Text: Von Joshua Kwesi Aikins, Sophie Ali Bakhsh Naini, Daniel Gyamerah, Lucienne Wagner und Deniz YıldırımCaliman (Citizens For Europe. Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership)

 

Bei der Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten ist immer die Frage zentral, inwieweit strukturelle Diskriminierung stattfindet und welche Mechanismen bewirken, dass bestimmte Personengruppen ausgeschlossen werden bzw. andere für diese entscheiden und Kriterien der Arbeitsweise vorgeben. Ein Problem besteht darin, dass Diversität häufig mit Internationalität gleichgesetzt wird und strukturelle Diskriminierungsdimensionen so ausgeblendet werden. So wird beispielsweise selten die Frage gestellt, inwiefern Ableismus, also die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, sich auf den Kulturbetrieb auswirkt oder inwiefern die Perspektiven von Künstler*innen of Colour vertreten sind. Und hier stellt sich dann nicht nur die Frage, inwiefern vielleicht die Kunst dieser Personen Eingang in die Institutionen findet, sondern vor allem auch ob die Personen, die diese Diskriminierungserfahrungen machen, auch Leitungspositionen innehaben. Es braucht Zahlen, um den Status quo im Kulturbetrieb besser beschreiben und datenbasiert Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit ergreifen zu können. (Auch für den Bereich des Kuratierens ist es wichtig, Daten darüber zu erheben, wessen Arbeiten eigentlich ausgestellt werden. Nur so kann an diesen Zahlenverhältnissen, die häufig strukturelle Diskriminierung widerspiegeln, etwas geändert werden.)

 

Unsere Erhebung fragt als erste in Deutschland differenziert nach Erfahrungen von Personen in Kunst- und Kultureinrichtungen entlang aller Diskriminierungsdimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Es geht also darum zu ermitteln, inwiefern Diskriminierung aufgrund von Behinderung, (zugeschriebener) Religion, (zugeschriebenem) Geschlecht, aufgrund des Alters oder der sexuellen Identität gemacht werden. Des Weiteren beziehen wir die Diskriminierungsdimension Ostsozialisierung, den sozialen Status sowie die Diskriminierung aufgrund des Körpergewichts mit ein.

 

Außerdem wird erhoben, inwiefern Personen rassistische Diskriminierungserfahrungen machen. Dabei können die Befragten angeben, aufgrund welcher Zuschreibung sie diskriminiert wurden. Denn bei Diskriminierung ist die diskriminierungsrelevante Fremdzuschreibung und nicht eine vermeintliche bzw. „einzig wahre“ Gruppenzugehörigkeit relevant. Personen erleben Diskriminierung auch aufgrund von nicht zutreffenden Zuschreibungen – etwa wenn Sikhs aufgrund ihrer religiösen Tracht als Muslime diskriminiert werden. Eine solche Differenzierung ermöglichen wir in unseren Befragungen nach der Auto-hetero-Perspektive, bei der Diskriminierte die diskriminierende Zuschreibung, also „als wer“ sie diskriminiert wurden, gesondert angeben können. Da dazu in Deutschland bisher keine Daten vorliegen, war unsere Pilotstudie zur Erhebung von Diversität in der Berliner Verwaltung, in deren Rahmen das beschriebene Erhebungsinstrument erstmals getestet wurde, hier wegweisend.

 

Um Repräsentationsfragen differenziert stellen zu können, musste das Instrument für die teilnehmenden Kultureinrichtungen individuell, je nach Kontext in Bezug auf Sprache und Fragen, angepasst werden.

 

So stellen sich in der Besucher*innnenforschung für Museen beispielsweise die Fragen: Wer kommt, wer kommt nicht? Wer kann es sich leisten, ins Museum zu gehen – finanziell, aber auch zeitlich? Wer findet dort ihre*seine Geschichten – Geschichten, die berühren? Wer wählt aus, was dort zu sehen ist – wer zu sehen ist? Solche Fragen lassen sich durch qualitative Forschung beantworten: Im Rahmen der Nichtbesucher*innenforschung, die das Team von „Citizens For Europe. Vielfalt entscheidet“ ebenfalls im Auftrag von Diversity Arts Culture durchgeführt hat, war daher das Ziel, mithilfe von Fokusgruppengesprächen mit Personen, die intersektionale Diskriminierungserfahrungen machen, herauszufinden, warum Personen bestimmte Kunst- und Kultureinrichtungen nicht besuchen, inwiefern sie sich repräsentiert und/ oder diskriminiert fühlen.

