Für die Studie "Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht" wurden knapp 2.000 Theatermitarbeiter*innen zu den Arbeitsbedingungen an deutschen Theatern befragt.

Im Fokus standen dabei Fragen rund um Macht und Machtmissbrauch, körperlichen und sexualisierten Missbrauch, Arbeitszeiten, Bezahlung und sozialen Status. Thomas Schmidt, Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt a.M. und Leiter der Studie, kommt zu dem Ergebnis, dass es einen „strukturellen Machtmissbrauch im deutschsprachigen Theater gibt“ und Macht ein "reguläre[s] Management-Instrument“ ist (Zitat: Interview mit nachtkritik).

 

Die Studie ist im Springer Verlag erschienen

Durch die erhobenen Daten wird deutlich, dass insbesondere Theaterschaffende auf niedrigen Hierarchieebenen unter dem Machtmissbrauch leiden – Verschränkungen unterschiedlicher Diskriminierungsdimensionen, wie beispielsweise Gender und Klasse, deuten sich an.

 

Einige Ergebnisse der Studie:

Ausgangsbedingungen

  • Management der Theater
    • folgt mit wenigen Ausnahmen dem Ein-Intendant*innen-Model
    • Ernennung der Intendant*innen im Hinterzimmer der Kulturpolitik
    • In den letzten zehn Jahren wurden 76 Prozent Männer und 24 Prozent Frauen zu Intendant*innen gewählt. Nur 2 Prozent dieser Intendant*innen sind ausgebildete Manager*innen, der Rest sind Regisseur*innen und Dramaturg*innen, deren Kompetenzen im Personalmanagement sehr unterschiedlich sind.
  • Arbeitsbedingungen am Theater
    • Theater arbeiten heute immer mehr und versuchen, die eigene Produktivität durch sogenannte Überproduktion auf Kosten der Mitarbeiter*innen zu erhöhen.
    • Der Normalvertrag Bühne (NV-Bühne) erlaubt Intendant*innen flexible künstlerische Entscheidungen, sichert die Künstler*innen aber schlechter ab als zum Beispiel Mitarbeiter*innen in Verwaltung, Chor, Orchester und Technik.
    • Mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter*innen arbeitet bis zu zehn Stunden täglich. Grundsätzlich lässt sich dabei beobachten: Je höher die Arbeitsbelastung, desto mehr Frauen sind in dem Bereich tätig. Gleichzeitig verdienen gerade die viel Arbeitenden besonders wenig.

 

Erfahrungen von Machtmissbrauch

Etwa 55 Prozent der Theaterschaffenden haben an ihrem Arbeitsplatz Missbrauch erfahren – etwa jede*r zweite von ihnen mehrfach.

Die Erfahrungen umfassen:

  • Forderungen nach grenzenloser zeitlicher und räumlicher Verfügbarkeit
  • Erpressung, Drohen mit Kündigung, wenn nicht trotz Krankheit gespielt wird
  • Gagen unter Mindestlohn oder Forderung unbezahlter Arbeit
  • Zurückhaltung von Honoraren und Vertragsunterzeichnungen
  • Unrechtmäßig geringe Vertragslaufzeiten
  • Nichteinhalten von Verabredungen und mündlichen Verträgen
  • Drohung mit Kündigung aus nichtigen Gründen, Kündigung ohne Begründung oder nach Kritik und unerwünschten Fragen, wie z.B. nach einem Ausgleich von Überstunden.

 

Sexualisierte Übergriffe und Gewalt

In den meisten Fällen wird physische Gewalt von Männern gegenüber Frauen ausgeübt:

  • Frauen sind die wesentlichen Opfer von Gewalt in Theatern.
  • Frauen werden, dort wo Gewalt herrscht, weder durch Theaterleitung, noch Kolleg*innen oder Aufsichtsgremien ausreichend geschützt.
  • Sexismus und systematische Abwertung von Frauen gehören zum Theateralltag.
  • Kranke Darstellerinnen werden angehalten zu spielen.
  • Noch immer gibt es Fälle von Kündigung bei Schwangerschaft.

 

Sexualisierte Gewalt setzt oft mit negativen sexuellen Beschreibungen des Körpers ein. Auch sexuelle Anspielungen und anzügliche Beschimpfungen treten auf, was auf eine Arbeitskultur schließen lässt, die sich als freizügig versteht, aber bezüglich sexualisierter Grenzüberschreitungen keine klaren Regeln kennt. Teilnehmer*innen berichten des weiteren von expliziten sexuellen Angeboten und Annäherungen seitens der Intendant*innen oder Regisseur*innen sowie von unerwünschten Berührungen. Wer diese Angebote ablehnt, hat mit negativen Konsequenzen zu rechnen: zum Beispiel öffentlich vorgetragene und schädigende Zweifel an den künstlerischen Fähigkeiten, Zurückziehen versprochener Engagements, Nicht-Verlängerung von Verträgen.

 

Kritik am Ein-Intendant*innen-Modell

Zu den zentralen Ergebnissen der Studie gehört die von den Teilnehmer*innen mehrheitlich formulierte Kritik am Ein-Intendant*innen-Modell.

Einige Kritikpunkte an diesem Modell:

  • Das System befördert Abhängigkeiten.
  • Die Macht der Intendant*innen wird nicht kontrolliert.
  • Die Intendant*innen betreiben Vetternwirtschaft und begünstigen beispielsweise ihre Partner*innen

 

Kritisiert wird die Doppelmoral des Theaters, das auf der Bühne gesellschaftliche Missstände bearbeitet, während hinter den Kulissen Machtmissbrauch stattfindet. Deswegen werden flachere Hierarchien, Strukturveränderungen und die bessere Verteilung und Kontrolle von Macht gefordert.