arbeit [00:08:59]

 

Neneh: Genau an diesem Punkt kann auch Empowerment-Arbeit ansetzen. „Empowerment“ kommt aus dem Englischen und bedeutet Ermächtigung. Personen oder Gruppen, die gesellschaftlich benachteiligt sind, können durch gezielte Strategien oder Angebote Fähigkeiten erwerben, ihr Leben oder ihre Arbeit selbstbestimmter zu gestalten. Eine genaue Definition findet ihr in unserem Wörterbuch auf unserer Website. Tsepo gibt nicht nur seit vielen Jahren Antirassismus-Trainings, sondern steckt auch viel Herzblut in die Empowerment-Arbeit.

 

Tsepo Bollwinkel Keele: Empowerment heißt, dass Leute, die von einem spezifischen Unterdrückungs-Verhältnis betroffen sind, gemeinsam in gemeinsamen Räumen sind, die frei sind, zumindest innerhalb des Raumes, innerhalb des Zeitraumes, von Angehörigen von gesellschaftlichen Gruppen, die diese Unterdrückungsmechanismen ausüben. 

 

Ich halte es für ungemein empowernd zusammen zu sein. In diesem Sinne ungestört zu sein und einfach nur Kaffee zu trinken und Kekse zu essen. Es heißt vor allen Dingen in einem geschützteren Rahmen runterkommen zu dürfen, weil ein bestimmter Druck von außen nicht da ist. Und im Empowerment-Raum für von Rassismus Betroffene sind keine weißen Menschen und das kann ich bei mir messen an meinem Blutdruck. Der ist dann deutlich niedriger. Und vielleicht unterhalte ich mich dann viel lieber über Fußball als über Politik oder das Weltgeschehen. Und vielleicht planen wir klammheimlich auch die Weltrevolution. Das ist wurscht, das entscheidet jeder Raum für sich. 

 

Empowerment-Trainer sein heißt für mich, solche Räume zur Verfügung zu stellen und sie zu beschützen. Ein Bild, was ich immer habe von vielen Schwarzen Menschen in Deutschland, nicht allen, aber vielen ist, gerade [bei] denen, die eher in dieser Vereinzelung sozialisiert sind: da gibt es etwas, das benenne ich als ‚Orphans‘. Das ist wie verwaist sein: abgeschnitten von kulturellen Bezügen, abgeschnitten von Heimaten, abgeschnitten von Gemeinschaften, abgeschnitten von Sprache. Abgeschnitten von allem, irrst du hier als Alien irgendwie durch die Gegend. Fühlt sich nicht gut an, ist eine unglaublich schwierige Position und ist eine sehr vereinzelnde Position. Also machen wir doch mal eine Alien-Rotte und gucken, was wir eigentlich gemeinsam haben und wie wir aus diesen Erfahrungen ein Bewusstsein – consciousness – schaffen, das auch in dieser Alien-Erfahrung das Verbindende findet und heftig feiert. Das ist die Idee. Und das nicht nur mit jungen Menschen. Das betrifft auch viele, viele ältere. Und „Practical Black Counsciousness“, da nehme ich das Copyright für diesen Begriff. Was es als Konzepte gibt, sowohl aus den USA als auch aus meiner Heimat Südafrika ist „Black Consciousness“. Gemeint als ein sehr radikales sich wirklich nicht mehr um die Befindlichkeiten und die Ideen und Ideologien von Weißsein als Macht-Konstrukt zu kümmern, sondern dagegen das Eigene zu setzen und zu entwickeln und wieder zu entwickeln. Black Consciousness will davon weg sich immer auf diese Negativität zu beziehen und sagen ‚aber wir haben, wir können.‘ Und das ist eben dort, wo es so zersplittert ist, gar nicht so einfach.

 

Neneh: Wie es Tsepo schon gesagt hat, hat nicht jede Person eine Gruppe zum Austauschen und Teilen von Erfahrungen. In Berlin oder in größeren Städten gibt es meist schon Gruppen, denen man* sich anschließen kann. Aber an anderen Orten, an denen Leute zum Beispiel aufwachsen oder nicht selbstständig wegziehen können, ist das mit dem Empowerment oft schwierig. Was man* in dieser Situation tun könnte, erzählt uns die Theaterregisseurin Simone Dede Ayivi.

 

Simone Dede Ayivi: Wenn du dich vereinzelt fühlst auf dem Dorf, wo du gerade bist, dann ist es total gut und richtig bei all dem Mist, durch den man sich durchwühlen muss, im Netz zu schauen: wer ist da noch? Wer ist da noch, ganz woanders und macht gerade das Gleiche durch wie du? Und dann empfehle ich irgendwann: wegziehen. Zieh wohin, wo du Gleichgesinnte hast, wo du reale Kontakte knüpfen kannst, wo es ein Kulturangebot gibt, das dich anspricht. Niemand muss da bleiben wo er gerade ist, aus moralischen Gründen oder aus Ängsten heraus. Es gibt ganz viele praktische Gründe, finanzielle Gründe, verschiedene Aufenthaltsstati. Also es gibt ganz viel, was unterschiedlichen Leuten unterschiedliche Freiräume und Einschränkungen gibt. Die Freiräume, die du hast, um zu machen, dass du nicht mehr alleine bist, nutze die! 

