Welche Widerstände treten bei Antidiskriminierungsworkshops im Kulturbereich auf? Anja Schütze benennt typische Situationen, in denen privilegierte Kulturschaffende sich verweigern, und lädt dazu ein, Emotionen Raum zu geben und die Verantwortungsübernahme der Teilnehmenden zu aktivieren.

 

Als Medienpädagogin, ehemalige Filmemacherin und als Person, die als Jugendliche die 90er Jahre im Osten erlebt hat, habe ich mich immer für politisch gehalten, eine, die sich positioniert und für Gerechtigkeit einsetzt. Erst Anfang zwanzig wurde ich an der Filmhochschule Kolkata auf mein Weißsein und die damit verbundenen Privilegien und Erfahrungen aufmerksam gemacht. Seit diesem Moment haben sich meine Wahrnehmung auf mich und meine Umwelt sowie meine Arbeit komplett verändert. Es ist mir wichtig, aus meiner Position heraus an Institutionen zu rütteln, Veränderungen voranzubringen und Platz zu machen durch Zuhören, Zurücktreten und Teilen. Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, andere mehrfach privilegierte Personen für (un)bewusste Diskriminierung zu sensibilisieren und für aktives Handeln zu gewinnen. Ich konfrontiere und lade ein, verinnerlichtes Überlegenheitsdenken und -handeln zu ver-lernen, Ausschlüsse wahrzunehmen und abzubauen und sich immer wieder als solidarische Person für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen anzubieten. Als Trainerin, die von außen auf institutionelle Strukturen blickt, habe ich darüber hinaus oft den Vorteil, vieles (auch in Leitungsebenen) sehr offen ansprechen zu können, weil ich nicht in abhängigen Verträgen arbeite und wenig verlieren kann. In fast allen Workshops arbeite ich mit Kolleg*innen zusammen, die eine andere gesellschaftliche Positionierung haben oder gebe Aufträge weiter.

 

Solidarisiert euch!

Ich habe den Eindruck, dass in der Kultur- und Kunstszene Hierarchien besonders steil und gewachsen sind und noch stark gelebt und immer wieder hergestellt werden. Es gibt große Machtunterschiede, Mitarbeiter*innen haben oder spüren enormem Druck und leben häufig mit der Unsicherheit, ob Verträge verlängert werden. Das beeinflusst die Risikobereitschaft, in diskriminierenden Situationen deutlich und nachdrücklich zu intervenieren. Ein weiterer Nebeneffekt davon ist, dass Menschen gelernt haben, die Verantwortung abzugeben oder weiterzuschieben. Es herrscht die mitunter auch berechtigte Annahme, dass in Bezug auf strukturelle Veränderungen die Personen in höheren Positionen handeln müssen und die, die weniger Macht haben, selbst nichts oder wenig ausrichten können. Daher ist es ein wichtiges Ziel meiner Workshops darauf hinzuwirken, dass Menschen – egal in welcher Position – ganz konkret etwas tun können. Jede Person (besonders Personen mit gesellschaftlich privilegierten Positionierungen) kann täglich neu entscheiden, was in ihrer Gegenwart passieren darf und was nicht. Jede Person hat Einfluss darauf, wie sich Menschen mit Diskriminierungserfahrungen in ihrer Gegenwart fühlen, wie es ihnen im unmittelbaren Miteinander geht und wie der gemeinsame Raum gestaltet ist. Wenn Diskriminierung stattfindet und/oder Menschen übergangen werden oder weniger Raum bekommen, dann können Personen intervenieren anstatt zu schweigen. Zeitgleich motiviere ich Teilnehmer*innen in meinen Workshops, Risiken einzugehen, um Diskriminierung zu unterbrechen, sich zu solidarisieren und zusammenzuschließen, um auch auf struktureller Ebene Veränderungen einfordern zu können. Ich rate: Gründet eine Arbeitsgruppe, die konkrete Maßnahmen zur Veränderung erarbeitet und deren Umsetzung einfordert. Weist auf verletzende Sprache während eines Teammeetings oder im Anschluss daran hin. Unterstützt bei Diskriminierungsvorfällen, indem ihr in Absprache mit der betroffenen Person in Gesprächen Rückendeckung gebt, aber auch eine Aufarbeitung und/oder Konsequenzen in hierarchisch höheren Ebenen einfordert. Es hilft, wenn mehrere Personen die unbequeme Rolle übernehmen, dranzubleiben und nachzuhaken, damit nicht immer die gleiche und oft diskriminierungserfahrene Person diese emotional anstrengende und riskante Aufgabe übernehmen muss. Die Zusammenarbeit mit weiteren Kolleg*innen ist absolut entscheidend, denn nicht selten wird die Aufgabe der Diversifizierung einzelnen Mitarbeiter*innen übertragen, die in der Öffentlichkeitsarbeit oder Vermittlungsabteilung tätig sind und vor allem neue Zielgruppen ansprechen sollen. In dieser Einzelkämpfer*innenrolle scheint die notwendige Veränderung nach innen oft aussichtslos und die Personen sind erschöpft, genervt oder beides. Hier können Workshops Motivation geben, die Batterien aufladen und das Finden von Strategien und Partner*innen auf dem Weg erleichtern.

