Kleidung und Klasse
Unsichtbare Dresscodes der Kunst- und Kulturinstitutionen
Text: Isabelle Edi und Mariama Sow
In den Räumen des renovierten Hauptgebäudes der Akademie der bildenden Künste in Wien am Schillerplatz fotografierten wir Kleidungsstücke von Studierenden und gehen dabei dem Zusammenspiel von Kleidung und Klasse nach.
Die neu sanierten, sauberen Räume der Akademie strotzen vor Hochkultur: Marmorsäulen, aufwendig restaurierte Steinwände, prunkvolle Goldverzierungen, Deckengemälde erinnern uns an einen Palast. Studierende, Bauarbeiter*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Professor*innen und Angestellte des Sicherheitsdienstes begegnen sich hier oder begegnen sich nicht. Der Ort wird zu einer Bühne, die Alltagskleidung zu Kostümen der Identitäten, die wir in den Gängen und Fluren miteinander performen. Die Grenzen, wer welche Rolle einnehmen darf, wer dazugehört und wer nicht, sind stets klar markiert. Die Kleidungsstücke und wie wir uns darin bewegen, verraten uns auf den ersten Blick, welche Position wir auf dieser Bühne einnehmen dürfen. Die Architektur der Räume lässt die Grenzen noch deutlicher hervortreten, bestimmte Körper stehen hier im Kontrast und sind noch sichtbarer, andere weniger.
Mit einer Kamera versuchen wir, diese Situation einzufangen, indem wir die Kleidungsstücke von Studierenden, die wir in den Räumen treffen, fotografieren und der Frage nach unsichtbaren Dresscodes an der Kunstakademie nachgehen.
Wie entscheiden wir, wer dazugehört und wer nicht? Welche Sehgewohnheiten und visuellen Codes markieren die Grenzen und Differenzen der sozialen Gruppen? Welche Kleidungsstücke sind hier akzeptiert? Welche fallen auf oder werden von uns als störend empfunden?
Wir könnten meinen, es gäbe keine Dresscodes an einer Kunstakademie, da es keine Regeln oder Uniformen für entsprechende Berufsgruppen gibt. Dabei sind die Codes jedoch nicht verschwunden, sondern nur unsichtbar. Das Wissen darüber ist nur bestimmten Personen vorbehalten, die sich schon im Milieu der Kunst- und Kulturschaffenden bewegen, also schon „dazugehören“.
Die „Anderen“ außerhalb dieser Institution, die, die nicht dazugehören, sind stets markiert. Sie fallen auf durch ihre Arbeitsuniformen und Kleidungsstücke, die sie als nicht zugehörig entlarven. Unsere Klassenidentität und soziale Zugehörigkeit werden in erster Linie über Kleidung vermittelt, die wir uns als körperliche Hülle angelegt beziehungsweise auferlegt bekommen haben. Dabei spielt Kleidung eine wesentliche Rolle in der Kommunikation und Wahrnehmung von Klasse. Denn wir assoziieren Kleidungsstücke mit sozialen Gruppen, Arbeitsfeldern und bestimmten Räumen.
Das Prinzip der Macht- und Klassendemonstration durch Kleidung funktioniert heute aber nicht mehr nach simplen Regeln der gesellschaftlichen Aufteilung in Bürgertum und Arbeiter*innenklasse. Modetrends werden schon lange nicht mehr von der „upper class“ (also der oberen oder privilegierten Klasse) vorgegeben. Im Gegenteil.
Insbesondere in akademischen oder künstlerischen Milieus werden sich die Styles der Arbeiter*innenklassen angeeignet. Kleidungsstücke, die mit sozial benachteiligten, marginalisierten, subkulturellen Gruppen und widerständigen Bewegungen assoziiert sind, werden zu modischen Trends der akademisierten und künstlerischen Milieus, die sich stets um Individualität bemühen und sich vom Mainstream abgrenzen wollen. Diese Aneignung funktioniert dabei nur von oben nach unten, aber nicht andersherum.
Es ist ja gerade die Freiheit, Jogginghosen und ausgewaschene Lederjacken tragen zu können, ohne die Konsequenzen von sozialem Ausschluss erfahren zu müssen, die die privilegierte Klassenposition verdeutlicht. Das Narrativ der brotlosen, außenstehenden und originellen Künstlerperson hat darüber hinaus einen bestimmten Look kreiert, der davon lebt, sich möglichst von dem normativen Mainstream und dem, was als bürgerlich gelesen wird, abzugrenzen. Weiße, bürgerliche, dünne, den Schönheitsidealen entsprechende, cis Körper haben es dabei immer leichter, mit Kleidung ein passendes Image zu verkörpern und in verschiedene Rollen zu schlüpfen, während Andere oft nur eine ganz bestimmte Rolle zugewiesen bekommen, die stets als unpassend und nicht zugehörig markiert ist.