 

Im Rahmen von Online-Umfragen zur Vielfalt in Berliner Kultureinrichtungen (VINK), die das Team „Citizens For Europe. Vielfalt entscheidet“ durchgeführt hat, werden einzelne Einrichtungen in Bezug auf interne Strukturen, Repräsentation und Angebot zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit stärker in den Blick genommen. Im Hinblick auf die Themenfelder Personal, Publikum, Programm und Zugang sind folgende Fragen leitend: Wer befindet sich auf welchen Positionen? Mit welchen Perspektiven? Wer macht welche Diskriminierungserfahrungen? Wie werden Strategien zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit bewertet und kommen sie betroffenen Communitys tatsächlich zugute?

 

Welche Maßnahmen können ergriffen werden?

Ein Best-Practice-Beispiel ist die Arbeit des Arts Council England, der Fördermittel inzwischen an Diversitätsquoten geknüpft hat, da klar wurde, dass gerade auch im Kunst- und Kulturbetrieb sich strukturelle Nachteile nicht von selbst ausgleichen. Bei der Eröffnung des Berliner Projektbüros für Diversitätsentwicklung, Diversity Arts Culture, stellte Abid Hussain, der Direktor für die Abteilung Diversity des Arts Council England, das Programm „Creative Case for Diversity“ vor und machte deutlich: „Talent is everywhere, but opportunity isn’t.“ Es gehe also darum, durch gezielte Maßnahmen unterrepräsentierte Communitys zu fördern. Dabei machte er auch deutlich, dass dies ein langfristiger Prozess sei, denn „um Dinge im Ballett, der klassischen Musik oder der Oper zu verändern, müssen wir mit den Kindern beginnen, die heute zwei oder drei Jahre alt sind“. Resultate werden also weder in zwei oder drei Jahren zu sehen sein noch in fünf: „Wenn es eine Veränderung bei den Talenten, die auf der Hauptbühne in der Oper stehen, geben soll, dann braucht das 10, 15, 20 Jahre. Diese Zeit müssen wir investieren.“

 

Für den Arts Council England war es eine wichtige Voraussetzung, dass die strukturelle Dimension des Mangels an Diversität anerkannt wurde. Nur durch diese Erkenntnis konnten echte Veränderungen bewirkt werden. In Deutschland ist die Ausgangslage insofern eine andere, als Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten bisher hauptsächlich in Bezug auf die Kategorie Geschlecht – und dabei einem binären Geschlechterverständnis folgend – erhoben wurden. Das bedeutet, dass es nicht möglich ist, quantitative Aussagen über den Status quo zu machen und zu sagen, wie viele Personen, die zum Beispiel rassistische Diskriminierung erfahren, in Einrichtungen arbeiten, ausstellen oder diese besuchen. (Dass es bei der Erhebung von Gleichstellungsdaten um die richtige Ansprache von People of Colour geht, zeigt auch dieser Artikel, der sicherlich eine gute Absicht hat, dann aber von „Zuwanderern“ spricht.) Auch gibt es keine Aufzeichnungen darüber, wie sich die Diversität im Kulturbetrieb mit den Jahren verändert hat. Im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit gibt es bereits Strategien und Maßnahmen wie Gender Mainstreaming, Gender Budgeting und Quoten. Gerade im Bereich der Filmbranche wurde durch #metoo deutlich, wie weit Sexismus dort verbreitet ist. (Siehe auch die Debatte um #metwo. „Citizens For Europe. Vielfalt entscheidet“ plant aktuell ein neues Projekt im Bereich Film.) Für den Abbau von strukturellem Rassismus bzw. der Förderung von Personen, die rassistische Diskriminierung erleben, gibt es in Deutschland bisher noch nicht einmal die entsprechende Datengrundlage. In der Realität stehen diese Dimensionen jedoch nicht nebeneinander, sondern wirken vielfach zusammen und bringen besondere Diskriminierungsrealitäten hervor. Deren Konturen lassen sich am differenziertesten durch die Erhebung intersektionaler Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten nachzeichnen. (Es geht hier keinesfalls um die „Erfassung“ oder das Zählen von Personen. So zielt die Anfrage der AfD in Stuttgart, Zahlen über Migrant*innen in Kulturbetrieben zu veröffentlichen, in eine völlig andere Richtung. Gerade auch wegen der vielen Angriffe von rechts auf die Kulturpolitik braucht es die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten mit entsprechenden Standards bzw. festen Kernprinzipien. )