 

Ein Workshop ist nur ein Anfang

Wenn ich Workshopaufträge annehme, führe ich zuerst Vorgespräche darüber, wer diese Workshops will und warum. Ich möchte wissen: Gibt es einen Anlass? Was glaubt ihr, was der Workshop bringen soll und was wünscht ihr euch, was die Teilnehmer*innen danach wissen, wahrnehmen, können? Meist frage ich noch, welche weiteren Maßnahmen geplant sind oder ob der Workshop nur der Aufgabe dient, das Thema abzuhaken, um zu zeigen ‚Wir haben was dazu gemacht‘. Der Effekt von Workshops ist aus meiner Sicht begrenzt. Workshops können sensibilisieren, Leute motivieren und auch einen Austausch über Begriffe, Zustände und anstehende Baustellen ermöglichen. Konkrete und spürbare Veränderungen werden dadurch vermutlich nicht eintreten, denn dafür müssten Einzelpersonen und Institutionen in der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen längerfristig begleitet werden. Sie bräuchten zu konkreten Fragestellungen, Konflikten und Unsicherheiten eine kontinuierliche Ansprechstruktur oder -person. Ein Workshop kann Prozesse anschieben und wieder in Schwung bringen; wirklich diskriminierungskritisches Arbeiten muss im Alltag wachsen, reflektiert werden und braucht kontinuierliche Räume.

 

In Workshops habe ich gelernt, auf große Gesprächsrunden weitestgehend zu verzichten, wenn ich die Teilnehmer*innen nicht kenne, um die üblichen Dynamiken von ‚Wer spricht viel und hat immer eine Antwort‘ und ‚Wer hält sich zurück‘ nicht zu wiederholen. Damit möchte ich auch vermeiden, dass diskriminierende Gedanken oder Worte vor allen geäußert werden und Verletzungen zurücklassen, die in der kurzen Zeit nicht ausreichend aufgefangen werden können. Anstatt großer Runden lade ich die Teilnehmer*innen zum Austausch in immer wieder wechselnden und selbst gewählten Kleingruppen (mit zwei, manchmal drei Personen) ein. Über diese Form entsteht auch in der großen Runde relativ schnell eine vertraute Atmosphäre, so dass ich maximal gegen Ende einen Austausch in großer Runde moderiere. In großen Runden geht es um Fragen und Gedanken, die ungeklärt sind und einer Beantwortung bedürfen, Gedanken und Gefühle, die geteilt werden wollen, und Widerstände, die im Inneren gären und Raum brauchen. Auch, weil die Arbeit oft sehr persönlich ist, ist es wichtig, dass Leute selbst wählen, mit wem sie sprechen wollen. Beispielsweise stelle ich häufig die Frage:

Seit wann beschäftigst du dich mit Diversität/Diskriminierung und was ist deine persönliche Motivation? Warum willst du, dass sich etwas ändert? Weil es gerade zeitgemäß ist, zur Stellenbeschreibung gehört oder es alle Häuser machen, reicht als Antwort nicht. Diversitätsprozesse sind aufreibend, aufwühlend und werden in der Regel nicht angemessen mit Geld und Dank entlohnt, daher ist es absolut wichtig, sich der persönlichen Motivation bewusst zu sein, denn sie ist der Motor.

