Um Workshops zugänglich zu gestalten, muss Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht werden. Anne Rieger und Noa Winter geben Einblick in ihre Praxis der solidarischen Co-Leitung und vermitteln Grundlagen zur Konzeption und Gestaltung anti-ableistischer Workshops.

Anti-ableistisch handeln – was bedeutet das?

In unserer Arbeit haben wir den Anspruch, unser Denken und Handeln in Bezug auf Diskriminierung immer wieder zu reflektieren. Da unser Schwerpunkt das Thema Behinderung ist, setzen wir uns besonders intensiv mit ableistischer Diskriminierung auseinander.1 Ableismus beschreibt die Bewertung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten, was häufig mit einer Reduktion behinderter Menschen auf ihre Einschränkungen – also auf das, was sie (vermeintlich) nicht können – einhergeht. Im Sinne des sozialen Modells von Behinderung gehen wir jedoch davon aus, dass Menschen u. a. durch bauliche, kommunikative und einstellungsbedingte Barrieren (wie z. B. Vorurteile) behindert werden – und dass wir menschenrechtlich dazu verpflichtet sind, diese Barrieren abzubauen und antidiskriminierend zu handeln. Daher stellen wir uns u. a. folgende Fragen: Wie können wir diskriminierende Sprache und Vorannahmen vermeiden und über diese informieren? Wie können wir unsere Workshops so gestalten, dass Workshopleiter*innen und Teilnehmer*innen keine bzw. möglichst wenige Barrieren erfahren? Und wie können wir einen Raum eröffnen, der es (insbesondere behinderten) Menschen ermöglicht, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern?

 

Barrierefreiheit als Teil der Vorbereitung

Jeder Workshop – egal ob analog oder digital – beginnt mit der räumlichen und zeitlichen Planung. Hierbei ist es wichtig, Barrierefreiheit von Anfang an mitzudenken und diesem Aspekt in der Planung eine Priorität einzuräumen, auch wenn dies ggf. einen Abschied von gewohnten Zeitstrukturen oder liebgewonnen Veranstaltungsorten bedeutet. Im Folgenden möchten wir euch eine (unvollständige) Liste von Anregungen mitgeben, was ihr bei der anti-ableistischen Workshopplanung beachten könnt:

  • 1Auch wenn wir in diesem Text ausschließlich von Ableismus schreiben, erkennen wir an, dass Taube Menschen spezifische Diskriminierungen in Form von Audismus erfahren. Als hörendes Team möchten wir hierzu auf Taube Expert*innen wie z. B. Silvia Gegenfurtner verweisen.

Anti-ableistische Workshopplanung

Alle oben genannten Punkte müssen frühzeitig mit den Auftraggeber*innen thematisiert werden. Konkret sollte es darum gehen, welche Erwartungen bezüglich Barrierefreiheit ihr als Workshopleiter*innen an die Veranstalter*innen stellt (z. B. ist es immer hilfreich, je nach Größe der Organisation, einen gewissen Mindeststandard einzufordern) und wie die Kostenübernahme (z. B. für Dolmetscher*innen oder die Anschaffung/Ausleihe von Sitzsäcken) geregelt ist.
 

Erwartungen transparent formulieren

Neben baulichen und kommunikativen Barrieren können auch (unausgesprochene) Erwartungen an die Workshopteilnehmer*innen eine Barriere darstellen. Häufig geht es darum, welches Verhalten unsere Gesellschaft als angemessen erachtet – und welches (und sei es «nur» durch abschätzige Blicke) als unangemessen bewertet wird. Für eine anti-ableistische Workshopgestaltung ist es daher besonders wichtig, die eigenen Erwartungen an die Teilnehmer*innen transparent zu formulieren und dabei auch gesellschaftliche Normen konkret zu adressieren. Zum Beispiel:

 

  • Aufmerksame Teilnahme kann sehr unterschiedlich aussehen. Ladet Menschen daher konkret ein, verschiedene Positionen (sitzen, liegen, stehen …) einzunehmen und diese während des Workshops jederzeit zu wechseln.
     
  • Bei digitalen Veranstaltungen könnt ihr Menschen dazu ermuntern, ihre Kamera nach eigenem Ermessen an- oder auszuschalten.
Ein wichtiger Grundsatz von Barrierefreiheit ist, dass ihr niemals voraussehen könnt, welche Barrieren andere Menschen erfahren.