 

Antidiskriminierung und Gleichstellung. Welche Daten braucht es?

Die meisten Fördermaßnahmen für Frauen beziehen sich auf eine statistische Datengrundlage. Das zeigt: Ein differenziertes Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsmonitoring muss auch die Grundlage für Maßnahmen in anderen Diskriminierungsdimensionen sein. Es braucht daher mindestens Daten in Bezug auf alle Dimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, gerade auch in Bezug auf rassistische Diskriminierung.

 

Mit Hilfe der Daten, die wir erheben, kann der Status quo in Bezug auf Diversität ermittelt werden, um wirksame Strategien zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit zu entwickeln. Dafür ist es essenziell, dass die Datenerhebung den folgenden sieben Kernprinzipien folgt:

 

Es wird also deutlich, dass jeweils kontextspezifisch der Status quo der Diversität betrachtet werden muss, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Personengruppen von Ausschlüssen betroffen sind. Diese Zahlen und Erfahrungen können dann genutzt werden, um konkrete Fördermaßnahmen zu entwickeln. Ein besonders eindrückliches Beispiel sind die „Blind Auditions“: „Musikerinnen werden mit einer fünf Prozent höheren Wahrscheinlichkeit eingestellt als Männer, wenn Symphonieorchester Blind Auditions anwenden. Eine Studie an elf Orchestern zeigte, wie eine einfache Veränderung einen großen Einfluss hatte.“ (Siehe hier die Darstellung des Arts Council England) Gleichzeitig ist aber auch klar, dass anonyme Bewerbungsverfahren in manchen künstlerischen Bereichen, wie zum Beispiel bei Vorsprechen oder Vortanzen im Theater- bzw. Tanzbereich nicht umsetzbar sind. Darüber hinaus wird bei einer solchen Maßnahme nur eine von vielen Barrieren in den Blick genommen. Es kann sich aber nicht darauf verlassen werden, dass es an anderer Stelle im Bewerbungsverfahren nicht zu Ausschlüssen und diskriminierenden Situationen kommt.

 

Auch bei Verfahren, die die Erhöhung von Chancengleichheit zum Ziel haben, kann es dazu kommen, dass gegenteilige Effekte entstehen. Dies zeigt beispielsweise eine Studie, die die Anwendung von Stimmverzerrern untersuchte, die der Diskriminierung von Frauen in Bewerbungsgesprächen entgegenwirken sollten. Die Studie ergab, dass die stereotyp als nachteilig angesehene Zurückhaltung von Frauen noch negativer ins Gewicht fiel, wenn das Geschlecht nicht zugeordnet werden konnte.

 

Für die Entwicklung von Maßnahmen und Strategien ist es besonders sinnvoll, wenn Personengruppen, die mit Hilfe dieser Maßnahmen unterstützt werden sollen, danach gefragt werden, für wie wirksam sie diese halten. Die genannten Beispiele zeigen, dass Strategien und Maßnahmen nicht kontextunabhängig entwickelt werden können und von Personengruppen, die unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen machen, unterschiedlich bewertet werden. Die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten kann Aufschluss über die Repräsentation und Inklusion bestimmter von Diskriminierung betroffener Gruppen geben und zur diversitätsorientierten Organisationsentwicklung beitragen.