Unterscheidet sich der Kulturbetrieb maßgeblich von anderen Bereichen, in denen Trainer*innen Antidiskriminierungsworkshops geben? Lou Herbst und Nina Khan hinterfragen das progressive Selbstbild des Kulturbetriebs, geben Hinweise zur Vorbereitung gelungener Workshops und benennen Besonderheiten des kulturellen Felds.

 

«Der Kulturbereich ist irgendwie anders» oder «Unsere Institution ist so hierarchisch wie sonst kaum eine andere». Solche oder ähnliche Aussagen begegnen uns immer wieder, wenn wir Anfragen von Akteur*innen aus dem Kulturbereich für Workshops zu Themen rund um Antidiskriminierung und Diversität bekommen. Als wir vor einigen Jahren begonnen haben, immer mehr in diesem Kontext zu arbeiten, waren wir unsicher. Bringen wir überhaupt genügend Kenntnisse aus diesem Bereich mit? Was ist, wenn der Kulturbereich wirklich so anders ist? Müssen wir uns auf ein spezielles Setting einstellen? Rückblickend können wir sagen: Ja und Nein. Und wir können angehenden Trainer*innen in diesem Bereich Folgendes mitgeben:

 

Es gibt durchaus einige Besonderheiten, die auch wir in den letzten Jahren in unserer Tätigkeit im Kunst- und Kulturbereich festgestellt haben: Tatsächlich herrscht oftmals das Selbstbild eines progressiven, aufgeklärten und kritischen Umfeldes, das anderen gesellschaftlichen Gruppen und Bereichen voraus ist und sich durch eine ausgeprägte Offenheit gegenüber gesellschaftskritischen Themen auszeichnet. Gleichzeitig beobachten wir stark ausgeprägte Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse sowie eine sehr homogene Zusammensetzung der Menschen, die hier arbeiten (mehrheitlich weiß, bürgerlich, akademisiert, ohne (sichtbare) Behinderungen und Beeinträchtigungen, cis, hetero), die an dem zuvor beschriebenen Selbstbild zweifeln lassen. Da dies allerdings uns gut bekannten Kontexten, wie Wissenschaft und Hochschulen, Stiftungen und NGOs sehr ähnelt, können wir gut an unsere Erfahrungen anschließen.

Grundsätzlich können wir sagen: Wer im Kulturbereich Workshops zu Antidiskriminierung und Diversität geben möchte, sollte zentrale Kompetenzen mitbringen: Die Heranführung an ein eher unbeliebtes Thema, die Vermittlung sehr komplexer Zusammenhänge auf möglichst einfache Art und Weise, die Arbeit mit Abwehr und Widerständen, der Umgang mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen, Diskriminierungserfahrungen und Privilegien in der Gruppe und mit der Reproduktion von Diskriminierung durch Teilnehmende.

 

«Wir wollen diverser werden»

In den letzten Jahren haben wir unterschiedliche Institutionen und Gruppen aus dem Kunst- und Kulturbereich mit unseren Workshops in ihrer Auseinandersetzung mit Diversität und Antidiskriminierung begleitet: Museen, Kunsthochschulen, Theater oder kleinere Vereine und Kollektive. Wir arbeiten mit einzelnen Abteilungen einer Institution, aber auch institutionsübergreifend mit freien Zusammenschlüssen von Akteur*innen, z. B. aus der Theaterszene einer Stadt. Die Anfragen und Auftragsklärungen unterscheiden sich: Mal sind es einzelne Mitarbeitende, die bestimmte strukturelle (z. B. rassistische oder sexistische) Ausschlüsse oder Vorfälle in ihrem Arbeitsumfeld bemerken (oder selbst erleben) und sich ein diskriminierungssensibles Arbeitsumfeld wünschen. Sie wollen die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Diversität vorantreiben. In anderen Fällen wiederum geht der Impuls von der Leitungsebene aus, mit der oft nicht näher bestimmten Agenda: «Wir müssen diverser werden.» Oder aber es gibt eine eindeutige Anweisung für eine verpflichtende Weiterbildung für alle Beschäftigten, z. B. auf der Grundlage der Antirassismusklausel.

Es gibt selten ein gemeinsames Verständnis von Diskriminierung und deren Wirkungsweisen unter den Kolleg*innen bzw. innerhalb der Institution.

