Aktenschränke mit geöffneten Schubladen, aus denen Zettel fliegen, eine Uhr und ein Stundenglas, Zeitungsartikel, Jahreszahlen

Text: Gürsoy Doğtaş

 

Als die großangelegte Kunstausstellung „Das achte Feld“ im Museum Ludwig 2006 eröffnet, blickt einer der Kuratoren der Ausstellung, Frank Wagner, auf eine spannungsreiche Zeit zurück. Einerseits werden „schwule“ Filme wie „Brokeback Mountain“ und „Capote“ mit Oscars ausgezeichnet, andererseits ruft der Papst gegen die „Schwulen-Ehe“ auf und christlich-konservative Parteien gewinnen Wahlen mit homophoben Parolen.1 Zwischen den emanzipatorischen Errungenschaften und deren permanenter Gefährdung ereignet sich die Ausstellung „Das achte Feld“, die künstlerische Positionen seit 1960 umfasst. Im Oktober 2002 fragt Kasper König, der damalige Direktor des Museum Ludwig, Frank Wagner für die Beteiligung an der Ausstellung an. Zu diesem Zeitpunkt blicken sie bereits auf eine gemeinsame Arbeitserfahrung zurück. Zusammen haben sie die Ausstellungen zu Marlene Dumas und Hanne Darboven im Portikus in Frankfurt – König war dessen Direktor – betreut. Mit der europaweit ersten Ausstellung zu AIDS „Vollbild AIDS. Eine Kunstausstellung über Leben und Sterben“ (1988 im Bahnhof Westend, Berlin) besetzte Wagner darüber hinaus eine kuratorische Vorreiterrolle zu Diskursen über Gender, Sexualität, Körperpolitiken und AIDS. Die Infektion mit HIV bildet eine der acht thematischen Sektionen des „achten Felds“.

 

Die Ausstellung „Das achte Feld“ wiederum verfolgt das Ziel, „die bipolar organisierten Beziehungsfelder wie homosexuell-heterosexuell, maskulin-feminin, schwul-lesbisch zu überwinden“, so Wagner.2 Der Titel ist programmatisch für die „Erosion scheinbar gesicherter Geschlechteridentitäten.“3 Aus dem Schachspiel entlehnt greift der Titel auf den seltenen Moment in einer Partie zurück, in dem die Spielfigur des Bauern mit der geringsten Stellung und dem niedrigsten Bewegungsradius ins achte Feld rückt und sich in eine Dame verwandelt. So erhält die Figur den größten Bewegungsradius und entscheidet womöglich den Spielausgang für sich. Die Veränderung der Geschlechter – nicht der soziale Aufstieg zur Dame und damit eine aristokratische Nobilitierung – durchzieht folglich die meisten Sektionen der Ausstellung.

 

Unter dem Titel „Female to Male to Female“ verbirgt sich die größte Sektion der Ausstellung. Im Stil von Drag Kings nimmt beispielsweise die Künstlerin Adrian Piper die Rolle eines männlichen Alter Egos ein. Ingo Taubhorn wiederum fotografiert sich in den Kleidern seiner Mutter, um sich so mit seiner und ihrer Identität zu beschäftigen. Prozesse der Geschlechtsangleichung greift die Sektion „Trans-Sexualität“ auf. Eine der hier präsentierten Arbeiten ist die mehrjährige Fotoreportage zu Mona Ahmed, einer Trans*person in Indien, von Dayanita Singh. Die für diesen kurzen Überblick ausgesuchten Beispiele heben bewusst die wenigen Exponate hervor, in denen race wie auch eine nicht westliche Sicht auf Queerness eine Rolle spielen. „Matt & Eric (San Francisco)“ von 1996 zählt zu einer Reihe von fotografischen Portraits von Trans*Männern von Del LaGrace Volcano. Das homosexuelle Selbstverständnis und die soziale Stellung hinterfragen in der Abteilung „Identität und Porträt“ u.a. Künstlerinnen wie Zoe Leonard und Cheryl Dunye. Über 82 Fotografien breiten sie das Leben der lesbischen Schwarzen Filmschauspielerin und Nachtclubsängerin Fae Richards aus – einer fiktiven Person, mit der der Rassismus der Filmbranche genauso verhandelt wird wie auch die Freiräume ihres Privatlebens. Die Sektion „Orte des Begehrens – Cruising“ nimmt ihren Anfang bei den anonymen und geheimen Möglichkeiten, sich im semi-öffentlichen Bereich zum zufälligen Sex zu treffen. Eine Praxis, die in vielen Ländern auf eine Zeit zurückgeht, in der gleichgeschlechtlicher Sex juristisch strafbar war. Unter den ausgestellten Werken finden sich fotorealistische Bleistiftzeichnungen, Zeichnungen mit verkehrten Farben wie auf Negativbildern, aus Streifzügen im Tiergarten – einem Cruising Ort in Berlin – des Künstlers Marc Brandenburg.

