Behinderung im Spielplan 3
Interview mit Wille Felix Zante
Zugänge in den Kulturbetrieb
„Kultur für alle!“ – bis heute beruft sich der Kulturbetrieb auf diesen Anspruch und behauptet regelmäßig gleichberechtigten Zugang zur Kultur. Doch wenn man sich anschaut, wer „hinter den Kulissen“ arbeitet, wer „auf der Bühne“ bzw. im künstlerischen Programm repräsentiert ist und wer als Publikum in den Genuss von Kunst kommt, wird schnell deutlich, dass Menschen mit Behinderungen im Kulturbetrieb unterrepräsentiert sind.
In unserer Interviewserie „Behinderung im Spielplan“ berichten Menschen mit Behinderungen von den Barrieren und Ausschlüssen, die sie im Kulturbetrieb erfahren. Als Mitarbeiter*innen von Kulturinstitutionen sprechen sie über notwendige kulturpolitische Veränderungen, als Künstler*innen zeigen sie, wo ihre Kunst in eine Nische gestellt wird, und als kulturbegeistertes Publikum erzählen sie, welche Stücke sie gerne sehen und welche Kulturorte sie gerne besuchen.
Die Interviewserie ist in Kooperation mit Die neue Norm entstanden und wird auch auf ihrer Website veröffentlicht.
Wille Felix Zante studierte Deutsche Gebärdensprache und Amerikanistik. Er ist in der Berliner Kulturlandschaft in mehreren Rollen tätig: als Zuschauer, Berater für die Belange tauber Menschen und Schauspieler.
Wille Felix Zante bei einer Kulturveranstaltung im Friedrichstadt-Palast
Interview mit Wille Felix Zante
Wille, du gehst gerne ins Theater, bist als Schauspieler aktiv und teilst auf Twitter Beobachtungen zu Barrierefreiheit – auch im Kulturbetrieb. Was können Kulturinstitutionen tun, um zugänglicher zu werden?
Das Theater könnte auf jeden Fall Übertitel anzeigen, wobei das ein Quatschbegriff ist. Viele Gehörlose verstehen nicht, was Übertitel sein sollen. Sie sehen den Begriff Übertitel und denken dann, dass er sie nicht betrifft. Gemeint sind Untertitel, die über der Bühne angezeigt werden, daher der Name. Manchmal werden sie auch neben der Bühne auf einem Bildschirm gezeigt. Aber natürlich ist es wichtig, dass die Leinwand ins Bühnenbild passt. Viele gehörlose Personen suchen nach Theatern mit Untertiteln und finden keine Angebote, da überall von Übertiteln die Rede ist. Das ist ein ziemliches Versäumnis.
Wäre die Lösung, sie einheitlich Untertitel zu nennen?
Es wäre schonmal klug, sie bekannter zu machen. Ich verstehe die Unterscheidung hierbei nicht. Geräusche und kleine Dinge werden zum Beispiel auch nicht übertitelt, sind aber manchmal für die Handlung entscheidend.
Gibt es ein breites Angebot an Übertiteln?
Die Fläche auf der Bühne wäre zumindest bei den meisten Theatern vorhanden. Ich war mal bei einer englischen Vorführung von Hamlet, dort gab es sie. Normalerweise wird nur bei „exotischen“ Sprachen übertitelt, die weniger gesprochen werden, wie Italienisch. Leider ist die Technik nicht immer zuverlässig. Und im Dunkeln am Handy mitzulesen, ist auch keine gute Lösung, das sieht man ja bei der Greta & Starks App im Kino schon, dass das nichts ist.
Gab es im Kino mal Beschwerden aufgrund des hellen Handylichts?
Ein Freund hat die App mal benutzt, als sie neu rauskam und er wurde direkt deswegen angepöbelt. Bei Workshops, in denen ich das erwähne, finden es auch viele Leute blöd und unpraktisch. Auf dem Papier ist das aber eine tolle Idee.
Wie machst du es im Kino und wie wäre es dort ideal für dich?
Ich suche mir Vorstellungen mit Untertiteln aus. Oft sind es englische Vorstellungen. Manchmal warte ich auch auf die DVD. Die haben oftmals aber leider keine deutsche Untertitelspur. Grundsätzlich sollte man an der Kinokasse sagen können: Ich brauche Untertitel und dann würde der Film mit Untertiteln gezeigt. Es müsste egal sein, ob es die anderen irritiert. Für Menschen, die diese zusätzliche Information stört, kann man ja speziell untertitelfreie Vorstellungen anbieten. Bei Museen gibt es auch spezielle Tage, an denen es ruhiger ist.
Wie können Museen inklusiver werden?
Ich bin nicht oft im Museum mit Führungen. Aber wenn, dann wäre es schön, Führungen auf Gebärdensprache mitzumachen. Mit Video-Dolmetscher ist es auch nicht optimal. Es geht zur Not, aber direkt ist es einfach besser. Gebärdensprache lebt davon, dass man auch Fragen stellt. Das kann man mit einem Video-Dolmetscher nicht.
Hast du schonmal erlebt, dass es Videoguides gab mit Gebärdensprachdolmetscher*innen?