Was auch immer die Motivation für eine Weiterbildung und Auseinandersetzung mit Diversität und Antidiskriminierung ist: In unseren ersten Gesprächen wird schnell deutlich, dass es selten ein gemeinsames Verständnis von Diskriminierung und deren Wirkungsweisen unter den Kolleg*innen bzw. innerhalb der Institution gibt.

 

Ebenso ist auffällig, dass ein diversitätsorientiertes Leitbild oder eine Antidiskriminierungsrichtlinie für den Beschwerdefall meist nicht existiert. Doch nicht selten erreichen uns auch, ohne dass bereits Grundlagen dieser Art geschaffen wurden, sehr spezifische Anfragen, z. B. für Workshops zur diskriminierungssensiblen Öffentlichkeitsarbeit für die Kommunikationsabteilung eines Hauses. Hier haken wir nach: Gab es bereits eine erste, grundlegende Auseinandersetzung mit Diskriminierung? Wurde der Blick schon nach innen gerichtet und interne strukturelle Ungleichheiten analysiert? Oder geht es «nur» um die Außendarstellung der Institution, die sich nach innen aber nicht verändern möchte? Dann müssen wir bremsen und deutlich machen, dass der erste Schritt nicht ausgelassen werden darf, wenn eine ernsthafte institutionelle Selbstreflexion das Ziel ist. Bei allen Anfragen gilt: Neben dem Hinweis, dass ein längerer Prozess mit einer externen Beratung und Begleitung wichtig ist, versuchen wir gleich zu Beginn deutlich zu machen, was wir mit unseren Workshop-Formaten erreichen können und was nicht: Es ist ein erster Schritt auf dem langen Weg hin zu einer diversitätsorientierten und diskriminierungskritischen Transformation. Wir geben Impulse und regen eine kritische und ehrliche Selbstreflexion an. Wenn es genug Zeit und Ressourcen gibt, erarbeiten wir gemeinsam erste Handlungsoptionen, machen aber deutlich, dass die richtige Arbeit erst noch bevorsteht. In der Auftragsklärung skizzieren wir also die Möglichkeiten und Grenzen einzelner Workshops und empfehlen eine langfristig angelegte Organisationsentwicklung und/oder Prozessbegleitung mit Fokus auf Diversität und Antidiskriminierung.

 

Gute Vorbereitung, vielfältige Methoden

 

Workshops zu konzipieren und durchzuführen ähnelt einer Jonglage mit mehreren Bällen. Es braucht eine gute Vorbereitung, einen sicheren Stand, Konzentration, die richtigen Reaktionen an der richtigen Stelle sowie einen guten Überblick über alle Beteiligten und ein ganzheitliches Wissen zu den Themen, die im Workshop behandelt werden sollen . Wenn ein Ball runterfällt, braucht es vielleicht eine Pause oder ein Innehalten. Und um all dies gut zu meistern braucht es natürlich auch: Übung.

 

Für die konkrete Vorbereitung des Workshops bedeutet dies: Trainer*innen sollten (sich) einige Fragen stellen:

 

  • Ist die Teilnahme am Workshop freiwillig oder sind ganze Abteilungen oder Institutionen dazu verpflichtet?
  • Kommen Mitarbeitende aus unterschiedlichen Abteilungen zusammen, die sonst nicht viel miteinander arbeiten?
  • Treffen akademisierte auf nicht-akademisierte Personen und umgekehrt? Wie muss ich mich für die gemeinsamen Diskussionen darauf vorbereiten?
  • Ist das Vorwissen sehr unterschiedlich verteilt?
  • Werden Personen, die in hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander stehen, im Workshop aufeinandertreffen? Was macht das mit einer ungezwungenen Diskussion oder auch mit sehr persönlichen Methoden, wie zum Beispiel der Biografiearbeit?
  • Gab es konkrete (Diskriminierungs-)Vorfälle, die dem Workshop vorausgingen?
  • Nehmen Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Positionierungen teil?

 

All dies hat Einfluss auf die Konzipierung des Workshops, die Methodenauswahl, die Ausgestaltung eines Inputs und die Moderation.