 

Man muss den Mut aufbringen, sich selbst mit seiner Position und seinen Themen sichtbar zu machen. Also nach außen zu gehen damit, auch wenn es unterschiedlichen Leuten unterschiedlich schwerfällt und es verschiedene Bedingungen von außen gibt und auch von innen, ist das die einzige Möglichkeit. Du kannst ja nur von anderen erkannt werden als die Person, die du bist, wenn du dich als diese auch zeigst. Und ich habe Freund*innenschaften geknüpft oder Bündnisse gefunden in dem Moment, wo ich diejenige war, die gesagt hat: ‚Aber Entschuldigung, das ist nicht fair!‘ oder ‚Das ist rassistisch!‘ Es gibt dadurch dann diverse Rückstöße, aber die andere Person, der es genauso geht in dem Moment, die sieht, dass du eine potenzielle Verbündete bist. 

 

Lisa: Und das Thema Vereinzelung nimmt man* unter Umständen auch mit in die Arbeitskontexte. Gerade am Anfang einer Karriere im Kulturbetrieb kann es sein, dass man darum kämpfen muss, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Und dazu gehört auch, mit zu entscheiden, wie und mit wem ich arbeiten kann. Simone formuliert das für sich folgendermaßen: 

 

Simone Dede Ayivi: Ich brauche auf jeden Fall Freund*innen bei der Arbeit. Also nicht nur Verbündete, sondern für mich ist klar geworden, damit ich mich sicher fühle und angstfrei arbeiten kann, brauche ich Leute, die nicht nur gute Kolleg*innen sind, sondern die wirklich Freund*innen sind, an die ich mich wenden kann. Aus meiner Berufserfahrung heraus, als Regisseurin, gerade junge Regisseur*innen kriegen ihr erstes Angebot gemacht mit so einer Auflage wie:
‚Hey, du kannst hier bei uns was Kleines inszenieren, aber die Ausstattung macht unser Ausstattungsassistent. Der ist jetzt einfach mal dran und du kannst auch ansonsten keine Kolleg*innen mitbringen und es gibt die zwei Leute aus dem Ensemble.‘
 
Ich finde es vollkommen legitim zu sagen: ‚Halt, aber ich brauche Vertraute, die ich schon mitbringe an eine neue Institution, wo ich niemanden kenne, weil sonst fühle ich mich alleine und ich muss wissen, mit wem ich arbeiten kann.‘ 

 

[Musik]

 

Netzwerke und Verbündete [00:16:13]

 

Lisa: Auch außerhalb von Organisationen kann es essentiell sein, sich Verbündete zu suchen, selbst verbündete Person zu werden und auch Wissen über professionelle Netzwerke auszutauschen. Filmemacher Dieu Hao Do beschreibt seine Erfahrung als Mitglied des Berlin Asian Film Networks und Ron Iyamu bezieht sich im Anschluss auf das Netzwerk Schwarzer Filmschaffender. 

 

Dieu Hao Do: Selbst organisieren hat sicherlich mit einer Wahrnehmung von Ungerechtigkeit zu tun oder auch von: ‚irgendwas stimmt hier nicht‘. Das Berlin Asian Film Network hat sich durch Anna Xian, das ist eine Drehbuchautorin und Thuy Trang, eine Filmemacherin gegründet und das war erst mal ‚lass uns einfach mal unsere Filme zeigen‘. Wirklich ein bisschen Underground. Und interessant war, dass dann bei den monatlichen Screenings total viele asiatisch deutsche, asiatisch diasporische Menschen dahin kamen und dass es erst durch dieses Machen zu einer Community wurde, indem sich Menschen auch mit ihren Rassismuserfahrungen, mit ihren Klassismuserfahrungen austauschen konnten. Zu sehen: ‚ich bin da nicht alleine‘. Und ich glaube, das ist gerade, wenn wir über Community sprechen, total die wichtige Erfahrung. Also auch die Erfahrung des Empowerments um aus diesem Austausch des gegenseitigen Sehens Visionen und Perspektiven zu entwickeln. 

Filmhochschule ist nicht der einzige Weg, um Filme zu machen. Definitiv. In den letzten Jahren auch durch YouTube oder durch die Demokratisierung der Medien. Das will ich nochmal ausdrücklich sagen. Filmhochschule ist ein Ort, um Netzwerke zu knüpfen. Das ist was sehr, sehr Wertvolles. Das ist gar keine Frage. Aber Netzwerke können auch auf anderem Wege entstehen. Und Filmemachen ist etwas total Kollaboratives. Das heißt wirklich, sich seine Leute zusammenzusuchen. 