Unsere körperlichen Eigenschaften in Kombination mit Klassenidentität bestimmen unsere Zugänge zu Kleidung und die Möglichkeiten wahrgenommen zu werden. Als Schwarze Personen in Deutschland haben wir oft die Erfahrung gemacht, in verschiedenen Räumen als Arbeiter*innen, Servicekräfte oder als irgendwie nicht zugehörig angesprochen zu werden: „Arbeiten Sie hier oder verstehen Sie deutsch? Wo wollen Sie hin und woher kommen Sie überhaupt?“ Dabei werden unsere Kleidungsstücke gar nicht oder erst auf den zweiten Blick und dann in Verbindung mit unserem Schwarzsein, das heißt mit bestimmten Vorurteilen, gelesen.
Das Ineinandergreifen von race und Klasse wird in der Auseinandersetzung mit Kleidung besonders deutlich. Während rassifizierte Menschen zum Beispiel Gefahr laufen, mit bestimmten Kleidungsstücken als kriminell, arm oder nicht zugehörig stigmatisiert zu werden, können weiße bürgerliche Personen sich mit denselben Kleidungsstücken als cool und avantgardistisch darstellen. Darüber hinaus spielen natürlich weitere Aspekte des Körpers eine erhebliche Rolle in der Wahrnehmung von Klasse und der Beurteilung von Kleidung. Beispielsweise werden auch dicke Körper und solche, die nicht den normativen Vorstellungen von Schönheit entsprechen, öfter mit der Arbeiter*innenklasse assoziiert, beziehungsweise darin verortet. Dabei sind es unsichtbare Wahrnehmungsstrukturen einer visuell erlernten Sprache, die darüber bestimmen, welche Körper in welche Räume und in welche Kleidungsstücke passen.
Die Kleidungsstücke, die wir tragen, stehen dabei immer in sozial-politischen Verbindungen mit bestimmten Entstehungsgeschichten und Bedeutungen. Dabei sind und waren es schon immer die künstlerischen Formen des Sich-Stylens und Ausdrückens der marginalisierten Communities, die sich als große Inspirationen für modische Trends erwiesen haben. Diese oft politischen Bedeutungskontexte, in denen Kleidung aus einem Kampf heraus als wiederständige Strategie in der Behauptung einer Identität gebraucht wurde, wird zu selten mitreflektiert und wertgeschätzt. Im Gegenteil werden dieselben Kleidungsstücke zu teuren Luxusprodukten aufgewertet, die sich dann nur noch die bürgerlichen Klassen leisten können. So entsteht ein System der Vereinnahmung und Differenzierung, in dem immer wieder Ausgrenzung hergestellt wird und immer wieder neue kreative Strategien dagegen entwickelt werden, die sich dann wiederum neu angeeignet werden.
Im Kampf um Anerkennung und Zugehörigkeit ergeben sich unterschiedliche Zugänge und Herausforderungen mit Kleidung für unterschiedliche Körper und Privilegien. Es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Machtsystem, das dahinter steht und sich weiter stabilisiert. Dafür ist es notwendig, unsere Position und Privilegien auch in der Auseinandersetzung mit dem, was wir tragen, kritisch zu reflektieren sowie sich der Bedeutungsgeschichten bewusst zu werden.
Die Autorinnen
Mariama Sow (Sie/Ihr) ist freiberufliche Künstlerin und Kostümbildnerin. Zur Zeit studiert sie den Master in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit politischen Aspekten von Kleidung im Kontext von Empowerment und Repräsentation rassifizierter Menschen. Zuletzt absolvierte sie den Bachelor in Modedesign an der weißensee kunsthochschule berlin mit einer Forschungsarbeit zur Beziehung von Schwarzen Körpern und Kleidung.
Isabelle Edi (Sie/Ihr) ist Kostümbildnerin und beschäftigt sich mit Perspektiven für Schwarze Menschen in einer weiß dominierten Theaterlandschaft. Sie kooperierte unter anderem mit dem Schauspielhaus Hamburg, dem Thalia Theater, Kampnagel, dem Brut, David Uzochukwu und dem Filmkollektiv Jünglinge. 2017 gründete Sie mit einigen Freund*innen das Kollektiv POSSY, welches sich für die Sichtbarkeit von FLINTA* Personen im Kulturbereich einsetzt. Momentan studiert Sie im Master Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.