 

Allein die Größenordnung der LGBTQI*-Themenausstellung in einem deutschen Kunstmuseum bildet eine Zäsur zu bisherigen Ausstellungen. Der Ausstellungsparcours und die aufwendige Architektur des Künstlers Eran Schaerf übersetzen die Sektionen auf die gesamte Fläche des Museums. Auf 3.400 Quadratmetern werden über 250 Werke von mehr als 80 Künstler*innen gezeigt. Auch Flächen, die eigentlich nicht als Ausstellungsflächen genutzt wurden, sei es die Eingangshalle oder die Freitreppe zwischen den Ausstellungsebenen, dienten als Schauraum. „Zwei Wege führen von der Eingangshalle in entgegengesetzten Richtungen in die Welt der Geschlechterverhältnisse und die vielfältigen Formen des Begehrens“, erläutert Wagner die Choreographie der Ausstellung. Der eine Weg führt durch den Themenstrang „Crossdressing und Wandel“ und der andere über den „selbstbewusste[n] Umgang mit Sexualität.“ Die Ausstellung präsentiert die queere und vornehmlich euro- und USA-zentristische Kunstgeschichte eines halben Jahrhunderts. Mit Größen der Pop-Art wie Andy Warhol oder Jasper Johns knüpft die Ausstellung an das frühe Sammelgebiet des Ehepaars Ludwig, den Gründer*innen des Museums, an. Neben den zahlreichen Exponaten setzt sich die Ausstellung aus einem diskursiven Programm, Filmvorführungen, kulturellen Veranstaltungen und Literatur zusammen.

 

Vorgeschichten der Benachteiligung

Ihren Anfang nahm die Ausstellung „Das achte Feld“ jedoch fünf Jahre vor ihrer Eröffnung. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs erwähnt Kasper König den Essayisten und Kunstkritiker Heinz-Norbert Jocks. Der von ihm 2001 herausgegebene Band „Der homoerotische Blick“ in der Kunstzeitschrift „KUNSTFORUM International“ inspirierte König zu der Ausstellung. „Dieser Band“, schreibt König, „regte das Kuratoren-Team dazu an, die künstlerische Auseinandersetzung mit dem komplizierten Verhältnis der Geschlechter und den Spielarten sexueller Transformation und Abweichung genauer zu betrachten und vielfältige Positionen zu versammeln.“4 Variationen dieser Einschätzung durchziehen die Geschichtsschreibung des „achten Feldes.“

Doch obwohl Jocks an prominenter Stelle im Ausstellungskatalog erwähnt wird, bleibt das Ausmaß seines Einflusses auf die Ausstellung unsichtbar. Denn König verschweigt in seinem Vorwort, dass er und Jocks sich zu vier Planungsvorgesprächen der groß angelegten Ausstellung verabredeten. Es waren, wie sich Jocks erinnert, Arbeitsgespräche zu einer Erstkonzeption, in denen er den Museumsdirektor großzügig mit subkultureller Expertise versorgte.5 Als Jocks nach der Eröffnung durch die Ausstellung läuft, um sie für „KUNSTFORUM“ zu rezensieren, erkennt er in ihr die Grundzüge seiner Erstkonzeption. Einige seiner Ideen hatte sich die Kunstinstitution einverleibt, sein Mitwirken jedoch heruntergespielt. So deutet dieser Moment im Vorfeld der Ausstellung bereits auf dominante Handlungs- und Denkweisen einer Institution hin, die das erste Mal seit ihrem 30-jährigen Bestehen eine thematische Ausstellung zu Gender, Homosexualität und Queerness ausrichtet: Die Institution verschleiert den Einfluss des schwulen Ko-Kurators.