 

Ron Iyamu: Im Falle zum Beispiel von Schwarzen Schauspieler*innen gibt es die Schwarze Filmschaffende Community, die mittlerweile auch ein Verein sind. Die sind nicht als Beratungsstelle für Rassismuserfahrungen oder so da, aber zumindest geben die einem Empowerment alleine dadurch, dass sie da sind. Und ich glaube, da kann man sich Solidarität holen. Das kann auch seine Schattenseiten haben, das will ich gar nicht leugnen, aber ich glaube, wir können diese Kämpfe trotzdem nur schaffen, wenn wir Solidarität miteinander haben und wenn wir auch gruppenübergreifend solidarisch miteinander sind. Was ich häufig erlebe, ist gerade zum Beispiel, dass viele Häuser denken, das Diversitätsding ist schon vorbei, weil sie Schwarze Schauspieler*innen ans Haus holen. Schwarze Schauspieler*innen sind gerade sehr begehrt, besonders Schwarze Frauen, weil dann hat man halt schon zwei Themen abgearbeitet. 

 

Neneh: Alle Interviewpartner*innen haben – wie auch Ron – betont, wie wichtig sie es finden, sich auch über verschiedene Gruppen oder Communities hinaus zu Antidiskriminierung zu vernetzen und solidarisch zu sein. Wir hören dazu nochmal kurz Ron, Daniele und Simone. 

 

Ron Iyamu: Ich glaube auch nur wenn wir gruppenübergreifend anfangen, solidarisch miteinander zu sein, können wir irgendwann wiederum, wenn es mal ganz eigennützig sieht, auch Solidarität zurückbekommen. Und gerade kämpft jede Gruppe irgendwie für sich, es gibt natürlich ein paar Leute, die intersektional betroffen sind, die in verschiedenen Gruppen sind. Aber so werden wir, glaube ich, nie wirklich vorankommen.

 

Daniele Daude: Meistens sind die Diskriminierungsformen miteinander verstrickt. Erstmal müssen wir irgendwo anfangen. Aber ich möchte immer darauf hinweisen, dass natürlich Neurodiversität und Sexismus und Rassismus Sachen sind, die ineinander spielen und die haben einen Effekt, wenn das ausgeschlossen wird. Und dass wir das unbedingt bedenken, wenn Personen sich organisieren, um Widerstand zu leisten: Wenn eine Gruppe fertig gemacht wird, dann bist du meistens als nächstes dran. 

 

Simone Dede Ayivi: Ich freue mich total darauf, dass wir das Arbeiten am Theater noch mal ganzheitlicher denken. Und ich sage bewusst ganzheitlicher und nicht intersektionaler, weil wir das Problem haben im Kulturbetrieb: Wenn es eine gut sichtbare, laute, soziale Bewegung gibt, dann wird die im Theater sehr schnell gehört und kurzfristig werden auf jeden Fall Forderungen aufgegriffen. Wir haben das im Feminismus ganz stark gesehen, wir haben das in der Schwarzen Bewegung gesehen, wir sehen das gerade bei der Behinderten- und chronisch Kranken-Bewegung, dass dann tatsächlich Räume geschaffen werden. Das Problem ist aber, das sind oft Trends. Man muss eben ganz stark darauf achten, dass wir da nicht unterschiedliche Marginalisierten-Trends haben und Leute dadurch gegeneinander ausgespielt werden. Schließlich sind wir einfach alle weiterhin Menschen, die einen Beruf haben und nicht austauschbare Themen, die in den Kulturbetrieb reinwandern. 

 

Dann geht es nicht nur darum, wer ist gerade ‚Marginalisierte der Spielzeit‘, sondern wie können wir strukturell und die Sehgewohnheiten betreffend und in dem, was in den Häusern geschieht so arbeiten, dass es wirklich diese Häuser für alle werden? Und wir auch nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern es einfach Normalität ist, dass wir alle da sind und auch jederzeit dazu lernen, wen wir jetzt eigentlich wieder vergessen haben und die dann dazu holen, ohne dass andere ausgetauscht werden. Und das ist auch wichtig für meinen Theaterbegriff. 

 

Lisa: Ich finde diese Logik total wichtig zu verstehen für marginalisierte Künstler*innen und für Aktivist*innen, aber auch für alle, die selbst Programm gestalten. Dass wir versuchen wegzukommen von diesen Spielzeit-Trends. Stattdessen müssen Institutionen eine Haltung entwickeln. Antidiskriminierung muss einfach ein Qualitätsmerkmal werden. Also dass sich eine Institution immer wieder fragen muss: für wen sind wir eigentlich zugänglich? Wessen Perspektiven werden von uns gezeigt, bespielt, repräsentiert und welche eben nicht? Woran liegt das und wie können wir das ändern? Diese Selbstbefragung sollte ins Standardprogramm jeder Kulturinstitution gehören. 

 

[Musik] 

 

Vernetzung unter Künstler*innen und Wissenstransfer [00:23:18]

 

Lisa: Aber wie ist es mit Künstler*innen, die alleine etwas umsetzen oder gründen wollen? Auch da ist Vernetzung sehr wichtig, aber wie Daniele beschreibt, auch nicht so einfach. 

