Dekorative Grafik

Text: Katti Jisuk Seo

 

Ich coache, schreibe, unterrichte, moderiere, analysiere Filme und habe selbst einen Dokumentarfilm gemacht. Viele kreative Freelancer*innen kennen die Herausforderungen eines solchen Arbeitslebens, in dem wir tausend Leidenschaften gleichzeitig folgen. Dass wir unsere Zeit dabei selbstbestimmt strukturieren, kann uns Freude und Qual zugleich bedeuten. In diesem Text teile ich meine drei Lieblingsstrategien, die mir das selbständige Arbeiten enorm erleichtern.

 

#1 Next Magic Three

Die Next Magic Three sind eine Art der Fokussierung, die mir häufig hilft, wenn ich das Gefühl habe, ich kann vor lauter Arbeitsschritten gerade nicht mehr klarsehen. Ich lege dann immer nur die nächsten drei Schritte fest, die ich jetzt innerhalb der nächsten Minuten gehe bzw. mache. Nach den ersten drei Schritten dürfen die nächsten drei kommen und dann wieder die nächsten drei.

 

Zum Beispiel, wenn ich mich gerade an den Schreibtisch setzen will, aber auf dem kurzen Weg vom Bett zum Tisch eine Millionen Dinge in meinem Kopf „aufpoppen“: Oh, die Uhr braucht ’ne Batterie, ach ja, das Kleid wollte ich ja noch entfusseln für die Premiere, ah warte, wollte ich nicht noch einen Newsletter rausschicken? Ah, und ich muss ja auch noch Filmbilder raussuchen, Schnelltests fürs Teamcoaching kaufen, das Handout verschicken, ein Care-Paket für meine covidkranke Cousine zur Post bringen, meinen Körper bewegen, meinen Körper hydrieren, meinen Körper entspannen, aaaaaaaah!

 

Wenn all das auf mich „einprasselt“, suche ich mir erstmal nur drei Dinge davon aus, die mir entweder am dringendsten, wichtigsten oder machbarsten erscheinen. Bei der Auswahl helfen mir folgende Fragen:

 

  • Dringend: Wenn ich heute einen Kummer, Kater oder Kopfschmerz hätte und ein fürsorglicher Mensch mir liebevoll befehlen würde, mich auszukurieren statt zu arbeiten, gäbe es dann ein To-Do, das ich trotzdem noch unbedingt erledigt haben muss, bevor das Auskurieren beginnen kann?
  • Wichtig: Was sind die Dinge, die ich in reflektierten Momenten oft als so wertvoll oder wohltuend benenne, dass ich sie auch in stressigen Zeiten gerne tun will?
  • Machbar: Was ist eine Sache, die kein Gehirnschmalz erfordert, relativ schnell geht und die mir eventuell sogar einen kleinen Energiekick geben kann, wenn ich sie erledigt habe?

 

Ich nehme die ersten drei Dinge, die mir in den Sinn kommen, ohne sie in Frage zu stellen. Zum Beispiel: Handout verschicken, Wasser trinken, Covidtests kaufen. Sollte ich Angst haben, die anderen Punkte zu vergessen, schreibe ich sie auf.

 

Für mich ist dabei irrelevant, ob ich mit den drei dringendsten oder wichtigsten oder machbarsten Dingen anfange oder einem Mix aus allem. Das Entscheidende dabei ist keinesfalls, perfekt zu priorisieren, sondern vom Gefühl der Überwältigung in die Selbstermächtigung zu kommen.

 

Wenn ich mich nur auf die nächsten drei Dinge fokussiere, dann wird all der Wust an Aufgaben erstmal in einen anderen Raum meines Gehirns gesperrt, während ich selbst mich in einem geistigen Raum befinde, der angenehm minimalistisch ist und in dem es eben immer nur die nächsten drei Schritte gibt.

 

#2 Step Buddys

Als Freelancer*innen sind wir beim Strukturieren unserer Arbeitsabläufe oft komplett auf uns allein gestellt. Da kann es extrem hilfreich sein, sich eine*n Step Buddy für konkrete Arbeitsschritte zu suchen. Eine Person, mit der wir unsere Vorhaben besprechen und Erfolge feiern können. Dieses gegenseitige Begleiten muss nichts Großes sein, das im Kalender wieder viel Raum einnehmen würde. Es kann ganz leicht und niedrigschwellig aussehen.

 

Zum Beispiel wollte ich mir im ersten Corona-Winter angewöhnen, jeden Morgen um 6:30 Uhr aufzustehen. Für mich als leidenschaftliche Spätaufsteherin war das ein krasses Vorhaben. Was mir schließlich geholfen hat: mich mit einer Freundin zu verbünden, die ebenfalls vorhatte, jeden Morgen so früh aufzustehen. Wir haben uns dann täglich um 6:30 Uhr einen Morgengruß per WhatsApp geschickt. Das erleichterte uns das Aufstehen enorm. Noch dazu fanden wir es seelenwärmend, jeden Morgen mit liebevollen Grußworten in den Tag zu starten.