 

Andere Erzählungen, mit denen sich die Institution selbst rühmt, lassen sich ebenfalls anhand von Jocks Gegendarstellungen aufzeigen. Über die Rolle der 2004 verstorbenen Kölner Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer schreibt König in seinem Vorwort: „So wuchs die Zahl der eingeladenen Künstler von den ersten Gesprächen im Jahr 2002 – mit unserer damaligen Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer – bis heute beständig an.“6 Jocks erinnert sich, dass die Kulturdezernentin König zunächst nicht von der Bedeutung einer solchen Ausstellung überzeugen konnte.7 Das Vorwort klammert diese Einordnung aus.

 

Mit jedem der Konflikte, mit dem sich die Ausstellung bereist in der Planungs- und Umsetzungsphase konfrontiert sieht, verschiebt sich die Position von König und somit der Institution. Aus dem Zögernden vielleicht auch Verhindernden wird der Ermöglicher und bisweilen Verteidiger. Dies gilt auch, als das Plakatmotiv zur Ausstellung vom Kulturdezernenten der Stadt, Georg Quander, verboten wird. Wie das Umschlagbild des Katalogs, das Motiv auf den Tickets oder der Broschüre zeigte auch das Plakat die Fotografie „Dunst I“ von Wolfgang Tillmans. Das Plakat durfte nicht ausgehängt werden, weil es aus der Untersicht einen rocktragenden Mann ohne Unterwäsche zeigt. In einer Podiumsdiskussion zu der Frage „Wie weit darf Kunst gehen?“ verteidigt König das Plakatmotiv öffentlich.8 Auf einen größeren Widerstand stößt die Ausstellung bei dem Sozialdemokraten Wolfgang Thierse, der damals Präsident des Deutschen Bundestages aber auch Vorsitzender der Kulturstiftung des Bundes ist. Er verhindert die finanzielle Förderung der Ausstellung durch die Kulturstiftung.9

Angesichts der Ablehnungen dieser Größenordnung schreibt sich bei Julia Friedrich (Ko-Kuratorin) und Frank Wagner der Eindruck fest, dass es „einen solch unkonventionellen Direktor wie Kasper König [braucht], um solch ein Projekt […] durchzusetzen.“10

 

Queers for the straight gaze

Über die Setzung der Themen, die Einbettung in Theorien, künstlerische Verfahren und Biografien, sei es der Künstler*innen und/oder deren Protagonist*innen, verhandelt „Das achte Feld“ sexuelle Differenz und Queerness. Besonders durch seine Exponate fordert es die größtenteils heteronormativen Strukturen der Dauer- oder Wechselausstellungen und damit auch das bisherige Vermächtnis des Museums heraus. Dezidiert spricht das Museum queere Menschen als vielfältiges Publikum an.

Queerness verknüpft die Ausstellung nicht allein mit Identität, sondern präsentiert sie zudem als eine kulturelle und akademische Praxis, die sich auch Heterosexuelle und cis-Personen zu eigen machen. Dies passiert auf der Ebene der Werke, was unter anderem durch Künstlerinnen wie Monica Bonvicini, Louise Bourgeois oder Michaela Melián deutlich wird, sowie auf der Ebene der Texte z.B. durch die Autoren Thomas Meinecke oder Diedrich Diederichsen. Zuweilen entsteht der Eindruck, als könnte sich Queerness erst durch die Anerkennung von heterosexuellen Autor*innen, Akademiker*innen, Künstler*innen oder Museumsdirektor*innen legitimieren. Diese Privilegierung der Perspektive der Heterosexuellen und cis-Personen gegenüber queeren und trans* Menschen versäumt die Ausstellung zu erläutern.