 

Daniele Daude: Ich glaube, vieles entsteht aus der Isolation heraus, wir sind zwar krass connected, aber wir sind nicht verbunden miteinander. Es ist auch eine Frage des 'Wie lege ich überhaupt los'? Du musst dich immer daran erinnern, dass es sehr viel mit Überlebensstrategie zu tun hat. Also wenn du als Künstler*in erstmal damit beschäftigt bist: wie kann ich meine Kunst machen, wie kann ich überleben, wie kann ich essen, wie kann ich meine Rechnung bezahlen? Dann kommst du vielleicht erstmal nicht auf die Idee zu sagen: 'Oh, es gab schon mal Leute, die das gemacht haben? Lass mal fragen!‘ Und die Menschen, die zehn Jahre vorher Sachen gemacht haben, die sind jetzt woanders. Das heißt, es gibt auch wenig Berührungspunkte, leider. Ich weiß nicht, wie das gelöst werden könnte. Also ich sehe die Lücke. Und ich sehe, dass sich das wiederholt. Vielleicht ist das eine Einstellungsfrage. Vielleicht geht es darum zu sagen ‚Okay, ich habe diese Idee. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die erste Person bin, die diese Idee hat, oder diese Erfahrung: Wie haben die Leute vor mir Strategien entwickelt? War das erfolgreich? Wie kann ich da andocken? Können wir das vielleicht kollektiv machen? Wie habt ihr das vor 20 Jahren gemacht?‘ Aber das hat mit Anstrengung und mit Ressourcen und Kapazität zu tun. Wenn diese Kapazität nicht vorhanden ist, und das verstehe ich sehr gut, dann kann das nicht passieren. Aber die gute Nachricht ist: Die Menschen sind da. Und ansprechbar, wenn ihr was wissen wollt. Das ist schon mal gut.

 

Ich kann mich daran erinnern, als das Humboldt Forum eröffnet wurde. Da haben sich auch Künstler*innen of Color zusammengetan und Aktionen gemacht. Es passiert. Was ich auch beobachte, es gibt nicht unbedingt einen Wissenstransfer. Heute weiß keiner mehr, wer Bühnenwatch war. Und das finde ich schon ein bisschen bedenklich. Das ist zehn Jahre her. Leute, das haben wir schon gemacht. Ihr müsst nicht from the scratch [anfangen]! Es muss einfach weitergehen. Und ich habe den Eindruck, dass die Initiativen, die sich gründen, immer von vorne anfangen und das [kostet] viel Zeit. Es könnte eigentlich woanders gestartet werden.
Solange auch so wenig Austausch zwischen Widerstandspraktiken [ist]. Ich beobachte, aber ich bin auch sehr zurückhaltend, die Initiativen sind toll, aber es bleibt noch sehr sporadisch. Nicht so nachhaltig, finde ich. 

 

Allein hast du gar keine Macht. Ich sehe das meistens. Die wenigen Schwarzen Personen, People of Color, sind total isoliert. Und dann bist du extrem vulnerabel. Du bist in einem feindseligen Kulturkontext. Selbst wenn du weißt, was du auf der Bühne bist, du bist eine Einzelperson. Es ist einfach nicht schön. Und um auf deine Frage einzugehen, was kannst du machen? Als Einzelperson sowieso nichts. Das ist Kulturinstitution. Das ist massiv. Das verlangt sehr gute Organisation. Das verlangt irgendeine Art von Struktur und Lobbyismus. Das braucht Druck von oben und von unten. Von der EU gibt es schon Druck. Von unten auch. Also es muss einfach mehr werden, damit die Menschen sich bewegen können. 

 

Neneh: Leyla Ercan geht darauf ein, wie sehr die Kulturinstitutionen eigentlich auch die Perspektiven der Aktivist*innen brauchen könnten und davon profitieren können. Es gibt einen großen Pool an Wissen. Aber wird dieses Wissen in den Institutionen auch genutzt und umgesetzt? 

 

Leyla Ercan: Ich glaube, es braucht beides. Es braucht die Menschen, die durch Aktivismus Ideen anstoßen, gesellschaftspolitische Impulse setzen, die immer wieder auch Forderungen stellen, die auch die Kultureinrichtung bewusst an ihre Grenzen treiben. Um zu zeigen: 'Ihr seid zwar die eine Einrichtung, in der viel Transgression und Intervention und Utopienbildung passiert. Aber es passiert nur auf der Bühne. Und was ist aber mit dem Gesamtapparat?‘ Also da auch immer wieder herauszufordern. Und das machen Aktivist*innen sehr gut.

 

Es braucht auch Aktivist*innen, die bereit sind, stärker organisational zu denken. Wir Menschen – gerade Menschen aus der marginalisierten Position heraus – wir verschanzen uns gerne mal ins Aktivistische ohne uns dieser Herausforderung zu stellen: Wie schlagen wir eigentlich eine Brücke ins Organisationale? Ich bin gerade selber dabei neue Modelle zu bilden, wie man aktivistische Ansätze stärker auch in Organisationsentwicklungsansätze übersetzen kann. 
Ich beobachte, dass es ganz viele Organisationsentwicklungs-Modelle gibt, die von Menschen formuliert werden, die sich schon innerhalb der Institutionen befinden, also die schon institutionell geformt sind und die dadurch immer wieder auch die Logiken reproduzieren, die diesen Einrichtungen schon so inhärent sind. Und ich glaube, es braucht das andere. Wir brauchen Organisationsentwicklungsansätze, Strategien, Instrumente, aber auch Modelle. Wirklich ‚From the scratch‘. Von Anfang an nochmal Theorien, die dieses gesamte Feld Transformation in Organisationen von der marginalisierten Perspektive aus formulieren. 