Bei der Methodenauswahl legen wir Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis von Selbstreflexion, Austausch in Kleingruppen, Input und der Möglichkeit, Fragen zu stellen. Wir bekommen immer wieder zurückgemeldet, dass der Austausch zu den Themen sehr bereichernd ist, auch weil dieser im Arbeitsalltag oft zu kurz kommt. Methodenvielfalt ist ein wichtiges Kriterium, um die Aufmerksamkeit im Raum zu halten. Unterschiedliche Lerntypen sollten angesprochen werden: mit Input, Bildern, Videos, Musik und Diskussionen. Dabei ist es wichtig, im Vorhinein genug Informationen über die Teilnehmenden einzuholen: Gibt es vielleicht Personen, die eine Sehbehinderung haben oder auf Gebärdensprachverdolmetschung angewiesen sind? Gibt es Personen, die viele und regelmäßige Pausen brauchen? Das bedeutet für die Methodenauswahl und den Programmablauf, diese so barrierearm wie möglich zu gestalten.

 

Herausforderungen: Widerstände und Reproduktion von Diskriminierung

 

In der Bildungsarbeit zu Antidiskriminierung und Diversität begegnen uns unterschiedliche Herausforderungen. So kann es insbesondere bei mehrfach privilegierten Personen zu Widerständen kommen. Diese können ganz unterschiedlich aussehen: Teilnehmende nehmen viel Raum ein, möchten über eigene Diskriminierungserfahrungen sprechen (die eigentlichen Thema ablenken) oder fühlen sich angegriffen, wenn es um die Reflexion ihrer Privilegien geht. Je nach Gruppe und Situation gehen wir damit unterschiedlich um. Eine Methode, die wir durchaus empfehlen können, ist es der Gruppe zu spiegeln: «Wir nehmen hier in der Gruppe wahr, dass vom Thema abgelenkt wird. Das finden wir schade, da dies ein Raum der Selbstreflexion sein soll». Wenn wir zu Rassismus und kritischem Weißsein arbeiten, zeigen wir auch das sogenannte Phasenmodell, das zeigt, welche Phasen weiße Personen normalerweise durchlaufen, wenn sie sich mit Rassismus auseinandersetzen (nach Janet Helms, Tupoka Ogette, Grada Kilomba, Beverly Tatum, u. a.). Dieses Modell spiegelt unterschiedliche weiße Abwehrmechanismen wider. Das hilft vielen Teilnehmenden dabei, ihre Abwehr/Widerstände einzuordnen, anzunehmen und zu reflektieren.

 

Eine weitere Herausforderung ist, dass wir nie garantieren können, dass in unseren Workshops keine Diskriminierung reproduziert wird. Teilnehmende bringen unterschiedliche, auch nicht immer sichtbare Positionierungen mit. Zu Beginn jedes Workshops kommunizieren wir daher, was uns im Miteinander wichtig ist: diskriminierungssensible Sprache, Offenheit, Wertschätzung, Fehlerfreundlichkeit, solidarische Kritik etc.). Wenn wir mitbekommen, dass es zu einer Diskriminierung im Workshop gekommen ist, z. B. durch stereotypisierende Sprache, intervenieren wir und erklären, warum ein Begriff diskriminierend war und weisen gegebenenfalls auf die Begriffsgeschichte hin. Ebenso ist es möglich in der Pause mit der Person, die diskriminiert wurde, einzuchecken und nachzufragen, wie es ihr geht und ob sie etwas von uns braucht/sich wünscht.

 

Wir selbst zeigen nur vereinzelt und mit sogenannten Triggerwarnungen Bildmaterial oder Wörter in unseren Inputs, die Diskriminierung reproduzieren. Hier betten wir das deutlich in den Kontext ein und erklären, warum bestimmte Darstellungsformen oder Begrifflichkeiten diskriminierend sind.

 

Und was mache ich nun damit?

 

Natürlich unterscheidet sich die inhaltliche Ausgestaltung von Auftrag zu Auftrag. Dennoch bedingt unsere grundlegende Arbeitsweise eine bestimmte Annäherung an das Thema: Wir wollen keine rein theoretische Herangehensweise, sondern nehmen die Selbstreflexion und die eigene gesellschaftliche Positionierung und Verortung in Machtverhältnissen als Ausganspunkt. In welchen Kontexten und in Bezug auf welche (zugeschriebenen) Merkmale verfüge ich über Privilegien? Wo bin ich benachteiligt und stoße auf Zugangsbarrieren? Wie hat das meine Biografie geprägt und was macht diese Erkenntnis mit mir? Erst wenn diese Fragen (vorerst) beantwortet sind, kann der Schritt folgen, mit dem die meisten Teilnehmenden eigentlich gerne beginnen würden: Was mache ich nun damit? Wie kann ich verantwortungsvoll mit meinen Privilegien umgehen? Hier kommt der Kunst- und Kulturbereich verstärkt in den Fokus: Wo geschehen hier Ausschlüsse? Welche Erkenntnisse können für den Arbeitsalltag genutzt werden? Und wie kann ich meine Arbeitskontexte nachhaltig durch eine diskriminierungssensible Brille betrachten und verändern? Für den Transfer auf die Praxis bietet es sich an, Beispiele (positive wie negative) aus dem Kunst- und Kulturbereich einzubauen: Zitate, Webseiten oder Projekte. Dafür ist eine gute Recherche im Vorhinein und die Kenntnis aktueller Entwicklungen unabdingbar.