Teilweise werden die Arbeiten von heterosexuellen Künstlern wie von Hans-Peter Feldmann im Rahmen des „achten Feldes“ noch zusätzlich hervorgehoben. In der Nähe des Museums auf dem Heinrich-Böll-Platz lässt Feldmann eine sechs Meter hohe David-Skulptur aus Stahl und Styropor aufstellen. Anders als die Vorlage von Michelangelo ist die Skulptur bunt angemalt. Für Julia Friedrich ist diese campe Skulptur (genaugenommen die kulturelle Aneignung der stilistisch überpointierten Ausdrucksweise schwuler Subkultur) die „Galionsfigur des ‚Achten Feld‘“.11 Enthüllt wird sie zum Christopher Street Day. In dem Moment, in dem diese Arbeit und damit die Ausstellung sich mit der LGBTQI*-Parade verbindet, wären Erläuterungen hilfreich gewesen, die auf die Art und Weise der Übereinkünfte zwischen dem Museum und dem Protestzug eingehen.

 

Die Missverhältnisse der Repräsentation zeigen sich auch unter den ausgestellten schwulen, lesbischen, queeren, nicht-binären, trans* und inter* Künstler*innen. Die schwulen Künstler kommen nicht nur häufiger vor, sondern Künstler wie Gilbert & George, Robert Gober, David Hockney, Jasper Johns, Robert Mapplethorpe, Robert Rauschenberg, Wolfgang Tillmans oder Andy Warhol gehörten bereits deutlich vor dem „achten Feld“ zum kunsthistorischen Kanon und nahmen eine bedeutende Stellung innerhalb des Ausstellungsbetriebs und Kunstmarkts ein. Doch auch die ungleichen Verteilungen von immateriellen und materiellen Ressourcen innerhalb dieser Gruppe, ihre Spannungen, Konflikte und Konkurrenzsituationen untereinander, reflektiert die Ausstellung nicht. Dies gilt noch weniger für Differenzen entlang der Zugehörigkeit von race, class oder ability. Wenn auch sicherlich unbeabsichtigt arbeitet Wagner, als cis-Mann und weißer, schwuler Kurator, strukturell der Normalisierung solcher sozialen Ungleichgewichte zu. Eine Tendenz, die sich auch in anderen Ausstellungen wie „Queer British Art“ (2017, Tate London), „Hide/Seek: Difference and Desire in American Portraiture“ (National Portrait Gallery, Smithsonian, Tacoma Art Museum, Brooklyn Museum, 2011/12) wiederholt, wie Birgit Bosold, Kuratorin und Vorstandsmitglied des Schwulen Museums, feststellt.12

Der größte geografische Bezugspunkt der Ausstellung sind die USA. Dies liegt an der hohen Zahl an US-amerikanischen Künstler*innen in der Sammlung des Museums und der Bedeutung der Stonewall Riots von 1969 für die queere Emanzipationsbewegung. Diese Bewegung wird in der Ausstellung zu einem alternativlosen und globalen Standard. Aber auch die internen Spannungen des Stonewall-Aufstandes entlang race und class finden kaum Eingang in die Ausstellung. Die Bewegung wird so gewissermaßen homogenisiert und die Perspektive des weißen Schwulen standardisiert. Ein Beispiel hierfür ist Frank Wagners Einordnung der Zwei-Kanal-Videoinstallation „Männergeschichten 1“ des Künstlers Marcel Odenbach: „Er [Marcel Odenbach, Anm. d. Verf.] hat den hochsensiblen Umgang mit dem scharfen Messer in einem türkischen Friseursalon an jungen Männern gefilmt. Die sorgfältige Prozedur, die zu glatter und fast schattenfreier Haut führt, steht im merkwürdigen Kontrast zum Machoverhalten der jungen Türken und Araber, bestätigt aber deren Aufmerksamkeit auf die Position im gesellschaftlichen Raster und kulturellen Kodex der islamisch-patriarchalen Gesellschaft.“13 Eine Ausstellung, die sich für Gleichberechtigung engagiert, grenzt mit exotisierenden Stereotypen aus. Zu dem kommen im „achten Feld“ keine Stimmen der Arbeitsmigrant*innen oder deren Nachfahren vor und damit auch nicht deren Momente der LGBTQI*-Geschichtsschreibung, wie die Partyreihe „Gayhane“ im SO36 in Kreuzberg.