 

Mehr Engagement in die Kulturpolitik [00:29:05]

 

Neneh: Auch die Kulturpolitik spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung und der Möglichkeit der Entwicklung von Kulturinstitutionen und freischaffenden Künstler*innen. Das ist vielleicht erstmal nicht jeder Person klar, die einfach versucht, ihre Kunst zu machen und sich damit auch so gut es geht zu finanzieren. Dabei ist es enorm wichtig, dass Künstler*innen sich auch selbst mit in die kulturpolitischen Prozesse einschalten, sich in Gremien engagieren oder auch einfach erstmal, indem sie sich informieren. Das hat Regisseurin Simone Dede Ayivi noch mal deutlich gemacht. 

 

Simone Dede Ayivi: Wichtig wird es für uns in nächster Zeit sein, mehr auf die Kulturpolitik zu schauen, als auf die Kulturinstitutionen. Wir kommen einfach jetzt aus einer Zeit, wo wir es hauptsächlich mit linksliberalen bis linken Theatermacher*innen auch an der Spitze zu tun hatten, die kann man in Verantwortung nehmen. Zu denen kann man sagen: ‚Hey, Blackface, nicht cool, sei nicht so rassistisch!‘ Aber in dem Moment, wo du konservative bis rechte Theaterleiter*innen hast oder Leute in den Fördersystemen, in den Jurys, denen kannst du nicht sagen: ‚Mach das nicht, das ist queerfeindlich!‘ oder ‚Das ist rassistisch!‘, sondern die werden dir sagen: ‚Oh ja, wir machen genau das!‘ 

 

Künstler*innen müssen sich kulturpolitisch engagieren. Und wenn wir jetzt darauf schauen, wo sind die Hebel, an denen wir uns kulturpolitisch engagieren müssen, innerhalb der Häuser und Betriebe und dass wir intern Kritik üben, [das] ist jetzt nur noch ein kleiner Baustein. Der muss gemacht werden, aber wichtiger ist es noch, sich zusammenzutun und eine größere kulturpolitische Bühne zu suchen. Und auch besonders als marginalisierte Künstler*innen sich in Gruppen und Verbänden zusammenzutun und dann klare kulturpolitische Forderungen zu formulieren. 

 

Es wird sich einiges jetzt zum Schlechteren entwickeln. Wir haben weniger Geld zur Verfügung. Und so ist es, wenn es irgendwie weniger Geld gibt: gekürzt wird als erstes bei der Kultur. Das sehen wir jetzt gerade schon massiv. Und in dem Moment, wo es weniger Geld gibt, in einem bestimmten Bereich, werden die Verteilungskämpfe größer. Das bedeutet, diejenigen, die ohnehin schon etabliert sind, werden weniger abgeben, weil es sich für sie knapper anfühlt, werden versuchen ihre eigenen Gruppen, Freundeskreise wieder mehr zu stärken. Das ist ja genau das Problem, das wir am Theater hatten. Dass es quasi, Freundeskreise, Cliquen von Regisseur*innen und Intendant*innen gab – Entschuldigung, gibt – die sich nach wie vor gegenseitig die Jobs zuschustern. Da reinzukommen geht meistens über irgendwelche Nebenprogramme, Nachwuchsförderungen, Sachen die auf kleinen Bühnen gemacht werden. Wenn du als Person of Color oder anders marginalisierte Person, die nicht aus diesen sehr bürgerlichen bis adligen Strukturen und alten Verbindungen kommt, aus alten Theaterfamilien kommt, also wenn du als Außenseiterin, wie auch immer geartet, ins Theater kommst, dann musst du nach wie vor doppelt, dreimal so hart arbeiten und sehr gut ankommen, um eine Chance auf der großen Bühne zu bekommen. Um dann irgendwann in diesen Kreis von Leuten, die man so rumreicht, zu gelangen. Und das wird einfach schwerer werden, weil all diese Einstiegstüren, die werden als erstes zugemacht. 

 

Lisa: Es ist wirklich nicht leicht, einen Fuß in diese Eingangstüren hineinzukriegen. Gerade deshalb ist das kulturpolitische Engagement so wichtig, aber eben auch Solidarität und Wissensaustausch untereinander. Das braucht es, um die Kraft zu finden, sich gegenüber ausschließenden Strukturen, die wir wahrscheinlich noch eine Weile haben werden, zu behaupten. Hao adressiert hier nochmal, wieviel Mut man* dazu mitunter braucht.