Ja, das haben einige Museen in Berlin umgesetzt. Es gab zum Beispiel eine Ausstellung über Max Beckmann 2016 in der Berlinischen Galerie. Mir würde es schon reichen, wenn Videos in der Ausstellung mit Untertiteln verfügbar wären. Außerdem wäre es schön, wenn Mitarbeiter vielleicht ein wenig in Gebärdensprache geschult sind. Wenn ich frage, wo ist dies oder wo ist das, dann sollen sie nicht anfangen zu sprechen, sondern mit dem Finger darauf zeigen. Da sind viele Leute im Museum sehr steif. Das alles sollte mal ein wenig aufgelockert werden.
Was brauchst du noch?
Einmal gab es in der Schaubühne einen Vorfall, als ich mir eine übertitelte Veranstaltung angeschaut habe. Da ist im Publikum eine Dame zusammengebrochen – das Licht ging plötzlich an und es hat jemand gesprochen. Ich dachte zunächst, das gehöre gerade zum Stück. Mein Wunsch ist, dass bei Notfällen Dinge für die gehörlosen Menschen angezeigt werden: „Verlassen Sie bitte den Saal.“ Trotzdem muss ich sagen, dass die Schaubühne sich wirklich große Mühe gibt und sie ist vielleicht so etwas wie ein Vorreiter.
Wie sähe eine Lösung für das Theater aus?
Teilweise ist auf der Website angegeben, ob es sich um eine barrierefreie Fassung handelt. Manchmal muss man auch suchen und schauen was damit gemeint ist. Für mich sind zum Beispiel englischsprachige Unter- oder Übertitel okay, das ist aber nicht bei jeder Person so. Wenn man speziell danach suchen könnte, wäre das sehr schön. Also die komplette Unterscheidung der verschiedenen Unter-, Ober-, Übertitel, die verschiedenen Hörfassungen und so weiter. Es gibt da noch kein einschlägiges Portal für Kulturveranstaltungen.
Du bist selbst auch als Schauspieler aktiv.
Ich habe im Stück „Die Taube Zeitmaschine“ mitgespielt. Im Stück ging es um die Geschichte der Gehörlosen.
Welche Rolle hast du verkörpert?
Verschiedene. Es war teilweise dokumentarisch, da wir Texte vorgetragen haben, zum Beispiel mit welchen Methoden man versucht hat, Gehörlose zu heilen. Aderlass und Schädelbrechen waren dabei.
War das Publikum vor Ort inklusiv?
Es ist darauf ausgelegt, dass es alle verstehen und das Publikum vieles mitnehmen kann. Es gab Figuren, die gleichzeitig geredet und gebärdet haben. Im nächsten Stück haben wir versucht, auf eine visuell poetische Art zu gebärden. Etwas vereinfacht und runtergebrochen, damit es schön aussieht, aber immer noch verständlich ist.
Ist das ein festes Ensemble, in dem du spielst?
Das Ensemble war immer eine Mischung aus Profis und Laien. Anfangs waren die Profis vorwiegend Hörende, inzwischen sind auch unter den Tauben Schauspielern Profis.
Wie wird dort gearbeitet?
Das ist ein Verein, gegründet von Michaela Caspar, die auch die Regisseurin der Stücke ist. Es sind Stücke in Gebärdensprache, die übersetzt werden, sodass alle sie verstehen können.
Könnte denn ein klassisches Theaterstück von Shakespeare in Gebärdensprache funktionieren?
Wenn Gebärdensprache ein abstraktes Niveau hat, weil der Text selbst so abstrakt ist, dann ist es eben so. Dann ist es wenigstens zugänglich. Ich finde das völlig okay, nicht alles zu verstehen. Das Verstehen liegt an mir. In Lautsprache habe ich keine Chance, es zu verstehen. Ich verstehe zwar einzelne Wörter, aber es ist sehr anstrengend und ich muss mir das alles zusammenreimen. Das ist ein gemindertes Erlebnis.
Könnten die Stücke auch von Dolmetschenden für das Publikum übersetzt werden?
Die Problematik ist, dass Dolmetscher am Rand stehen müssen. Das ist aber besser als nichts. Als Zuschauer muss man dann nur ziemlich viel hin und her schauen. So verpasst man Schlüsselszenen. Eine Alternative wäre, dass die Dolmetscher intensiv bei den Proben eingebunden werden. Es ist zeitaufwendig und es gibt Schauspieler, die mögen es nicht, wenn die Dolmetscher bei ihnen mitlaufen. Das wäre aber eine gute Alternative.
Wie reagiert das taube Publikum auf eure Arbeit?
Das Angebot für taube Menschen ist so dünn, dass sie eigentlich alles angucken müssen, was es mit Gebärdensprache gibt. Es wäre schön, wenn es mehr Theatergruppen mit Gebärdensprache oder mit Gehörlosen gibt. Man könnte sich austauschen oder einfach mal zu einem anderen Stück gehen und könnte dann sagen ob es gut oder schlecht war. Man kann sich inspirieren lassen, so macht man’s oder so macht man’s nicht. Dieser Austausch fehlt komplett in der Branche.
Interview: Judyta Smykowski