Christina Schulz und Sonja Baltruschat über Diversitätsentwicklung am Theater an der Parkaue

Am Berliner Theater an der Parkaue, einem der größten Theater für Kinder und Jugendliche in Deutschland, wurden 2019 – unter der Leitung des damaligen Intendanten Kay Wuschek – Machtmissbrauchsvorfälle und ein Rassismusvorfall publik. Seit der Spielzeit 2021/22 leitet Christina Schulz das Haus gemeinsam mit Alexander Riemenschneider. Sonja Baltruschat kam 2019 als Diversitätsagentin im Rahmen des Förderprogramms 360° der Kulturstiftung des Bundes an das Haus und setzt ihre Arbeit mittlerweile als Referentin für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung fort. Ein Gespräch über die Aufarbeitung von Diskriminierung und Gelingensbedingungen von Diversitätsentwicklung.

 

Interview: Eylem Sengezer und Cordula Kehr

 

Wie ist es, ein Haus zu übernehmen bzw. an einem Haus zu arbeiten, das einen Diskriminierungsfall aufarbeiten muss?

 

Christina Schulz: Im Fall von mir und Alexander Riemenschneider ist das sehenden Auges passiert. Das heißt, wir haben im Vorfeld unserer Bewerbung über die Presse erfahren, was am Theater an der Parkaue vorgefallen ist. Aber wir waren uns darüber im Klaren, dass das kein Einzelfall ist, sondern ein systemisches, strukturelles Problem an verschiedenen Häusern. Trotzdem hat uns das natürlich beschäftigt und wir haben uns gefragt, welche Rolle wir einnehmen, wenn wir uns auf diese Leitung bewerben. Wir wollten von Anfang an nicht nur Intendanz im Sinne von künstlerischer Leitung sein, sondern ein Haus auch gestalten. Mich beschäftigt schon länger die Frage, wie Kultur- oder Kunstinstitutionen diskriminierungsärmere Räume werden können, in denen Machtstrukturen kritisch hinterfragt werden und in denen es um Zugänge und Teilhabe und im besten Fall um eine Beteiligung von Menschen mit diversen Perspektiven geht – in der Kunstproduktion aber auch in der Struktur dahinter und natürlich auch im Publikum.

 

Wenn man dann anfängt, trifft man auf ein Haus in seiner Verfasstheit, das schon eine Phase der Erschütterung hinter sich hat. Diese Erschütterung hat viel ausgelöst bei Mitarbeiter*innen aber auch bei Menschen, die wir vielleicht gewinnen wollen, um an diesem Haus zu arbeiten. Da gibt es erst einmal Vorbehalte und viele Fragen an uns, wie wir dieses Haus leiten wollen. Deshalb haben wir uns entschieden, uns auf keinen Fall als Einzelpersonen auf diese Leitung zu bewerben, sondern eine geteilte Verantwortung zu suchen. Wir haben uns als Leitungsduo beworben, damit wir unterschiedliche Kompetenzen einbringen können. Bei Alexander Riemenschneider ist das in erster Linie die künstlerische Perspektive, auch wenn der Diskurs um Machtkritik und Diversitätsorientierung auch für ihn ein Thema ist. Bei mir steht die strukturelle Ebene im Vordergrund, die nach Formaten und Beteiligung und Zugängen sucht.

 

Und man trifft auf ein Haus mit einer hohen Erwartungshaltung von außen und von innen. Es gibt sehr viele Erwartungen mit Hinblick darauf, was sich verändern wird. Vielleicht auch Ängste und Unsicherheiten, was Neuerungen betrifft, die wir implementieren wollen. Aber es gibt auch schon eine Struktur, in der ganz viel angefangen hat – nicht zuletzt durch die Arbeit von Sonja Baltruschat als Diversitätsagentin bzw. als Referentin für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung.

 

Uns war klar, dass wir das Theater nicht neu denken können, ohne auch die Struktur und uns selbst kritisch zu hinterfragen, unsere Privilegien im Blick zu haben, Prozesse nachhaltig zu gestalten und uns Zeit zu geben. Außerdem war es uns wichtig, auf die Expertise zu bauen, die im Haus bereits vorhanden ist, und sie um die Perspektiven und Expertisen zu erweitern, die wir als wiederum weißes Leitungsduo nicht mitbringen.