 

Dieu Hao Do: Jeder Film ist ein Wunder, das entsteht, eine große Reise auch, und braucht total viel Mut. Und Mut ist für mich ohne Frage auch an den Selbstwert, also an Selbstbewusstsein geknüpft. Und woher hole ich mir dieses Selbstbewusstsein, wenn ich dann beispielsweise, um die Frage von Klassismus anzusprechen, mich aber in so Räumen bewege, wo ich oft gedacht habe: ‚Meine Güte, woher nimmst du denn dieses große Selbstbewusstsein für diese mittelmäßige Idee?‘ Ich hingegen so: ‚Oh mein Gott, ich fühle mich total unsicher. Aber eigentlich ist die Idee ja ganz gut, oder ist sie nicht so ganz gut? Weiß ich nicht so genau.‘

 

Die Filmhochschule ist ja teilweise auch an Kooperationen mit Fernsehsendern gebunden, mit den regionalen Fernsehsendern, und [ist] da auch in Gesprächen mit Redaktionen. Da hatte ich [eine] sehr irritierende Erfahrung. Ich hatte einen Stoff entwickelt, geschrieben, und eine Redakteurin sagte zu mir, weil es im Jahrgang auch noch eine andere asiatisch deutsche Person gab: ‚Wir können keine zwei asiatischen Stoffe machen.‘ Also da wurde ich eben ganz krass geothert und auf mein asiatisches reduziert. Es hat mir dann auch gezeigt: Wow, da ist noch so wenig Wissen und Bewusstsein dahinter in solchen Institutionen. Das ist schon ein paar Jahre her, aber das hat mich nachhaltig wirklich auch verletzt, wo ich dann gemerkt habe, ich habe viel, viel mehr zu geben und ich werde da gar nicht gesehen darin.

 

[Musik] 

 

Empowerment-Programm DAC [00:34:42]

 

Neneh: Um Künstler*innen, die in kulturellen Institutionen arbeiten oder freischaffenden Kulturtätigen eine Austausch- und Vernetzungsplattform zu bieten, wurde bei DAC vor einigen Jahren der Programmbereich Empowerment ins Leben gerufen. Wir haben ein Empowerment-Angebot für Künstler*innen und Kulturtätige, die Rassismus erfahren und die Ableismus erfahren, kuratiert von unseren Kolleginnen Bahareh Sharifi und Roisin Keßler. Es soll durch Workshops der Tatsache entgegengewirkt werden, dass sich Künstler*innen durch Ausschlüsse nicht professionalisieren können. Für den Bereich Empowerment liegt der Fokus der Arbeit auf der Frage ‚Was können die Teilnehmenden und externe Referent*innen sich gegenseitig an Wissen, Erfahrung und Tipps mitgeben?‘ Workshops zu Vertragsangelegenheiten, Coaching oder Methoden zum Zeitmanagement sind auch Teil des Empowerment-Programms.
Das Ziel ist, sich trotz der bestehenden Ausschlüsse selbstbestimmter und souveräner im Kulturbereich bewegen zu können. Dieses Thema ist oft auch trotz jahre- oder jahrzehntelanger Erfahrung nie ganz abgeschlossen, wie uns Simone erzählt hat.

 

Simone Dede Ayivi: Ich bin gerade dabei zu schauen: wie können wir uns selbst ernster nehmen, wie werden wir dieses fucking Imposter-Syndrom los und wie können wir einfach von uns aus erstmal die Behauptung aufstellen - und ich weiß, sie klingt gewagt - aber einfach mal zu sagen: ‚Das sind unsere Räume und wir gehören hierher und wir machen hier einfach Sachen - wie alle anderen auch.‘

 

Klassenfragen spielen eine große Rolle für mich am Theater. Und nach wie vor sage ich: ‚Ich bin eine Schwarze Frau und deswegen mache ich Theater aus einer Schwarzen Perspektive. Und ich bin Feministin, das heißt ich mache Theater aus einer Schwarzen, feministischen Perspektive.‘ Und deswegen sind auch alle Themen und Stoffe, die ich bearbeite, dann in dem Moment Schwarze Themen und Stoffe, weil sonst fände ich es ja wahrscheinlich nicht relevant und würde es nicht machen. 

 

Neneh: Rassismuserfahrungen zu bewältigen und sich in einem Kulturbetrieb zu behaupten, der nach wie vor strukturelle Ungleichheiten weiterführt, kostet viel Kraft. Ron hat beispielsweise entschieden, sich in Richtung Theaterpädagogik weiterzuentwickeln, um damit auch etwas für die zukünftigen Theatermenschen zu bewegen.

 

Ron Iyamu: Ich finde es gerade sehr heilsam und sehr schön, dass es so eine Achtsamkeit und so eine Rücksichtnahme gibt und möchte das vor allen Dingen weitergeben an Kinder, Jugendliche. Und mit denen sehr gerne politisches Theater machen, in dem es genau um diese Punkte geht von Empowerment, Solidarität. Weil ich bei Menschen, die wesentlich jünger sind, Dinge sehe, die ich sehr vermisst habe in meiner Jugend. Es gibt [bei ihnen] schon ein ganz anderes politisches Verständnis, wo ich gerne ansetzen möchte und das Wissen, was ich mit 10 Jahren mehr auf dem Buckel so gesammelt hab, weitergeben kann. Und ja, um dann hoffentlich irgendwann mehr Solidarität in diesen Theaterräumen zu haben. 