 

Insbesondere für diesen Transfer der Reflexionen zu Privilegien und Diskriminierung auf die Kulturpraxis braucht es viel Raum und Zeit für Austausch. An dieser Stelle mit eigenen Beispielen der Teilnehmenden aus ihrem Arbeitsalltag zu arbeiten, erweist sich als sinnvoll. Aber: Dies muss freiwillig geschehen. Das aus privilegierter(er) Perspektive oftmals erzwungene Lernen auf Kosten marginalisierter Erfahrungen sollte von der Workshopleitung notfalls unterbunden werden. Eine offene Kommunikation über die Gründe dafür und das Spiegeln der Gruppendynamik helfen dabei, das eigene Handeln zu erklären und diskriminierungskritisch einzuordnen. Wir regen die Teilnehmenden daraufhin an, die Mittel, die sie im Veränderungsprozess der Diversitätsorientierung bereits unterstützen, zu brainstormen. Und auch klar zu benennen, was sie noch an Ressourcen (Zeit, Geld, Wissen, Netzwerke, Verbündete etc.) brauchen. Hilfreich ist es, die Teilnehmenden im Folgenden klare Schritte benennen zu lassen. Was möchtest du bereits ab morgen, in der nächsten Woche und in den nächsten drei Monaten verändern? Wie nimmst du dich dafür selbst in die Verantwortung?

Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und die Umsetzung von diversitätsorientierten Vorhaben braucht Übung.

Die Gestaltung der Workshops hat außerdem von uns als Team profitiert: Zu zweit Workshops anzuleiten, macht es durch unsere zum Teil unterschiedlichen Positionierungen möglich, auch verschiedene Perspektiven anzubieten und die Auseinandersetzungen mit verschiedenen Erklärungsweisen und Impulsen zu bereichern.

 

Schließlich empfehlen wir den Teilnehmenden: Die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und die Umsetzung von diversitätsorientierten Vorhaben braucht Übung – bleibt im Arbeitsalltag dran! Trefft euch wieder, erzählt euch von euren Erfolgen, auch wenn sie noch so klein sind, verbündet euch, unterstützt euch! Eine diskriminierungskritische und diversitätsorientierte Institution zu werden braucht vor allem eines: Geduld. Es ist ein langer Weg und Workshops für Mitarbeitende zur Sensibilisierung und Bewusstwerdung sind nur ein Teil des Prozesses. Daher raten wir auch allen Trainer*innen in diesem Bereich, dies deutlich zu machen, Vertiefungsworkshops anzubieten und dennoch die Teilnehmenden mit einer Portion Mut und Lust auf Veränderung aus dem Workshop zu entlassen!

 

Von Lou Herbst und Nina Khan

 

Lou Herbst arbeitet seit 15 Jahren im Bereich Antidiskriminierung und Diversität, insbesondere zu Themen wie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Schönheitsnormen/Lookismus und Rassismus/Weißsein. Als Referent*in begleitet Lou Herbst die Heinrich-Böll-Stiftung in der Umsetzung der Gemeinschaftsaufgabe Teilhabe, Antidiskriminierung und Geschlechterdemokratie. Lou bietet außerdem systemische Beratung und Coaching an.

 

Nina Khan arbeitet in verschiedenen Kontexten zu Antidiskriminierung und Diversität, schwerpunktmäßig zu Rassismus, Weißsein und kolonialen Kontinuitäten. Sie ist seit über zehn Jahren freiberuflich als Trainerin in der politischen Bildungsarbeit tätig und hat in Südasienstudien promoviert. Nina Khan ist Referentin für Chancengleichheit und Diversity an der Universität Potsdam.

 

Gemeinsam geben Lou und Nina unter dem Namen Khaloh (www. khaloh.de) Workshops und beraten Organisationen im Bereich diversitätsorientierter Organisationsentwicklung.