Barrierefreiheit konzipieren

Ein wichtiger Grundsatz von Barrierefreiheit ist, dass ihr niemals voraussehen könnt, welche Barrieren andere Menschen erfahren. Die Kommunikation über Barrierefreiheit sollte dabei immer vonseiten der Workshopleiter*innen bzw. der Veranstalter*innen initiiert werden, z. B. indem ihr…

 

  • das Barrierefreiheitsangebot bereits in der Ausschreibung vermerkt (z. B. Information zu den Räumlichkeiten, Pausen und Verdolmetschung).
     
  • in allen Formen der Kommunikation (Ausschreibung, Bestätigungsemails etc.) eine konkrete Ansprechperson für Rückfragen zur Barrierefreiheit angebt.
     
  • die Barrierefreiheitsbedarfe der Teilnehmenden abfragt.
     
  • als Veranstalter*innen (noch) unerfahrene Workshopleiter*innen rechtzeitig zu Barrierefreiheitsbedarfen informiert und sie bei der barrierefreien Gestaltung unterstützt.

Durchführung

Auch in der praktischen Umsetzung ist es wichtig, Barrierefreiheit und die eigenen Erwartungen zu kommunizieren. Daher beginnen wir jeden Workshop mit:

 

  • einer Vorstellung der Workshopleiter*innen (inkl. Selbstpositionierung)
     
  • Informationen zur Barrierefreiheit des Workshops
     
  • Informationen zum Umgang mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen
     
  • Informationen zur gemeinsamen Kommunikation im Workshop
     
  • Informationen zu den Pausenzeiten

Gerade in der Durchführung kann es herausfordernd sein, die eigene anti-ableistische Haltung beizubehalten. Doch gerade hier ist es wichtig, nicht in alte Muster zu verfallen und etwa aus Begeisterung über die Gespräche zu den Workshopinhalten plötzlich Pausen zu verkürzen. Denn nur so kann ein möglichst barrierefreier Raum für alle verlässlich gewährleistet werden.

Selbstpositionierung

von Noa Winter und Anne Rieger

 

Noa Winter – weiß, queer, behindert und chronisch krank; Kurator*in und Kulturberater*in

Anne Rieger – weiß, cis-weiblich und nichtbehindert; Dramaturgin und Kulturberaterin

Ebenso wie wir diesen Text gemeinsam verfassen, leiten wir häufig Workshops als Team, das in Bezug auf Behinderung, Barrieren und Ableismus sowohl gelebte Erfahrungen (Noa) als auch Privilegien (Anne) mitbringt. Dies machen wir zu Beginn jedes Workshops transparent. Des Weiteren nutzen wir unsere unterschiedlichen Positionierungen in der Workshopgestaltung und im Umgang mit der Gruppendynamik der Teilnehmer*innen: Insbesondere in der Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien kann es für nichtbehinderte Workshopteilnehmer*innen hilfreich sein, wenn die ebenfalls privilegierte Workshopleitung Einblicke in die eigenen Reflexionsprozesse gibt.

Auch in schwierigen bzw. diskriminierenden Situationen kann eine solidarische Co-Leitung, bestehend aus betroffenen und nichtbetroffenen Personen, hilfreich sein: Zum Beispiel, wenn nichtbehinderte Workshopteilnehmer*innen beginnen, sich (un)bewusst von der behinderten Workshopleitung abzugrenzen, indem sie ihre Aussagen relativieren bzw. abwerten – ein Prozess, der auch als Othering bezeichnet wird.

Anne Rieger und Noa Winter leiten gemeinsam das Berliner Netzwerk-Projekt Making a Difference, das die Förderung selbstbestimmter Arbeiten von Tauben und behinderten Künstler*innen in Tanz und Performance zum Ziel hat. Darüber hinaus beraten sie Kulturinstitutionen und Künstler*innen zu antiableistischen Arbeitsprozessen. Als Team geben sie sowohl Einblicke in die gelebte Erfahrung von Behinderung und Barrieren als auch in die Möglichkeiten, die eigenen nicht-behinderten Privilegien aktiv zu nutzen.