 

[Musik]

 

Visionen – 2 Years From Now [00:38:22]

 

Lisa: Jetzt kommen wir zu den vorsichtigen Visionen. Unser Podcast heißt „2 Years From Now“, also auf Deutsch: zwei Jahre von jetzt an, weil wir uns fragen, was sich verändern lässt, wenn wir jetzt damit anfangen. Wir wollten Visionen unserer Interviewpartner*innen hören: Was würdet ihr im Kulturbetrieb in den nächsten zwei Jahren ändern, wenn ihr alle Mittel und Ressourcen hättet? 

 
Dieu Hao Do: In den nächsten zwei Jahren, also 2 Years From Now, würde ich mir wünschen, dass es mehrere Förderprogramme gibt für Menschen, für Filmschaffende aus marginalisierten Gruppen. Dass es viel mehr Produktionen gibt mit Menschen aus marginalisierten Gruppen in den künstlerischen Entscheidungspositionen. Ich würde mir wünschen, dass die Film-Förderlandschaft, das heißt die Fernsehsender und auch die Streamer verstehen, dass Diversität kein Trend ist. Dass es wirklich nachhaltig diverse Geschichten gibt, die wir sehen und dass die erfolgreich sind, dass sie gerne gesehen werden. Ich habe beispielsweise total viel Vertrauen in die Zuschauer. Die gucken Filme aus einer ganz anderen Perspektive und vor allem weniger voreingenommen. Es wäre wirklich mein Wunsch, mutiges, künstlerisch anspruchsvolles, ästhetisch interessantes Kino in Deutschland zu sehen. Und ja, ich glaube, dass wir ein Teil der Antwort sind. 

 

Leyla Ercan: Ideal wäre es, wenn es jedes Jahr eine gesamte Fortbildungswoche gäbe für Menschen, die Kulturbetrieben arbeiten, in der sie sich mit genau diesen Fragen auseinandersetzen. Zukunftsfähigkeit, Visionen für nachhaltige Ansätze, Transformationsthemen für die nächsten 20, 30 Jahre und nicht nur für die nächsten fünf Intendanz-Jahre. Also erstmal die Freistellung für eine gesamte Fortbildungswoche, die Verfügbarmachung der finanziellen Ressourcen dafür und auch zusätzliche Reflexionsräume. Ich nenne sie mal Rückkopplungsräume: ‚Was haben wir denn in dieser einen Woche gelernt, was dazu führen könnte, dass wir auch unsere Strukturen noch mal anders gestalten?‘

 

Tsepo Bollwinkel Keele: Ich halte es für ganz wichtig, klar zu haben, dass in dem Moment, wo ich eine öffentliche Institution bin, selbst wenn sie einen sehr emanzipatorischen Anspruch hat, dass ich Teil des Systems bin. Ich muss diesen Spagat wagen zwischen Kritik, Veränderungs-Wollen und -Suchen und ich bin ein Teil des Systems - das wirklich klar und transparent machen. Das wünsche ich mir. 

 

Wenn wir 2 years from now, Leute wie ich, meine Familie, nicht dieses Land mit fliegenden Fahnen verlassen, weil es eine CDU-AfD Regierung gibt, bin ich schon super heftig glücklich und erleichtert. Sehe ich noch nicht. Aber wenn jetzt alles supi ist. Ich wünsch mir vor allen Dingen, dass der Kulturbetrieb und spezifisch der klassische, etablierte Kulturbetrieb - Theater, Museen, all so ein Zeug - in eine ganz ernsthafte Auseinandersetzung über seine Grundlagen in den Ideen der Aufklärung kommt und was an denen so problematisch ist. Dass das der Beginn ist einer tiefen Auseinandersetzung damit. Von wem reden wir, wenn wir von Menschenrechten reden? Wer ist denn als Mensch eigentlich angesehen und wer nicht? Wer bestimmt, was das Gute, Wahre und Schöne ist? Wie setzen wir als Kulturbetriebe das um, in unserer eigenen Praxis, in unseren Betrieben?

 

Und dann, im zweiten Schritt nach außen, und weil wir ja alle Ressourcen haben, hieße das vielleicht auch: Lass uns doch die ganzen Buden, alle Museen und alle Theater dicht machen für die zwei Jahre und uns hinsetzen und wirklich mal denken. Oder auch rausfahren und gemeinsam spazieren gehen und uns darüber unterhalten und denken. Und wenn nach den zwei Jahren zufällig einige Häuser, wie zum Beispiel das Humboldtforum, geschlossen blieben, wäre das sicherlich gar nicht von Übel. Und es dafür andere Orte und andere Plätze gibt, an denen was ganz anderes stattfindet. Wo andere Leute etwas machen, andere Leute etwas erleben und die Vielstimmigkeit gefeiert wird.

