Dekorative Grafik

Du kuratierst eine Ausstellung und möchtest diese möglichst barrierearm gestalten, doch hörst von Kolleg*innen immer wieder, dass das zu viel Geld koste und sowieso alle schon am Limit arbeiten. Wie kannst du im nächsten Teammeeting darauf reagieren, wenn dein Vorschlag wieder abgelehnt oder übergangen wird?

Das Theater, in dem du als eine der wenigen PoC arbeitest, stellt sich nach außen immer als Vorreiter für Diversitätsentwicklung dar, obwohl die gelebte Arbeitskultur ganz anders aussieht und du das Gefühl hast, der Institution als Token zu dienen. Was wäre ein guter Weg, um das anzusprechen?

Das sind nur ein paar Beispiele, für die die Methode der Kollegialen Fallberatung geeignet ist. Kollegiale Fallberatung kann Einzelpersonen stärken, die mit knappen Ressourcen in institutionellen Strukturen Veränderungsprozesse anstoßen wollen und dabei auf Widerstände stoßen. Die Methode an sich ist zwar nicht neu und auch nicht diskriminierungssensibel, sie eignet sich unserer Meinung nach aber trotzdem für diskriminierungskritisches Arbeiten im Kulturbereich, wenn man ein paar Grundsätze beachtet. Für eine diskriminierungskritische Anwendung ist es zum Beispiel wichtig, vorab mit den Teilnehmenden Absprachen zu treffen hinsichtlich eines gemeinsamen Selbstverständnisses, des Umgangs miteinander und hierarchiekritischer Strategien, die Machtverhältnisse bei der Problemlösung nicht reproduzieren.

Dafür haben wir einige Vorschläge im Methodenblatt aufgelistet.

Für die Durchführung der Methode braucht ihr kein festes Team. Stattdessen könnt ihr die Kollegiale Fallberatung mit Fachkolleg*innen betriebsübergreifend in Safer Spaces anwenden.

Im Gegensatz zu einem Gespräch unter Kolleg*innen im Flur oder bei der Mittagspause kann die Kollegiale Fallberatung durch den klar strukturierten Ablauf dabei helfen, für eine ganz konkrete Fragestellung in relativ kurzer Zeit unterschiedliche Perspektiven und mögliche Handlungsoptionen zu erhalten. Bei Fällen von Mobbing, Machtmissbrauch oder Verletzung von Arbeitsrechten kommt sie allerdings an ihre Grenzen. In diesen Fällen würden wir empfehlen, (unabhängige) Beratungsstellen für Antidiskriminierung, interne AGG-Stellen, Antimobbingberatungsstellen von Gewerkschaften oder Supervisions- bzw. Mediationsangebote aufzusuchen.

Das Methodenblatt

Kollegiale Beratung für diskriminierungskritisches Arbeiten – was ist das?

Die kollegiale Fallberatung ist ein Format, bei dem Menschen sich in einem fest definierten Rahmen von circa einer Stunde dem Anliegen eines*einer „Fallgebenden“ widmen, sich gegenseitig beratend unterstützen und voneinander lernen – im Grunde eine Art Beratung ohne das Beisein einer externen Moderation.

Da die Methode ohne viele Ressourcen und relativ kurzfristig angewendet werden kann, sehen wir sie als sinnvolle Ergänzung zu einer kontinuierlichen Begleitung und Beratung, wie sie beispielsweise im Rahmen einer Supervision erfolgen kann. Im Gegensatz zu kurzen Gesprächen zwischen Tür und Angel liegt der Fokus dabei auf einem gezielten und systematischen Austausch.

Dadurch bekommt der*die Fallgebende Impulse und Hinweise zur Lösung, die nicht den Charakter eines Rats oder einer Belehrung haben („Du solltest jetzt mal ...“, „Warum hast du noch nicht ...?“). Vielmehr kann die Methode dabei helfen, Sichtweisen von außen zu nutzen, um die eigene Perspektive zu hinterfragen, zu erweitern und so in die Lage zu kommen, das Anliegen tiefer zu verstehen und gezielter Lösungen zu entwickeln.

 

Vorteile

  • einfach umzusetzen, es braucht wenige finanzielle und zeitliche Ressourcen und auch kein festes Team
  • bietet die Möglichkeit, neue praxisnahe Lösungen bzw. Strategien / neue Handlungsfelder für eine konkrete Situation zu finden
  • hat eine klare Struktur, die dabei hilft, den Ablauf des kollegialen Beratungsprozesses sowie die Rollen der Mitwirkenden zu definieren

 

Für welche Anliegen eignet sie sich – und für was eher nicht?

Die Kollegiale Fallberatung eignet sich für konkrete Fragen oder Themen, für die Handlungsoptionen gesucht werden und die ...

  • mich persönlich betreffen.
  • meine Arbeit beeinflussen.
  • mir Kopfzerbrechen bereiten.
  • immer wieder aufkommen

 

Wichtige Ausgangspunkte

  • eine offene und konkrete Fragestellung
  • klare Formulierung des Falls aus der „Ich-Perspektive“
  • positive Zielrichtung der Fragestellung
  • das Ziel sollte selbst beeinflussbar sein
  • die Fragestellung muss persönlich relevant sein

 

Grenzen der Methode

Bei Fällen von Diskriminierung, Mobbing etc. kommt die Methode an ihre Grenzen und eine professionelle Beratung und Begleitung zum Beispiel durch Supervision, Mediation, Antidiskriminierungsberatung bietet sich an.