 

Umgang mit Widerstand

Am Anfang meiner Tätigkeit habe ich viel Zeit und Kraft in die Teilnehmer*innen investiert, die ihre Widerstände offen gezeigt und oft schon am Anfang deutlich gemacht haben, was sie von Diversitätsprozessen halten. Ich wollte unbedingt alle mitnehmen und für die Transformationsprozesse gewinnen und habe stundenlang diskutiert. Heute denke ich, dass diese Diskussionen im schlimmsten Fall Diskriminierungen und schmerzhaften Worten und Gedanken Raum geben oder aber, dass sie die Teilnehmer*innen langweilen oder verärgern, die gekommen sind, um zu reflektieren und Ideen für ihre Arbeit mitzunehmen. Es gibt immer Teilnehmer*innen, die Freund*innen haben, die sich an bestimmten problematischen Worten nicht stören, Personen, die für den Erhalt der Sprache in ihrer bestehenden Form werben, und solche, die lange Ausführungen darüber machen, dass alle Menschen gleich sind, es immer Diskriminierung gab und geben wird und das kein spezielles deutsches Phänomen sei und erst Recht nicht in der Kunstszene, die schon immer international, progressiv und kritisch war …

 

Weil ich auch gelernt habe, dass viele Personen, die sich in ihren Institutionen gegen Diskriminierung einsetzen, sehr viel mit Widerständen vor allem von Personen in Leitungspositionen zu tun haben, diskutiere ich manchmal einzelne Punkte aus, weil es hilfreich für Teilnehmer*innen sein kann, mal nicht die Person zu sein, die dagegen halten muss, und neue Argumente dringend gesucht werden. Das heißt also, ich nehme Widerstände wahr und übergehe sie nicht. Ich benenne sie und halte fest: ‚Ah, du hast da einen Widerstand oder das Thema wühlt dich auf. Warum?

 

Manchmal beginnen Sätze auch mit ‚Also ich denke das nicht unbedingt, aber ich habe auch schon mal erlebt, dass weiße Frauen, obwohl sie sich gerade erst hoch gekämpft haben, nicht mehr in höhere Positionen sollen, damit es diverser wird, oder dass weiße Männer jetzt diskriminiert werden, weil alle außer ihnen die Plätze an der Schauspielschule bekommen …‘ Dann frage ich: ‚Wofür ist es dir wichtig, diese Position zu benennen und Verständnis für diese Position einzuwerben?‘ Natürlich gibt es Unsicherheiten und Ängste, wenn Diversitätsprozesse wirklich an die Strukturen heran gehen und nicht nur kosmetischer Natur sind. Wenn sie richtig gut laufen, dann werden langfristig gesehen Stellen, die jetzt von privilegierten Menschen besetzt sind, durch Personen mit Marginalisierungserfahrungen besetzt. Diese Sorge einmal zu benennen, zieht ihr den Stecker.

 

Manchmal sind Widerstände nicht so offensichtlich und zeigen sich eher darin, dass Menschen sagen: ‚Das kenne ich alles schon, damit habe ich mich längst beschäftigt‘ (Privilegien beispielsweise). Oder: ‚Haben wir alles schon‘ (diskriminierungskritisches Leitbild, Verhaltenskodex …). Dann frage ich: Woran merken Personen mit Diskriminierungserfahrungen, dass du dich schon lange mit Privilegien auseinandersetzt? Wenn ihr ein Leitbild/einen Verhaltenskodex habt, kennen es alle und woran merken Besucher*innen und Mitarbeiter*innen, dass dieses Leitbild gelebt und von allen getragen wird?

 

Privilegien markieren – Handlungsräume aufzeigen

Es vergeht kein Workshop ohne den Verweis darauf, dass im Kulturbetrieb sehr prekäre Arbeitsverhältnisse herrschen und dass das eigentliche Problem Klassismus ist, über den wir dringend reden sollten, und dass diese Auseinandersetzung oft unter geht, weil es nur um Rassismus, Cis-Sexismus und Ableismus geht. Ja, diese Auseinandersetzung ist total dringend. Klassismus prägt das Verhalten, das in Kunsträumen gepflegt und erwartet wird, die Preise, die Kleidung, die Sprache, die nur wenige verstehen, und auch die langen Einstiegswege über Praktika oder Vitamin B. Viele Menschen fehlen im Kulturbetrieb, weil sie sich diesen Weg nicht leisten können. Die Teilnehmenden in den Workshops haben es aber in der Regel in die Kulturszene geschafft, weil sie es sich leisten konnten, ein Kunststudium zu wählen, anstatt eine Ausbildung zu machen, um schnell Geld zu verdienen, oder weil sie auf ihrem Weg und bis heute Unterstützung in Form von Geld, gekauften Wohnungen und Kontakten erhalten haben. Ja, darüber müssen wir reden.