 

Sonja Baltruschat: Ich bin an das Haus gekommen, als die ersten Presseanfragen starteten und der Rassismusvorfall öffentlich wurde. Ich empfinde tatsächlich Presse und öffentliche Kommunikation als hilfreichen und wichtigen Katalysator, der beschleunigt, dass Prozesse beginnen müssen. Wir wären nicht hier, wenn die Presseaufmerksamkeit nicht so groß gewesen wäre und wir immer wieder Nachfragen bekommen hätten. Denn auf strukturelle Probleme wird häufig der Deckel draufgehalten, obwohl es keine Einzelfälle sind. Das wurde nochmal deutlicher, als verschiedene Häuser während der Corona-Pandemie mit ihren Problemen stärker wahrgenommen wurden. Wir brauchen diese Außenwahrnehmung, wir brauchen dieses Feedback, damit wir in Bewegung kommen. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, sensibel an diese Vielstimmigkeit am Haus heranzugehen, damit das Haus nicht pauschal verurteilt wird. Im Arbeiten merkt man, mit wie vielen verschiedenen Formen von Betroffenheit, von eigener Involviertheit und von Bedarfen dabei umgegangen werden muss. Da müssen wir lernen, sprechfähig und kritikfähig zu werden und einen Umgang miteinander zu finden aber eben auch mit solchen Vorfällen.

 

 

Was macht ihr, um Vertrauen in euch als Leitung und in euer Haus (wieder)herzustellen?

 

Christina Schulz: Erstmal kommen wir mit einer bestimmten Idee an das Haus, wie wir miteinander sprechen und arbeiten wollen und wen wir einbeziehen wollen in diese Arbeit. Und gleichzeitig haben die Menschen, die schon am Haus sind, mit uns noch keine Arbeitserfahrung. Das muss also erstmal ausgesprochen werden. Es ist wichtig, in dem, was wir kommunizieren, erkennbar zu sein und deutlich zu machen, dass das nicht nur Behauptungen sind. Also dass man nicht nur behauptet, Menschen zu beteiligen, sondern sie tatsächlich beteiligt an Entscheidungen. Wir machen auch Räume auf, in denen gemeinsames Lernen möglich ist. Schließlich sind wir nicht die Wissenden. Alles, was wir in diesem Prozess tun, ist etwas, was wir uns erarbeiten, was wir gemeinsam lernen und wo wir uns Unterstützung dazu holen müssen. Allein das zu zeigen, schafft schon eine gewisse Form von Vertrauen. Auch wenn vielleicht einige längst verschiedene Erfahrungen in diesem Haus gemacht haben und sagen, das gucke ich mir alles erstmal an. Es ist schon viel gewonnen, wenn niemand diesen Prozess blockiert und wir schrittweise ein Vertrauen schaffen können, dass sich Dinge verändern können und müssen. Denn es gibt ganz sicherlich auch Menschen, mit denen wir arbeiten, die davon ausgehen, dass sich eigentlich nichts verändern muss. Dann müssen wir darin erkennbar sein, dass darin eine Notwendigkeit liegt.

 

Nach außen schaffen wir Vertrauen, indem wir uns überlegen, wie wir kommunizieren: Wie schreiben wir aus? Wen sprechen wir an? Über welche Kanäle finden wir Menschen, die uns für das Theater interessant erscheinen? Und wie setzen wir uns damit auseinander, wenn uns eine Person, die wir unbedingt im Ensemble haben wollen, sagt, ich kann jetzt noch nicht kommen, ich habe das Vertrauen noch nicht. Wir versuchen dann, den Faden nicht abreißen zu lassen, sondern im Gespräch zu bleiben und zu zeigen, dass sich etwas tut.

 

Sonja Baltruschat: Es geht darum, eine gewisse Nahbarkeit zu haben, um sowohl nach innen als auch nach außen befragbar zu sein. Außerdem ist es wichtig, Transparenz herzustellen. Das heißt nicht, dass alle alles wissen müssen, sondern dass Klarheit besteht und Verantwortung übernommen wird. Und es ist wichtig, dass man gerade als Leitung die eigene Begrenztheit bemerkt und kritikfähig ist. Leitungen müssen nicht alles wissen, sie können sich externe Beratung holen, wenn es an Expertise fehlt.

 

 

Was muss sich langfristig in Kulturinstitutionen ändern, damit weniger Machtmissbrauch passiert?