 

Rahmenbedingungen

  • Gruppengröße von etwa 5 bis maximal 10 Personen
  • Zeitlicher Rahmen: 45 bis 60 min
  • Rollenaufteilung
  • Fallgeber*in: möglichst klare Fragestellung / Anliegen an eine konkrete Situation, die selbst erlebt wurde, und Bereitschaft, diese Situation in der Gruppe zu teilen
  • Ggfs. Moderation, die die Gesprächsvereinbarungen, Ablauf und Zeit im Blick behält, – in kleineren Gruppen kann dies aber auch von den Berater*innen übernommen werden
  • Berater*innen: Hören zu und teilen ihre Gefühle und Impulse auf wertschätzende, nicht bewertende und belehrende Weise

 

Grundsätze: Was ist wichtig bei der Gruppenzusammensetzung?

  • Genug Zeit einplanen für die Gruppenfindung: Die Gruppe muss sich noch nicht kennen. Wichtig ist aber, dass die Gruppe ein ähnliches Selbstverständnis als Gruppe hinsichtlich Macht-, Hierarchie- und Diskriminierungskritik hat und sich vorab darüber verständigt – das bedeutet zum Beispiel: strukturelle Ungleichheiten und Benachteiligungen marginalisierter Communitys werden berücksichtigt und ihr Wirken in unterschiedlichen Situationen anerkannt. Berücksichtigt wird zudem, dass in Institutionen Menschen in Leitungs- und Entscheidungspositionen über Macht verfügen. In der Kollegialen Beratung kann ein solches Selbstverständnis bei der Analyse von Fällen und beim Finden von möglichen Lösungsansätzen helfen: Welche Machtdynamiken wirken in der Situation? Wie könnten stärkende Handlungsmöglichkeiten aussehen?
  • Vertraulichkeit der Gruppe: Inhalte der Kollegialen Beratung sind von allen Beteiligten streng vertraulich zu behandeln.
  • Achtsames Miteinander — achtsam zuhören und sprechen: Das beinhaltet auch, sich wohlwollende Rückmeldungen zu geben, aus der „Ich-Perspektive“ und nicht für andere zu sprechen und anderen ihre Erfahrungen nicht abzusprechen.
  • Bereitschaft aller, während der gesamten Zeit aktiv teilzunehmen: Alle sind bereit, etwas zu teilen und sich auf Feedback einzulassen – sei es als Fallgeber*in, Teil des Berater*innenteams oder in der Moderation.

 

Ablauf

1. Schritt: Fälle sammeln und Fallauswahl (5 min)

  • Vorstellungsrunde (bei Gruppen, die sich noch nicht gut kennen) und Festhalten von Gesprächsregeln (z. B. Vertraulichkeit, achtsames Zuhören, Sprechen und Feedbackgeben)
  • Alle, die sich vorstellen können, einen Fall einzubringen, erzählen kurz, worum es geht und was ihre Fragestellung an die Situation ist.
  • Die Gruppe entscheidet sich für einen Fall. Kriterien können hierbei sein: Relevanz / Interesse auch für die anderen, Dringlichkeit, Bearbeitbarkeit mit der Methode.

 

2. Schritt: Schilderung des Falls und Fragenklärung (10 min)

  • Fallgeber*in schildert das Anliegen möglichst nachvollziehbar: Wer war beteiligt? Wie war das Setting? Wer war noch mit im Raum / in der Situation? Wie habe ich mich gefühlt? Was ist meine Frage an den Fall, zu der die Gruppe beraten soll?
  • Berater*innen stellen Fragen zu Inhalten, die unklar geblieben sind: Es geht um Verständnisfragen, NICHT um Interpretationen / Deutungen. Es antwortet die Person, die ihren Fall geschildert hat.

 

3. Schritt: Einschätzungs- / Feedbackrunde / Hypothesenbildung (10 min)

  • Die Berater*innen nehmen Kontakt zur Situation auf und schildern ihre Assoziationen, Bilder, Identifikationen etc. ohne Wertungen und Ratschläge – und auch noch ohne Lösungsvorschläge: In der Position von ... hätte ich mich vielleicht so und so gefühlt ... Auf der institutionellen Ebene könnte ... eine Rolle gespielt haben ...
  • Die Person, deren Fall besprochen wird, zieht sich hier ein bisschen zurück und hört nur zu.

 

4. Schritt: Rückspiegelung (5 min)

  • Fallgeber*in gibt Rückmeldung: Was ist hilfreich, was eher nicht? Was lösen die jeweiligen Hypothesen aus? Was hat überrascht?

 

5. Schritt: Lösungen Erarbeiten (15 min)

  • Fallgeber*in hört zu. Berater*innen sammeln mögliche Lösungs- und Handlungsalternativen: Was könnte die Situation verändern? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Wo könnte es Unterstützung geben?

 

6. Schritt: Rückmeldung, Entscheidung (10 min)

  • Fallgeber*in gibt Feedback zu Lösungsvorschlägen und trifft ggfs. Entscheidung zu nächsten Schritten.
  • Mögliche Fragen können sein: Gab es Lösungsvorschläge, die du dir vorstellen könntest auszuprobieren? Was könntest du darüber hinaus noch gebrauchen, z. B. konkrete Formen der Unterstützung, auch aus der Kleingruppe? Gibt es etwas, was du für dich allein noch tun könntest (dich selbst unterstützen/stärken)?

 

7. Schritt: Auswertung und Rollenentlassung (5 min)

Der Reihe nach geben alle Beteiligten der Runde Rückmeldung zum Beratungsprozess – nicht mehr zum Inhalt. Je nach Atmosphäre bietet es sich ggfs. an, auch eine kurze Methode zur Rollenentlassung zu machen (z. B. kurzes Ausschütteln).