 

Mir ist es wichtig, auch in Workshops eine bestimmte Tiefe zu erreichen und nicht nur theoretisch und konzeptionell über Diskriminierung zu sprechen, sondern auch Gefühle zu bearbeiten, die in dem Kontext entstehen und deutlich schwerer benannt werden können. Beispielsweise bitte ich die Teilnehmer*innen während eines Inputs zu Diversitätsprozessen und Diskriminierung im Kulturbetrieb auf einem Schmierzettel eine Art EKG zu zeichnen, also wahrzunehmen, wann der Puls hoch geht, etwas im Bauch grummelt, Scham, Wut oder Widerstand aufkommen. Im Anschluss an den Input bitte ich die Teilnehmer*innen mit einer Person über die Gefühle in Austausch zu treten und erst danach öffne ich die Runde für Diskussion und Nachfragen. Auch nach Methoden wie beispielsweise Privilegientests bitte ich Teilnehmer*innen für sich zu notieren, was sie gerade fühlen und das Gefühl, welches am stärksten präsent ist, auf einer Moderationskarte zu notieren und diese vor sich abzulegen. Anschließend lade ich Teilnehmer*innen ein, das zu kommentieren. Erwachsene Menschen und noch dazu im professionellen Kontext haben oft wenig Übung darin, ihre Gefühle zu benennen, wurden sie doch im Kontext von Adultismus mühevoll abtrainiert (‚Das ist doch nicht so schlimm!‘, ‚Mach nicht so ein Theater!‘, ‚Beruhige dich!‘, ‚Reiß dich mal zusammen!‘). Mitunter ist es hilfreich, nochmal einige grundlegende Gefühle zu benennen und zur Auswahl zu stellen, denn manchmal stehen auf diesen Karten Worte wie «interessiert», «neugierig», «Man sollte …». Teil dieser Phasen ist es auch, Schweigen auszuhalten und nicht sofort weiter zu moderieren, wenn eine Pause entsteht.

 

Und nicht zuletzt habe ich gelernt, dass es nicht meine Aufgabe ist, mit einem Workshop alle Teilnehmer*innen zu befriedigen. Ein Wunsch, der es immer wieder auf Erwartungskarten schafft und der mit der Erwartungshaltung einhergeht, möglichst viel zu konsumieren, ist, Checklisten und Methoden «abzugreifen». Auch wenn Werkzeuge unterstützen können, sind die Haltung und die Reflexion oft wichtiger. Es ist meine Aufgabe, ein Angebot zu machen und einen Rahmen zu schaffen, in dem sich Leute wohl fühlen, öffnen können und etwas für sich mitnehmen. Meist treffe ich am Anfang des Workshops Verabredungen darüber, wie wir gemeinsam den Raum so gestalten können, dass er so vertrauensvoll und diskriminierungskritisch wie möglich ist.

Unterbrechungen und Hinweise sind in diesem Zusammenhang nicht als persönliche Angriffe zu verstehen, sondern Lernmöglichkeiten und Geschenke. Es soll ein Raum geschaffen werden, in dem ein sensibler Umgang selbstverständlich wird, in dem Grenzen respektiert werden, Empathie wichtiger ist als Zahlen und in dem ich Konflikte nicht übergehe. Und da gilt für mich, für Personen mit Diskriminierungserfahrungen als verlässliche Bündnispartner*in zu agieren. Das bedeutet, in jedem Fall von Diskriminierung zu intervenieren und zu unterbrechen, privilegierte Menschen zu fordern und im Zweifel zu konfrontieren. Das heißt, dass ich eine Pause vorschlage, wenn ich eine Situation als verletzend oder schwierig für eine Person einschätze. In der Pause hole ich mir eine Rückmeldung, ob die Person Unterstützung möchte und wenn ja in welcher Form.

 

Aktuell fühlt sich diese Arbeit richtig, sinnvoll und wichtig an. Sie macht mir Spaß, ist berührend und verbindend. Mir ist bewusst, dass es für mich ein Privileg ist, diese Arbeit zu machen und vielleicht gibt es irgendwann gute Gründe, dass ich sie nicht mehr machen sollte und möchte. Zurzeit gibt es noch viel zu tun, zu dem ich beitragen möchte.

Von Anja Schütze

 

Anja Schütze ist diplomierte Kultur- und Medienpädagogin (Merseburg) und zertifizierte Business Cultural Trainerin (London). Sie arbeitet als Bildungsreferentin bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und als freiberufliche Trainerin im Kontext von Diversität und Antidiskriminierung.