In der verengten Perspektive der Ausstellung kommt der globale Süden kaum vor. Und das, obwohl es viele Jahre vor dem „achten Feld“ eine vitale LGBTQI*-Szene im globalen Süden gibt, wie z.B. das Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival (seit 1989) oder vergleichbare Festivals in Tokio (seit 1992), in Phuket und Pattaya (seit 1999) und verschiedene Pride-Demonstrationen in Asien oder Südamerika zeigen.

 

Zeit für einen Re-Visit

Im „achten Feld“ fehlen kulturelle und historische Ausdifferenzierungen der gleichgeschlechtlichen Liebe, von Trans- und Mehrgeschlechtlichkeit sowie deren Ächtung, Verfolgung und Kriminalisierung in der Zeit des Kolonialismus. Innerhalb der Arbeiten aus Deutschland wiederum geht die Ausstellung nicht auf die diskursiven Unterschiede der Queerness zwischen der BRD und DDR ein. Was hier wie eine Vereinheitlichung erscheint, ist die Fortsetzung des dominierenden west-deutschen Diskurses.

„Das achte Feld“ re-organisiert die kanonisierte westliche Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg wie von Andy Warhol, Jasper Johns und Robert Rauschenberg. Künstler, die sich am Anfang ihrer Karriere nicht öffentlich outen konnten und deren Homosexualität immer noch geleugnet wird. Noch 2013 bezeichnete das MoMa in New York in einer Sammlungspräsentation Robert Rauschenberg und Jasper Johns als „Freunde“. Im Ausstellungskatalog wiederum schreibt Wagner offen von der Partnerschaft der beiden Künstler, die 1959 endete.14

Innerhalb einer queeren Ausstellungsgeschichte (West-)Deutschlands ist „Das achte Feld“ der Versuch, diese Themen über ein bedeutendes Kunstmuseum einem großem Publikum zugänglich zu machen. Sie macht auch den Kuratoren Frank Wagner (1958–2016) bekannt, dem nach seinem Tod in den Kunst-Werken (KW) 2019 eine eigene Ausstellung „TIES, TALES AND TRACES“ gewidmet wurde. „Das achte Feld“ befindet sich zwischen vielen weiteren Ausstellungen, die sich mit ähnlichen Themen- und Fragestellungen beschäftigen. Seien es die Gruppenausstellungen zu AIDS, wie „Vollbild AIDS. Eine Kunstausstellung über Leben und Sterben“ (Bahnhof Westend, Berlin) aus dem Jahr 1988 oder „LOVE AIDS RIOT SEX – Kunst AIDS Aktivismus 1987–2014“ (nGbK, Berlin 2013/14), oder die Einzelausstellungen zu queeren Künstlern wie 1992 zu David Wojnarowicz (im KW) und 2006 zu Félix González-Torres (im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart).

„Das achte Feld“ ist auch deshalb möglich, weil andere Ausstellungen im Vorfeld grundlegende Arbeit geleistet haben, wie die Ausstellung „ELDORADO – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850–1950/Geschichte, Alltag und Kultur“ 1984 im Berlin Museum. Eine kulturgeschichtliche Ausstellung, die den Versuch unternimmt, „die vernachlässigte und verdrängte Geschichte einer durch Vorurteil und Gesetz stigmatisierten Bevölkerungsgruppe zu rekonstruieren.“15 Auf dieser Ausstellung beruht auch die Gründung des 1985 ins Leben gerufenen Schwulen Museums (Berlin). Wie lohnenswert es ist, die eigene Gründungsausstellung sowie die Archivbestände und die Geschichte des Schwulen Museums z.B. aus einer postkolonialen Perspektive zu hinterfragen, belegt die Ausstellung „Odarodle – Sittengeschichte eines Naturmysteriums, 1535-2017“ von 2017.