 

Simone Dede Ayivi: Ein wichtiger Punkt für Antidiskriminierung im Kulturbetrieb wird es jetzt sein, arbeitsrechtlich zu gucken. Es wird total wichtig sein, Verträge zu schaffen, die aus dieser Prekarität und dieser ständigen Kündbarkeit hinausgehen und Leuten eine längere Sicherheit und Perspektive an einem Haus zu geben. Denn die ganzen Diversitätsprozesse, die angestoßen wurden, die lassen sich gerade dadurch, dass du jede Person im künstlerischen Betrieb jährlich rausschmeißen kannst – das ist ein Problem – die lassen sich einfach sehr schnell wieder umkehren. Gleichzeitig müssen die Häuser mit der Politik und der Verwaltung auch klare Pläne für die nächsten Jahre festschreiben, sodass sicher ist, wie weitere Anstellungen funktionieren, wenn Leute gehen. Dass es Quoten gibt und klare Regeln, die uns die Möglichkeit geben, auch in Zeiten, die schwer sein werden für den Kulturbetrieb, die Prozesse, die wir angefangen haben, weiterzugehen. 

 

Ron Iyamu: Das erste Bild, was ich so im Kopf hab, was gar nicht meine eigentliche Antwort ist aber mein erstes Gefühl, das aufkommt, ist: einreißen, neu bauen. Aber nee, ich glaube nicht, dass das die Lösung wäre. Ich glaube, wenn ich alle Ressourcen hätte, dann wären es solche Sachen wie externe Stellen, an die sich gewendet werden kann im Falle von Diskriminierung, die die Kraft haben und die Möglichkeit haben, auch mit Häusern in den Dialog zu gehen. Man ist immer so zwiegespalten und das hat auch seine Nachteile, aber ich glaube, tatsächlich bräuchte es Quoten. Ich glaube, da kommt man nicht drum rum. Wobei, wenn ich alle Ressourcen hätte, dann könnte ich auch für alle Häuser einfach besetzen. Ich komm nicht drum rum, um diesen Einreiß-Gedanken, weil ich glaube, es gibt ganz viele Menschen, die würde ich am liebsten rauswerfen, gebe ich ganz ehrlich zu.

 

Daniele Daude: Ich würde Parallelinstitutionen aufbauen. Kulturbetrieb, ich glaube einfach nicht da dran in zwei Jahren [dass sich da viel tut]. Aber das woran ich sehr glaube, ist, dass es unfassbar viele talentierte Personen gibt in Kunst, Musik, Literatur. Und dass diese Personen sich zusammentun und einfach was Eigenes aufbauen sollen. Daran glaube ich. Kulturinstitutionen werden da nicht wegschauen können. Werden sich das anschauen müssen. Ich glaube, das ist der Weg. Also nicht versuchen, unbedingt da reinzukommen. Mach dein Ding! Die kommen schon auf dich zurück. 

 

Simone Dede Ayivi: Und wenn du denkst: ‚Boah, ich will jetzt einfach mit meinen Genoss*innen was Eigenes starten und ich möchte mich nicht an einer Institution reiben oder abarbeiten, sondern eben eigene Bündnisse schaffen, Banden bilden, Sachen machen.‘, dann ist es total wichtig. Wenn du dir aber sagst: ‚Ich kann ja überhaupt nur ein politisch aktiver Mensch sein, wenn ich einen gewissen Rahmen an Sicherheit habe und ein regelmäßiges Gehalt auf mein Konto kommt.‘, dann geh in diese Institutionen und dann wirst du aber da auch aktiv sein müssen, weil du dann für dich Dinge klarmachen musst, wenn du nicht kaputtgehen willst da drinnen. 

 

Abmoderation 

 

Lisa: Das ist ein gutes Schlusswort für unsere Doppelfolge zu Rassismus im Kulturbetrieb. Wir haben allerlei Themen angeschnitten und verschiedene Perspektiven gehört, aber wie auch schon bei der Folge zu Klassismus können wir sicher sagen, dass es erstmal ein Einstieg in das Thema ist und dies nicht der letzte Beitrag dazu sein wird. Lasst uns also gerne wissen, was euch dazu noch interessieren würde. Unsere Kontakte findet ihr auf unserer Webseite: diversity-arts-culture.berlin.

 

Neneh: Wenn ihr an unseren Angeboten interessiert seid, könnt ihr dort auch unseren Newsletter abonnieren. Darüber erfahrt ihr von Veranstaltungen und Workshops, die wir und unsere Kolleg*innen veranstalten. Zum Schluss nochmal ein Danke an unsere Gäste für die spannenden Beiträge und an euch fürs Zuhören. Bis bald! 

 

Lisa: Verantwortlich für Dramaturgie und Moderation waren Neneh Sowe und Lisa Scheibner. Die Musik ist von Nima Ramezani. Ihr findet den gesamten Podcast auch als Transkript auf der Webseite. Wir freuen uns über Feedback an unsere E-Mail info@diversity-arts-culture.berlin. Wir danken euch fürs Zuhören und wir hoffen, dass ihr beim nächsten Teil auch wieder dabei seid. 

 

[Outro]