 

In diesem Fall hatten meine Freundin und ich zwar dasselbe Vorhaben mit denselben zeitlichen Rahmenbedingungen. Aber das braucht es nicht, um sich gegenseitig als Step Buddys zu begleiten. Mit einer anderen Freundin habe ich einen Chat, in den ich meine angestrebten Tagesmeilensteine und die oben genannten nächsten drei Arbeitsschritte reinschreibe. Sie muss davon nichts verstehen und braucht auch nicht zu reagieren. Allein, dass sie Zeugin für meine Vorhaben ist, motiviert mich, den Fokus zu behalten. Sie nutzt unseren Channel wiederum für ganz andere Dinge, zum Beispiel um sich zu merken, dass sie noch kurz zum Tischler muss, bevor sie die Kinder abholt.

 

Nicht immer finden wir in unserem Freund*innenkreis passende Step Buddys. Dann kann es hilfreich sein, in anderen Kontexten Menschen anzusprechen. Einige wunderbare Step-Buddy-schaften habe ich zum Beispiel an meiner Filmschule, in meinem Coworking Space und auf BIPoC-Community-Events gefunden.

 

#3 Die Weisheit des Rückblicks aus der Zukunft

Oft wollen wir alles gleichzeitig schaffen und das am besten schon vorgestern. Zum Beispiel wenn ich nur noch eine Woche Zeit habe bis zum Urlaub, aber unbedingt noch meine Website relaunchen, meinen Trailer schneiden und einen Essay schreiben wollte. All das sprengt den Rahmen der verbleibenden Woche. Zähneknirschend muss ich wohl zwei Projekte verschieben und eins beibehalten.

 

Aber wie entscheide ich das? In solchen Momenten helfen mir Coaching-Fragen, die ich „Fragen aus der Zukunft an das Jetzt“ nenne.

 

  • Variante 1 mit mittelgroßem Zeitsprung: Angenommen, du blickst an Silvester auf dieses Jahr zurück und bist richtig zufrieden damit, wie du dieses Jahr gelebt hast — was glaubst du, was du in der Woche vor dem Sommerurlaub dann wohl gemacht haben wirst?
  • Variante 2 mit großem Zeitsprung: Angenommen, in drei Jahren bist du vollkommen in deinem Traumarbeitsleben angekommen und blickst auf die jetzige Zeit zurück. Du erinnerst dich, wie du die Zeit vor deinem Sommerurlaub verbracht hast und bist dir selbst dankbar dafür, wie du sie verbracht hast. Was wirst du dann in dieser Woche vor deinem Urlaub gemacht haben?
  • Variante 3 mit riesigem Zeitsprung: Angenommen, du blickst als alte weise Person in deinen Siebzigern auf dein erfülltes Leben zurück. Du bist richtig zufrieden damit, wie du dein Arbeitsleben in den frühen 2020ern so gestaltet hast. Woran wirst du dich dann wohl gerne erinnern, welches Projekt du damals vor der Sommerpause 2022 fertiggestellt hast?

 

Wenn ich mich in mein zukünftiges Ich hineinversetze, merke ich, wie wichtig mir das Schreiben ist und wie unwichtig mir dagegen ist, ob der Website-Relaunch nun vor oder nach dem Sommer passiert.

Durch den Rückblick aus der Zukunft auf das Jetzt trennt sich das Wesentliche vom Unwesentlichen.

Ich experimentiere dabei mit unterschiedlich großen Zeitsprüngen, weil jede Variante eine eigene, hilfreiche Sicht mit sich bringt. Ich empfehle, die Fragen anhand eines eigenen Beispiels auszuprobieren und sich überraschen zu lassen, welche Varianten was für Gedanken und Gefühle hervorrufen. Die Fragen eignen sich auch super, um sie im Austausch mit einer*einem Step Buddy zu beantworten.

 

Wenn du Gedanken über diesen Artikel austauschen magst, melde dich gerne: mail@kattijisuk.com

 

Links

Hilfreiche Tools, Strategien und Gedanken zum selbständigen Arbeiten

 

Blog von Jesta Phoenix | Business Emotion Coach

Ein Blog, der Tools, Strategien und Gedanken für glücklicheres, selbständiges Arbeiten mitgibt — jenseits von neoliberaler Selbstoptimierung

 

Neue Narrative | Magazin

Ein Online-Magazin, das sich New Work mit einer ego-kritischen Perspektive widmet und dabei noch hands-on Tools für ein wohltuenderes Arbeiten mitgibt.

 

It Takes A Village | Podcast

Ein Podcast von Delina Medhin, in dem sie in ungefilterten Gesprächen ihre Struggles und Erkenntnisse auf dem Weg in die unternehmerische Selbständigkeit teilt.

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