 

Sonja Baltruschat: Es ist total wichtig, dass die politischen Entscheidungsträger*innen noch mehr Verantwortung übernehmen. Das betrifft zum Beispiel die eigene Weiterbildung und Auseinandersetzung mit diesen Themen. Außerdem brauchen wir neue Verfahren, um Leitungen zu besetzen. Wir müssen mit Findungsgremien arbeiten, die selbst divers besetzt sind. Menschen stellen Menschen ein, die ihnen ähnlich sind. Auch muss Leitungskompetenz endlich Anerkennung finden. Es geht in Kultur- und Kunstinstitutionen nicht nur um Kunst und Künstler*in-Sein, es geht um das Leiten von Institutionen und da sind Diversitäts- und Sozialkompetenz wichtig. Um zukunftsfähige Häuser zu gestalten und Kunst zu produzieren, die von Belang ist, braucht es einen Wandel! Einzelspitzen sind nicht zeitgemäß. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die Senatsverwaltung regelmäßige Mitarbeiter*innengespräche mit den Leitungspersonen der Häuser führt. Außerdem sind klare Zielvereinbarungen wichtig, die immer wieder überprüft werden und nicht nur in Kunst enden. Dass beim NV-Bühne-Vertrag ausschließlich künstlerische Kriterien über eine Vertragsverlängerung entscheiden, ist absurd. Ich habe einen NV-Solo-Vertrag. Wie soll meine Arbeit denn künstlerisch bewertet werden, wenn ich Diversitätsentwicklung mache?

 

Christina Schulz: Es wird im Theater immer unterschieden zwischen denen, die Kunst machen, und denen, die für die Kunst arbeiten. Es wäre sinnvoll, das mehr miteinander zu verschränken und verständlich zu machen, dass das eine nicht ohne das andere funktioniert. Wenn man anfängt, über das künstlerische Programm und die Vision eines Hauses nachzudenken, dann wird nicht gerne von Kriterien geredet, weil das technokratisch klingt. Wir kommen aber nicht daran vorbei, Qualitätskriterien – künstlerische Kriterien und welche, die mehr in Richtung Zugänge gehen – zu definieren, damit wir uns selbst immer wieder überprüfen können. Diese Kriterien helfen uns dann zu entscheiden: Wie sehr kommen wir eigentlich mit diesem Spielplan an unsere Vision, wie unser Theater sein soll, heran und wo müssen wir Schwerpunkte verändern? Da helfen Kriterien mehr als das Gefühl, ich würde gerne mal mit dieser Person arbeiten, dieses Kollektiv einladen oder diesen Stoff machen.

Ein anderer Punkt ist, dass wir zwar recht viele neue Mitarbeiter*innen und Ensemblespieler*innen einstellen konnten, aber längst nicht so viele, wie es wünschenswert gewesen wäre, um zu einem wirklichen Neustart zu kommen. Gleichzeitig haben wir versucht, damit verantwortlich umzugehen und dafür Verfahren zu etablieren. Also wirklich aufwendige Vorsprechen zu machen und genau zu sehen, wen wir engagieren, und an dieser Entscheidung viele zu beteiligen. Also nicht nur Intendanz und Dramaturgie, sondern Gremienvertreter*innen und weitere Perspektiven, damit die Entscheidung auf viel mehr Füßen steht.

 

Als Leitung muss man immer abwägen, an welcher Stelle man Teil einer Machtstruktur ist und Verantwortung trägt und an welcher Stelle man Teil der intervenierenden und moderierenden Funktion ist. Und auch die ist nicht losgelöst von einer Machtposition. Das ist ein schwieriges Gleichgewicht und man muss sich permanent selbst überprüfen. Ich glaube, da ist man gut beraten, sich so etwas wie eine Supervision an die Seite zu holen, da man oft auch an sich selbst zweifelt. Man wird seiner eigenen Begrenztheit gewahr, muss das überwinden und einen Weg finden, trotzdem einen Schritt zu machen.

 

Das schwierige an Diversitätsentwicklung ist, dass sie parallel zum Alltagsgeschäft stattfindet. Es gibt eine große Erwartungshaltung, die von außen aufs Theater gerichtet wird, durch Kulturpolitik, durch Presse oder auch durch den eigenen Profilierungsanspruch, den Intendanzen ja auch mit sich herumtragen. Wenn so ein Apparat die ganze Zeit an der Grenze der Belastbarkeit arbeitet, dann bleibt kein Raum für die anderen Themen. Es war eine unserer Grundentscheidungen in der Bewerbung, dass wir uns diesem Mechanismus nicht unterwerfen wollen. Jetzt, wo wir drin sind im Betrieb, müssen wir uns das immer wieder vergegenwärtigen und sagen: Moment mal, jetzt nicht alle Rädchen bedienen. Wir müssen es manchmal aushalten, dass auch mal ein bisschen weniger Kunst entsteht und die Veränderungsprozesse für eine Zeit mehr im Fokus stehen.

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