Versäumnissen des „achten Feldes“ wirkten Folgeausstellungen wie „Homosexualität_en“, eine Kooperation zwischen dem Deutschen Historischen Museum und dem Schwulen Museum, 2015 entgegen. Hier wurden Künstlerinnen und Trans*Künstlerinnen und damit feministische Themen der sexuellen Revolution durch das kuratorische Narrativ dezidiert herausgearbeitet.

So wie das Schwule Museum die Ausstellung „ELDORADO“ durch eine weitere Ausstellung einer kritischen Prüfung unterzog, wäre es nun auch Zeit, ähnlich mit „dem achten Feld“ zu verfahren.

 

Über den Autor

Gürsoy Doğtaş, Kunsthistoriker, arbeitet para-kuratorisch an den Schnittpunkten von Institutionskritik, strukturellem Rassismus und Queerstudies. Neben vielen Ausstellungen verantwortete er „Gurbette Kalmak / Bleiben in der Fremde“ (2023) im Taxispalais Innsbruck, „The kültüř gemma! issue“ des Parabol Art Magazines (2021) und ko-kuratierte das Symposium Das Recht auf Erinnern und die Realität der Städte in Nürnberg (2021). 2022/23 lehrte er als Gastprofessor im Institut Kunst in Kontext an der Universität der Künste Berlin.

  • 1Als Bürgermeister von Warschau hatte der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski die Pride zwei Mal verboten. Wagner zitiert eine abfällige Bemerkung von ihm im Katalog: „Es wäre eine Bedrohung für jedes Volk, wenn sich solches Verhalten weiter ausbreiten würde. Glücklicherweise können sich Schwule und Lesben nicht vermehren.“ Vgl.: Frank Wagner, „Das Achte Feld – Klappentexte zum Ausstellungsexperiment.“ In: Das Achte Feld, Ausst.-Kat. Museum Ludwig 2006, Ostfildern 2006, S. 19-39, hier S. 19.
  • 2Ebd., S. 20.
  • 3Ebd.
  • 4Kasper König, Vorwort. In: Das Achte Feld, Ausst.-Kat. Museum Ludwig 2006, Ostfildern 2006, S. 11-13, hier S. 11.
  • 5Heinz-Norbert Jocks: „Das achte Feld.“ In: Kunstforum Band 182, Oktober/November 2006 (online Ausgabe ohne Seitenzahl).
  • 6König, Vorwort, S. 11.
  • 7Jocks: „Das achte Feld,“ (online Ausgabe ohne Seitenzahl).
  • 8Vgl. Julia Friedrich, „The Eighth Square: In Memory of Frank Wagner.“ In: OnCurating, Issue 37, Mai 2018. S. 22–28, Hier S. 23
  • 9Thierses genauen Beweggründe benennt die Co-Kuratorin Friedrich nicht. Friedrich schreibt: „But the board of directors, chaired by Wolfgang Thierse—a social democrat and Catholic who, back then, was the president of the German Bundestag— refused the money.“ Ebd., S. 28.
  • 10Interview mit Frank Wagner, „Museum Ludwig goes queer.“ In: Rik, August 2006 und vgl. auch Friedrich, „The Eighth Square: In Memory of Frank Wagner,“ S. 22.
  • 11Friedrich, „The Eighth Square: In Memory of Frank Wagner,” S. 26f.
  • 12Birgit Bosold, „How Could This Have Happened? Reflexions on Current Programming Strategies of Schwules Museum Berlin.“ In: OnCurating, Issue 37, May 2018. S. 5-12, hier S. 7.
  • 13Wagner, „Das Achte Feld – Klappentexte zum Ausstellungsexperiment;“ S. 26.
  • 14Ebd, S. 20.
  • 15Einleitung. In: „ELDORADO – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850–1950/Geschichte, Alltag und Kultur“ Berlin Museum 1984, Berlin 1984, S. 5 – 7, hier S. 5.